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Debatte um Pegida - CDU-Politiker fordert Rückbesinnung auf Leitkultur

Wer sich selbst kennt, hat keine Angst vor dem Fremden, schreibt der sächsische CDU-Bundestagsabgeordnete Marian Wendt in einem Gastbeitrag. Ein Plädoyer für eine gelassene Rückbesinnung auf die eigene Identität

Autoreninfo

Marian Wendt (CDU, 28 Jahre) ist direkt gewählter Abgeordneter aus dem Wahlkreis Nordsachsen. Er ist seit 2013 im Deutschen Bundestag und ist Mitglied im Innenausschuss. Zudem ist er stellvertretender Vorsitzender der Jungen Gruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

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Seit Wochen gehen montäglich mehrere tausend Menschen überwiegend in Dresden, aber auch in Berlin, Köln, Leipzig und anderswo auf die Straße, um gegen eine behauptete Islamisierung zu demonstrieren. Unter dem Kürzel Pegida versammeln sie sich, um ihre Angst gegen eine vermeintliche Überfremdung auszudrücken. Die Befürchtung, Deutschland könnte seine kulturellen Werte und Traditionen verlieren, treibt sie an.

Doch ist unübersehbar, dass es eine Überfremdung, dort wo sie am meisten angeprangert wird, in Dresden, gar nicht gibt: In Sachsen liegt der Ausländeranteil bei 2 Prozent. Gerade einmal 0,3% der Menschen sind Anhänger einer muslimischen Glaubensgemeinschaft. Gefühlte Bedrohung und reale Lage fallen also objektiv auseinander.

Wie nähern wir uns nun einer aufklärerischen Aufarbeitung der Lage in einer von Angst geprägten Umgebung? Angst – und dies ist keine Binsenweisheit – entsteht meist aus Unkenntnis über das Wesen des Anderen. Zwar leben Muslime seit Jahrzehnten in Deutschland, und doch macht sich die Unwissenheit über ihre Religion, Herkunft, Sprache und Riten nach wie vor breit. Islam wird undifferenziert mit Islamismus gleichgestellt. Für eine schlichte und den Facetten der Religionsrichtung nicht gerecht werdende Betrachtung bleibt so viel Raum. Diese pauschalisierte Wahrnehmung des Islam als Bedrohung wird zudem durch die barbarischen IS-Schlachtungen und die Terrorangriffe verschiedener islamistischer Terrorgruppen begünstigt. Dabei gibt es weltweit viele Muslime, die gewaltfrei mit anderen Religionen umgehen. Europa ist, auch nach den Anschlägen von Paris, nicht in Gefahr, vom islamistischen Terror überrannt zu werden.

Kulturelle Selbstgefährdung des Westens
 

Für mich drängt sich daher die Frage auf: Haben die Menschen bei Pegida-Demos Angst vor einer Bedrohung von außen, weil sie sich ihrer eigenen Identität nicht sicher sind?

Pegida wendet sich gegen eine vermeintliche Islamisierung des Abendlandes. Bei der Analyse des 19-Punkte Programmes muss ich jedoch feststellen, dass 16 von 19 Forderungen bereits im Grundgesetz verankert sind und diese Forderungen auf jedem Parteitag einer bürgerlichen Partei mehrheitlich Zustimmung finden würden.

Mangelt es an diesem Wissen, weil wir es als Gesellschaft verlernt haben, das über Jahrzehnte und Jahrhunderte errungene Wertekonzept, das in den Artikeln des Grundgesetzes seine als allgemein gültig anerkannte Entsprechung findet, weiter zu vermitteln? Das viel zitierte „Abendland“ definiert sich über seine christlich-jüdische Tradition. Diese ist aber in Deutschland sehr unterschiedlich ausgeprägt. In den ostdeutschen Bundesländern beispielsweise liegt der Anteil der konfessionslosen Bevölkerung zwischen 68 und 82 Prozent. Die weit überwiegende Mehrheit der Menschen fühlt sich keiner Kirche zugehörig. Zwar sind den Menschen Traditionen und Brauchtum wie Weihnachten und Ostern als Familienfeste sehr wichtig, und auch der Kirchturm im Ort ist integraler Teil der Identität und Orientierungshilfe, aber eine tiefe innere Überzeugung zum Christentum scheint weniger ausgeprägt.

Ostdeutsche überwiegend konfessionslos
 

Eine wahre breite christliche Überzeugung, oder die Verbindung zu anderen monotheistischen Religionen scheint zu fehlen. Der staatliche DDR-Atheismus sowie die zunehmend selbstsäkularisierten Volkskirchen haben hieran ihren Anteil. Diese Problematik ist nicht neu, wohl jedoch die Schlussfolgerungen aus dieser Erkenntnis. Bereits vor einem Jahrzehnt diagnostizierte der damalige Verfassungsrichter Di Fabio eine „kulturelle Selbstgefährdung des Westens“, sowie die „Erschöpfungszeichen des herrschenden kulturellen Paradigmas“. Er fragte: „Warum soll sich der Angehörige einer anderen vitalen Weltkultur in die westliche Kultur integrieren, wenn diese … ohne ausreichenden Nachwuchs und unter Verlust einer transzendentalen Idee (…) ohnehin ihrem historischen Ende entgegen geht? Warum soll er sich auf eine von Selbstzweifeln ebenso wie von Überheblichkeit gekennzeichnete Kultur einlassen, die mit dem forcierten Prozess der Modernisierung einen Großteil ihrer religiösen und sittlichen Fundamente aufgezehrt hat, deren Angebot an Lebenssinn in keinen höheren Werten als dem Umher-Reisen, der Lebensverlängerung und dem Konsum liegt?“

Dies als richtige Analyse unterstellend, meine ich, dass Menschen, die erst in Reaktion auf eine „äußere Bedrohung“ nervös und mit Hilfe einer engstirnigen Pegida auf Spurensuche nach ihrer Identität gehen, schlechterdings zu befriedenden und ihre Ängste befriedenden Ergebnissen gelangen werden.

Mit dem Patriotismus, diesem beinahe zum Kampfbegriff stigmatisierten Bekenntnis zur eigenen Herkunft, verhält es sich ähnlich. „Patriotismus“ als Plakataufschrift ersetzt freilich nicht den fehlenden Glauben an unsere Nation! Um allen Missverständnissen vorzubeugen: Ich spreche von einer aufgeklärten und zum offenen Miteinander bereiten Vaterlandsliebe, die uns stärken und Kraft geben kann. Diese Form der Selbstvergewisserung der eigenen Herkunft und Identität kann uns, zumal bei vermeintlichen Gefahren von außen, die Überzeugung geben, auch auf diese Herausforderung eine Antwort finden zu können. Es ist nicht die andere Kultur, deren bloße Existenz uns ins Wanken bringen kann. Sondern es ist das Unvermögen, ihr mit Offenheit und Identität sowie Selbstbewusstsein zu begegnen, das uns schwach macht.

Die neue alte Leitkultur
 

Wenn wir wissen, wer wir sind, muss die Diskussion über eine eigene nationale Identität nicht den abgeschmackten und manchmal dumpfen Ton tragen, den wir in Deutschland so oft noch beklagen. Ich meine also nicht den Jubel-Militarismus des Kaiserreiches, keinen mörderischen Nationalismus wie im Dritten Reich oder die Staatsgläubigkeit und Fahnenschwenkerei wie in der DDR. Nein: Ich meine die Ziele und Werte, für die unsere Vorfahren in der Geschichte gemeinsam gekämpft haben und für deren Weitertragen wir alle heute Verantwortung tragen: die Paulskirchen-Bewegung von 1848/1849, den 17. Juni 1953 und die Friedliche Revolution. Alle Deutschen haben in der jeweiligen Zeit nach Freiheit und nach einem geeinten und friedlichen Deutschland gestrebt und für einen demokratischen Rechtsstaat gekämpft, um in diesem frei und selbstbestimmt leben zu können.

Einigkeit, Recht und Freiheit – das ist unsere Leitkultur, unter der wir leben wollen!

Wir sind an unserer Geschichte gewachsen, haben schwere Prozesse der Aufarbeitung und Aussöhnung vollzogen. Hier sind wir viel weiter als manch andere Nationalstaaten. Darauf können wir stolz sein, und die Werte, die uns das ermöglicht haben, sollten unser Maßstab sein. Darauf berufen wir uns und ich kann sagen, dass trotz aller Widrigkeiten und Gefahren diese Werte nicht untergegangen sind.

Wir brauchen keine Angst zu haben. Weder vor Überfremdung, einer vermeintlichen Islamisierung oder Pegida. Wir können stolz auf unsere Kultur und Nation sein. Zeigen wir unser klares und unverrückbares Bekenntnis zu ihr nicht nur in der Fröhlichkeit, mit der wir unsere Hymne – idealerweise auch außerhalb von Stadien – singen, sondern in allen schönen und auch düsteren Momenten. Singen wir sie gemeinsam mit allen aufgeklärten Menschen, die unser Land lieben und achten – mit Patrioten im besten Sinne des Wortes. Zeigen wir den Menschen, die zu uns kommen, wie reich unser Land an Kultur, Geschichte und Werten ist und wie fruchtbar für ein gedeihliches und friedliches Miteinander es sein kann, wenn man diese annimmt und lebt.

Insbesondere die Werte, aus dem unser Rechtsstaat – nach innen und nach außen – seine Kraft zum Guten schöpft – und das seit nunmehr über 65 Jahren. Wir leben in Freiheit – dies gilt es immer wieder klar zu machen: als Anspruch, als Ansporn und als praktiziertes Recht gegen jedermann. Frei kann auch jeder seine Religion hier leben. Aber jedermann muss im Sinne unserer aufgeklärten jüdisch-christlich fundierten Rechtsordnung wissen: Freiheit ist hier die Freiheit des Andersdenkenden. Auch wenn ich Meinungen nicht teile und mir nicht alle Karikaturen gefallen, so werde ich bis zum letzten Atemzug für die Bewahrung der Meinungsfreiheit kämpfen.

Stärken wir uns in diesem Bewusstsein. Denn unter dem Schirm von Einigkeit, Recht und Freiheit sind wir gut für die Herausforderungen der Zukunft gerüstet. Und jeder ist willkommen, der auch sich unter diesen stellt, andernfalls ist er frei dort zu leben, wo ihm die Kultur besser gefällt. Freiheitsfeinde haben hier keinen Platz!

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