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Nie war Mode so langweilig!

Seit 27 Jahren regiert Karl Lagerfeld Chanel, einst Synonym für Stilsicherheit und Zeitgefühl. Doch mit seinem Kniefall vor dem Boulevard hat er den Namen des Hauses beschädigt. Über die Abstieg des Modeschöpfers zum unermüdlichen Unterhaltungszampano.

Karl Lagerfeld, berüchtigt für seine provokanten Sprüche, bezeichnete sich vor Jahren als „Strichjunge von Chanel“. Lagerfeld redet schnell und er redet viel, ein Wort löscht das andere. Doch „Strichjunge“ bleibt und bleibt an ihm hängen, auch, wenn der 76-Jährige noch mit 90 Chanel-Mode stricheln und verantworten sollte. Seit 1983 bestimmt er die Linie Chanel. 27 Jahre sind eine lange Zeit. Bevor er dort als Chefdesigner seinen Lebensplatz fand, hatte er schon verschiedene Stationen in anderen Pariser Häusern absolviert. Seine Position behauptet Lagerfeld so autoritär, dass die Firma heute ohne ihn nicht mehr denkbar ist. Aus einem Arbeitsverhältnis wurde eine symbiotische Beziehung. Doch Chanel ist eine Sache, die andere ist Lagerfeld. Dass er sich bei der Leitung der Marke selbst näher ist als Coco Chanel, ihrer Begründerin, kann man schon an der Mode ablesen, die er unter dem Namen Chanel produziert. Die Modeschöpferin wurde berühmt, weil sie Kleidung für Frauen erfand, die elegant sein wollten, ohne dabei auf Beweglichkeit und Natürlichkeit zu verzichten. Mit Frauen aber kann Lagerfeld nichts anfangen. „Damen? Frauen? Dame ist doch längst ein Schimpfwort“, meinte der Designer einst und legte nach, dass er „damenhaft“ für einen „Ausdruck von verkrampfter, unnatürlicher Anständigkeit“ halte. Seine Fantasie wird vom ewigen Mädchen beflügelt, magersüchtig und nichts für den Alltag. Mit seinem Kniefall vor einer dürren Jugend hat Lagerfeld den Namen Chanel, einst Synonym für Stilsicherheit und Zeitgefühl, beschädigt. Dass diese Marke trotzdem stärker ist als ein Modetrend, ist das Problem und zugleich die Lösung für den Designer: Das Problem, weil er nicht die Schöpferkraft der Mademoiselle vorweisen kann. Die Lösung, weil ihre Initialen ihm als Nachfolger in der Welt des Luxus und der Moden den Ritterschlag verleihen. Umgekehrt profitiert die Luxusmarke von Lagerfelds Showtalent. Er ist die Publicity selbst, kaum zu bezahlen. Dank seiner guten und langjährigen Beziehungen zu Grace Kellys hübschen Kindern, den Prinzessinnen von Monaco, steht eine Chanel-Robe immer irgendwo auf der öffentlichen Bühne, sei es bei Taufen, Hochzeiten oder auf Bällen. Seine größte Personality-Show zog Lagerfeld ab, als er vor zehn Jahren 40 Kilo abspeckte und glaubte, gleichzeitig 40 Jahre jünger geworden zu sein. Bis zum Turnaround hatte er die Form einer barocken Perle. Inzwischen – auf Storchenbeinen, beschwert mit Ketten, Ringen und Handschuhen – sieht er aus wie ein Altrocker ohne Band. Zeitgleich mit seinem Eintritt in die Chanel-Welt im Jahr 1983 lancierte er sein eigenes Label „Karl Lagerfeld“, eine Strickkollektion. Doch schon nach drei Jahren verkaufte er die Marke. Keine Rendite. Durch eigenen Stil ist Lagerfeld nicht aufgefallen. Wer Lagerfeld meint, spricht vom Dandy mit Zopf und Sonnenbrille. Wer Coco Chanel meint, spricht vom kleinen Schwarzen, vom Chanel-Kostüm, von der gesteppten Umhängetasche, von der Kamelie, vom Modeschmuck, von der Farbe Schwarz und von „Chanel No. 5“, der Königin der Düfte. Die große ChanelLagerfeldZeit ist fast vergessen. Inès de la Fressange, französische Muse und so vermögendes wie adeliges Starmannequin, verkörperte einst alles, was Coco mit ihrem Namen verband: Eleganz, Modernität und Beweglichkeit. Damals lächelten die Models noch. Die Modewelt war verzaubert, und Lagerfeld wurde gefeiert. Er hatte Chanel verjüngt, aber nicht verändert. Inès, wie Coco, war allerdings nicht wiederholbar. 1989 verließ sie das Haus im Streit mit dem Designer. Danach wurde alles anders, erst banaler, dann vulgärer. In den Schaufenstern der Chanel-Boutiquen liegen heute Kleidchen, Rüschenblüschen, Turnhemdchen, durchsichtige Microminis und Höschen, wie sie auch bei der Modediscounterkette Hennes & Mauritz ausgestellt sind. Subprime-Fashion by Chanel, nur sehr viel teurer. Aber teuer oder preiswert, Lagerfeld ist in allen Regalen zu Hause: Vor sechs Jahren entwarf er für besagtes schwedisches Textilhandelsunternehmen sogar eine eigene Kollektion. In der Modewelt verkörpert Karl Lagerfeld längst, was Gottschalk in der Fernsehwelt am Samstagabend ist: den unermüdlichen Unterhaltungszampano, der nur noch berühmt ist, weil er berühmt ist. Beide füttern ihr Publikum mit Glamour, Stars und kleinen Kunststücken, beiden fällt immer ein flotter Spruch ein. Doch während bei Gottschalk zuweilen immerhin noch etwas Distanz zu sich selbst aufscheint, führt Lagerfeld sein Image nur noch hinter einer aufgesetzt wirkenden Selbstironie vor. Die sitzt so schlecht wie ein knapp geschnittenes Samtjackett. Sprüche wie „Ich genieße den Luxus, der Mittelpunkt meiner eigenen, heilen Welt zu sein“ sind dann in den Medien von ihm zu hören, oder: „Ich kann gar nichts. Außer für Mode und Fotografie bin ich zu nichts zu gebrauchen.“ Die Zeiten, da Modeschöpfer wie Coco Chanel Richtlinien vorgaben, sind vorbei. Heute diktieren der Boulevard und die Straße. Weil Modedesigner nicht mehr erfinden, sondern nur noch finden, gehen sie auf die Straße. Und weil alle auf der gleichen Straße herumlungern, finden und produzieren alle das Gleiche. Nie war Mode so langweilig.

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