Kurz und Bündig - Olaf Breidbach: Bilder des Wissens

Als Ernst Haeckel 1868 in seiner «Natürlichen Schöpfungsgeschichte» antrat, Darwins Evolutionstheorie auf die Ent­wicklungsbiologie auszu­wei­ten, belegte er den iden­tischen Ursprung aller Wirbeltiere mit Embryo-Bildern von Huhn, Schildkröte und Hund. Ein ent­waffnender Beweis, dessen Überzeugungskraft allerdings auf einem kleinen Winkelzug beruhte: Haeckel hatte dreimal dieselbe Druckplatte benutzt, um seiner These ein Höchstmaß an Evidenz zu verleihen.

Als Ernst Haeckel 1868 in seiner «Natürlichen Schöpfungsgeschichte» antrat, Darwins Evolutionstheorie auf die Ent­wicklungsbiologie auszu­wei­ten, belegte er den iden­tischen Ursprung aller Wirbeltiere mit Embryo-Bildern von Huhn, Schildkröte und Hund. Ein ent­waffnender Beweis, dessen Überzeugungskraft allerdings auf einem kleinen Winkelzug beruhte: Haeckel hatte dreimal dieselbe Druckplatte benutzt, um seiner These ein Höchstmaß an Evidenz zu verleihen. In Olaf Breidbachs Studie zur Geschichte der empirischen Beobachtung führt Haeckels Trick vor allem die «Beweislast» vor, die in der abendländischen Wissenschaftsgeschichte «ei­ner Illustration zugesprochen wird». Was wir empirisch zu wissen glauben, beruht nicht auf der unmittelbaren Kenntnis der Welt, sondern viel­mehr auf den Bildern, die von dieser Welt kursieren. «Bilder des Wissens» zeigt, wie kulturel­le «Bildtraditionen» den Blick des Wissenschaftlers leiten – etwa, wenn Haeckels Organ-Darstellungen von der Ästhetik des Jugendstils geprägt sind. Das wissenschaftliche Bild der Wirklichkeit hängt ab von der Wirklichkeit der Bilder. Breid­bach versteht seine «Kulturgeschichte der wissen­schaftlichen Wahrnehmung» als Beitrag, der den Unterschied zwischen Natur- und Geisteswissenschaft relativiert: Indem er den Erkenntnisanspruch beider auf subjektive Beobachtungen zurückführt, verbindet er die «zwei Kulturen» mit der einen Hand, untermauert aber zugleich mit der anderen die Unterschiede zwischen ihnen. Die Philosophie bezeichnet er als komplexere Instanz, insofern sie im Gegensatz zu den sciences ihre Subjektivi­tät zu reflektieren imstande sei. Wenn dieser phänomenologische Ansatz aber auf die «These» hinausläuft, «daß in der Beobachtung die Gegenstände nicht einfach repräsentiert werden», dann wirkt die Argumentation wie ein Scheingefecht: Diesen Gegner hat die Wissenschaftsgeschichtsschreibung längst beerdigt. Hinzu kommt, dass die Geschichte der Beobachtung bei Breidbach eigentümlich un­historisch gerät, wenn er ohne erkennbare Auswahlkrite­rien zwischen Beispielen aus 2000 Jahren Wissenschaftsgeschichte navigiert: Die Bild­abhängigkeit des Wissens zeigt sich in mittelalterlichen Buch-Illustrationen ebenso wie in der modernen Mikroskopie. Breidbachs Misstrauen ge­genüber einer Geschichte des Wissens, wie sie Michel Foucault vorgelegt hat, führt dazu, dass er anstelle der Brüche zwischen verschiedenen Wissensordnungen eine konti­nuierliche Geschichte sieht, in der den Entdeckungen immer nur ein «Anschein des Neuen» zukommt. Warum aber eine Geschichte der Beobachtung schreiben, wenn sich inner­halb dieser Geschichte nichts verändert?

 

Olaf Breidbach
Bilder des Wissens. Zur Kulturgeschichte der wissenschaftlichen Wahrnehmung
Fink, München 2005. 188 S., 29,90 €

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.