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Neues Gartenglück

Die Deutschen zahlen heute mehr für Pflanzen als je zuvor, ihr Lieblingsmagazin feiert die Lust am Land, und die vormals als spießig denunzierte Schreberparzelle gilt als korrekte Idylle. Sind Gärten Spiegelbilder ihrer Zeiten?

Gelungen war der Coup, und er traf den Zeitgeist. Die Rede ist vom kunterbunten Bio-Nutzgarten, den Amerikas First Lady Michelle Obama auf dem fast sakralen, ökologisch völlig unkorrekten Rasen des Weißen Hauses anlegte – und dann zwang sie noch den mächtigsten Mann der Welt zum Unkrautjäten. Gut zwanzig Jahre vor ihr hatte der englische Prinz Charles etwas Ähnliches gewagt. Doch für seinen exzentrischen Grüntick wurde er noch allseits geschmäht. Inzwischen ist er rehabilitiert, sein Landsitz High Grove ist ein Mekka für grüne Enthusiasten, und Nordeuropas obere Zehntausend goutieren die auf seinem Mustergut angebauten Bioprodukte. Was lange verpönt war, liegt heute im Trend. Und auch im Deutschland dieser manchmal als Neo-Biedermeier beschriebenen Jahre erlebt der Garten und alles, was damit zusammenhängt, eine grandiose Renaissance. Junge Familien aus der Etagenwohnung im Prenzlauer Berg treffen sich am Wochenende zur Grillparty im Laubenpieperidyll. Sie ziehen Tomaten und Möhren, pflanzen vergessene, vom Aussterben bedrohte Obstsorten und verhelfen alten Gemüsesorten wie Mangold, Pastinake und Teltower Rübchen zum Comeback. Coole Urbanisten, Vorstandsvorsitzende und Medienmanager entdecken die kathartische Kraft des Laubharkens, das Glück, den Rittersporn vor Nacktschnecken gerettet zu haben, und das stolze Gefühl, seinen Gästen selbst gezogenen Rucola zu servieren. Fast 50 Prozent aller Bundesbürger haben einen eigenen Garten, viele träumen davon, und einige kompensieren den Traum mit Kübeln noch auf dem winzigsten Balkon. Warum entdecken wir – Mann wie Frau, Jung wie Alt und Arm wie Reich – gerade jetzt den Garten als Refugium wieder? Der Schrebergarten, das Symbol deutschen Spießertums schlechthin, feiert fröhlich Urständ. Der Markt für Beet- und Balkonpflanzen, Stauden und Gehölze stieg 2008 erstmalig auf knapp vier Milliarden Euro. Das erst 2005 gegründete Magazin Landlust hat eine sensationelle Auflage von 700 000 und mit Trittbrettfahrern wie Landidee, Schönes Land oder Liebes Land profitieren auch Verlagshäuser wie Bauer oder Springer von dem Trend. Die Zahl der Gartenfestivals in unserem Land wächst explosionsartig; parallel dazu die Flut der Gartenbücher, vom praktischen Ratgeber über „Schattenplätze im Garten“ (BLV) bis zum edlen Wälzer über „Die schönsten Gärten der Welt“ (Knesebeck). Mit Koniferen, Thujahecken, kurz geschorenem Rasen und militärisch aufgereihten Geranien, dem Albtraum vergangener Jahre, hat die Gartenrenaissance nur wenig zu tun. Die Deutschen fachsimpeln im Gartencenter lieber über winterharte Stauden und krabbeln in die unterste Ecke, um dort selig lächelnd ein Prachtexemplar eines Frauenmantels hervorzuholen. Sie schwärmen verzückt über Sichtachsen, „grüne Zimmer“ und den „weißen Garten“ und wissen die grazile Anmut von Gräsern im Staudenbeet zu schätzen. Das Thema Garten gilt nicht länger als Frauengedöns, und Männer tun ihrer Männlichkeit keinen Abbruch mehr, wenn sie über den Schnitt von Rosen dozieren. Die Avantgarde unter den Gartenliebhabern pilgert sogar nach England, ins gelobte Gartenreich, und schwärmt von der Chelsea Flower Show in London, wo die Oscars der Gartenkunst verliehen werden. Zehntausende unternehmen an jedem Sommerwochenende „Garden Spotting“ – Touren, um sich von Nachbars grüner Oase inspirieren zu lassen. Auch dieser Trend ist aus dem Königreich auf den Kontinent geschwappt, im Schlepptau von „Country Style“ und „Shabby Chic“. Aber es muss nicht immer England sein. Auch in Deutschland hat das Gärtnern eine lange, glorreiche Tradition. Schon der berühmteste Selbstversorger des achtzehnten Jahrhunderts, Geheimrat Johann Wolfgang Goethe, schwärmte von den Wonnen selbst geernteter Genüsse wie Erdbeeren und Spargel aus seinem Garten im Weimarer Ilmpark. Und im Zuge des derzeitigen Revivals von wilder, farbenfroher Gartenlust werden grüne Protagonisten wie der Potsdamer Staudenzüchter und Gartenphilosoph Karl Foerster wiederentdeckt. Der hatte schon Mitte des 20. Jahrhunderts für den „Einzug der Gräser und Farne in unsere Gärten“ plädiert. Auf Foerster beruft sich auch einer der Stars der hiesigen Gartenszene: Gabriella Pape. Die deutsche Gartenkünstlerin küsste vor zwei Jahren die Königliche Gartenakademie in Berlin aus dem Dornröschenschlaf, die einst von Peter Joseph Lenné, Preußens Gartenkönig des 19. Jahrhunderts, gegründet wurde. Seitdem sind ihre Kurse über „Strukturen im Garten“ oder „Gestalten für die Sinne“ für Jahre ausgebucht. Den deutschen Garten-Minderwertigkeitskomplex zu benennen, fällt ihr nicht schwer: „Die Engländer gärtnern, die Deutschen sagen: im Garten arbeiten“, stellte Pape, lange Jahre in England tätig, einmal fest. Und: „Die Briten gärtnern mit dem Herzen, wir mit dem Kopf!“ Aller Kopflastigkeit unbenommen, der Garten ist auch in Deutschland „die größte Erfrischung für die menschliche Seele“ – so brachte der englische Philosoph Francis Bacon den sinnlichen Nutzwert von Säen, Pflanzen, Harken und Ernten auf den Punkt. Schon 1625 beschwor dieser einen Idealgarten, der neben einem geometrischen Teil auch eine „naturbelassene Wildnis“ besaß, die allerdings subtil geordnet werden müsse. Das war das erste Lüftchen einer grünen Revolution, die zu Beginn des 18. Jahrhunderts den strengen, mit Zirkel und Raster gestalteten Französischen Barockgarten hinwegfegte. Gärten, ob pompös oder winzig, waren immer auch Spiegelbilder ihrer Zeiten, ihrer geistigen wie politischen Verhältnisse. Auf den gestrengen Garten des Absolutismus folgte im Zeitalter der Aufklärung der englische Landschaftsgarten, der die Natur so kunstvoll nachahmte, dass sie natürlich wirkte. Dieser „Garten der Freiheit“ wurde auf dem Kontinent von Wörlitz über das Potsdamer Gartenreich bis zum Englischen Garten in München, dem ersten Volksgarten der Welt, grandios nachgeahmt. Im damaligen England waren die Gärten Bestandteil einer Gegenbewegung zur Industrialisierung. Sie läuteten eine Rückkehr zum Regionalen ein, in deren Zuge Haus und Garten als Einheit verstanden wurden. Vielleicht hat man es bei dem heutigen Comeback mit einem ganz ähnlichen Phänomen zu tun. Es ist schon erstaunlich, wie stark sich die Sehnsucht nach der gärtnerischen Rückzugsnische quer durch alle Gesellschaftsschichten zieht. Prominenz, die nie eine Homestory für Hochglanzmagazine gestatten würde, hat nichts dagegen, sich im Garten ablichten zu lassen. Liz Mohn etwa, die Bertelsmann-Vorsitzende, sieht man im Bildband „Faszinierende Frauen und ihre Gärten“ (Callwey) in elegantem Kostüm und Pumps in ihrem Privatpark posieren, wo sie, wie sie sagt, „die Ausgeglichenheit“ fände, die sie für ihren „betriebsamen Alltag“ brauche. Manager, Modeschöpfer, selbst Oligarchen gärtnern mit Leidenschaft. Nur kaufen sie anders ein als der Schrebergärtner – bei der Baumschule Bruns im Ammerland zum Beispiel, dem Ausstatter für Europas grüne Renommierprojekte wie die Tuilerien in Paris oder das neue Olympiastadion in London. Bei Bruns stellt man sich einen Instantpark aus strammen Reihen von Bonsai-Kiefern und Säuleneichen, aus jahrzehntealten Platanen, Kastanien und anderen kostbaren Solitären zusammen. Zwanzig alte Linden kosten so viel wie ein Porsche. Alte Bäume und damit Zeit zu kaufen – ist das nicht die höchste Form von Luxus? Soziologen haben den Garten immer schon als Nukleus für unseren gesellschaftlichen Zustand betrachtet. Wen wundert es, dass immer mehr Menschen lieber Buchs schnippeln als nach Bali zu jetten? Fliegen wird ständig anstrengender – Krisenherde, Bombenanschläge, Streiks, Wetterkatastrophen. Man hat die Welt gesehen, ist erschöpft und entdeckt den Garten „als Ort der Selbstfindung und Selbsterfahrung“, wie der Amerikaner Robert Harrison in seinem kürzlich erschienenen Sachbuch „Gärten – ein Versuch über das Wesen der Menschen“ (Hanser) erklärt. Denn „die visionärsten Reisen finden manchmal statt, während man an Ort und Stelle bleibt, in Augenblicken der Stille“. Aber handelt es sich beim Gartentrend um bloßen Eskapismus vor der Unbill einer Welt, die uns immer unmoralischer, sozial kälter und unwirtlicher erscheint? Spielt der Garten lediglich die Rolle eines grünen Narkotikums, ist er Refugium für die völlige Abkehr vom öffentlichen und politischen Leben, wie in der Zeit des historischen Biedermeiers? Eine Antwort gibt der legendäre Schweizer Landschaftsarchitekt Dieter Kienast: „Ein Garten ist der letzte Luxus unserer Tage“, sagte er einmal, „denn er fordert das, was in unserer Gesellschaft am kostbarsten geworden ist: Zeit, Zuwendung und Raum.“ In einer Zeit, in der alles immer schneller, globaler, virtueller, also wirklichkeitsferner wird, ist konkrete Erfahrung mit Natur etwas Authentisches, etwas Unmittelbares. Gärtnern bedeutet mehr als in Must-Gummistiefeln von „Hunter“ mit einer graziösen, aber unpraktischen Schere von „Le Prince Jardinier“ Rosen zu schneiden und im Weidenkörbchen zu arrangieren. Gärtnern heißt Rückenschmerzen und Fliederduft, Ungezieferkrieg und Himbeerhecke, Entzücken über die ersten Krokusse und Heulkrämpfe wegen des Tods einer Magnolie. Auf der Suche nach dem verlorenen Arkadien sind unsere Gärten Zufluchtsorte, schenken Ruhe und verdrängen die fliehende Zeit, aber sie sind und bleiben auch ein Topos für das Überlebenwollen. Nachdem er erkennt, dass er gegen die Übel der Welt nicht viel ausrichten kann, verkündet „Candide“ in Voltaires gleichnamigem, satirischem Roman mit trotzigem Optimismus: „Man muss unseren Garten pflegen!“ Wir müssen nicht die ganze Welt verändern, aber wir können in und mit unseren Gärten anfangen. Unsere Gärten sind immer auch Keimzellen für die zukünftige Entwicklung unserer Gesellschaft. Die Aussichten sind nicht so schlecht: Es gibt Guerilla-Gardening, Aktivitäten für Schulgärten, ehrenamtliche „Gesellschaften zur Förderung der Gartenkultur“, multikulturelle, therapeutische, Wohngemeinschafts- und Altenheimgärten. Wühlen und Gestalten in der Erde sind sinnstiftende nonverbale Kommunikationsformen. Selbst wenn „nur“ individualistisch gegärtnert wird, ist die Arbeit im Garten immer auch eine moralische Erfahrung. Beständig konfrontiert sie uns mit Versuch und Irrtum, mit Demut und Respekt: Der Phlox wächst nicht wie erhofft, die Akelei schlampert sich dank Selbstaussaat durch den Garten, die zwei Dutzend in Weiß bestellten Pfingstrosen blühen im schönsten Pink und machen das Farbkonzept zunichte. Natur, erfahren wir, ist eben doch nicht hundertprozentig domestizierbar. Sie erteilt uns Lektionen in Ausdauer, Aufmerksamkeit, Zuwendung – und Geduld, die größte Tugend jedes Gärtners und eine Eigenschaft, die uns völlig abhandengekommen ist. Wir können sie brauchen.

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