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(Illustrationen: Leif Heanzo) Drehbuchbesprechung mit mörderischem Ende

Alltag eines Drehbuchautors - Mord auf Bestellung

Drehbuchautoren müssen leiden können, besonders beim Tatort. Hier beschreibt einer von ihnen seinen kreativen Arbeitsalltag – als Dramolett mit den üblichen Verdächtigen

1. Kneipe (innen/Tag )

Versiffte Holztische, abblätternde Wandfarbe, über dem Filmplakat von „Messer im Kopf“ eine Lichterkette mit farbigen Glühbirnen. Im Hintergrund ein einsamer Trinker. Um den zentralen Tisch sitzen die Produzentin (50), eine Walküre mit hennarotem Haar, der Redakteur (45), ein Marathonläufer im azurblauen Polo-Shirt, der Autor (55), grauhaarig mit tiefen Magenfalten, die propere Dramaturgin (35), der Regisseur (60) in einer speckigen, ärmellosen Lederweste und ein Schauspieler (50), der weiß, wie bekannt er ist. Der ausgemergelte Wirt (60) hat die Getränke serviert (bis auf das Pils des Regisseurs nur Analkoholika) und zieht sich hinter den Tresen zurück. Vor dem Autor liegt ein Drehbuch. Unter dem Titel „Der Tatort-Mörder“ steht gesperrt gedruckt „Drehfassung“.

Produzentin (flüsternd): Ihr wisst, weshalb wir uns hier treffen?
Alle nicken, der Autor spitzt konzentriert seinen Bleistift.

Autor (mit deutlicher Verzögerung): Ne, ich nicht.

Produzentin (flüsternd): Wegen dem Wirt.

Autor: Hä?

Redakteur (flüsternd): Mein Cousin braucht dringend Unterstützung. Hat sich mit der Kneipe total verhoben und wollte sich schon zwei Mal umbringen.

Autor: Ah.

Produzentin: Wisst ihr, dass ich mich richtig auf diese Besprechung gefreut habe? Also, wegen mir können wir diese Fassung so drehen – bis auf ein paar Dialogänderungen vielleicht.

Der Autor strahlt.

Dramaturgin: Mir ist da noch ein Fehler aufgefallen. Im siebten Bild sagt Berger: Haben Sie einen Durchsuchungsbefehl?

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Regisseur (stöhnt): Berger. Das ist jetzt mein dritter Berger im dritten Film. Können wir den nicht anders nennen? Kowalczyk zum Beispiel?

Autor: Kowalczyk, gern.

Notiert es.

Dramaturgin: Es heißt aber Durchsuchungsbeschluss.

Der Regisseur starrt auf ihre Brüste.

Autor: Habe ich doch geschrieben. (blättert) Mich nervt es furchtbar, dass das immer wieder falsch gemacht wird. Da … (stutzt) Aber, wie kommt das denn da rein?

Schweigen.

Redakteur: Ich habe mir erlaubt, das zu korrigieren.

Autor: Was? In meinem Drehbu …

Redakteur: Der Zuschauer ist es so gewohnt, da sollten wir ihn nicht ohne Not verwirren.

Autor: Aber, das geht doch nicht, dass Sie, ohne mich zu fragen …

Redakteur (unterbricht): Ich möchte jetzt mal von unserem Kommissar wissen, wie die Geschichte auf ihn wirkt. Ich meine, ist sie wirklich spannend?

Der Autor zuckt zusammen.

Schauspieler: Na ja, ich habe nach fünf Seiten gewusst, wer der Mörder ist.

Produzentin: Die Mörderin.

Schauspieler: Wieso?

Produzentin: Weil es nicht Berger war, sondern seine Frau.

Regisseur: Frau Kowalczyk.

Schauspieler: Echt? Das versteht man aber nicht. Egal. Außerdem habe ich im Vergleich zu diesem Berger …

Regisseur: Kowalczyk. Bitte, nur noch Kowalczyk.

Schauspieler: … viel zu wenig Dialog.

Autor: Weil du so angelegt bist, dass du lange nur beobachtest, dir deine Gedanken machst und am Ende völlig überraschend zuschlägst.

Schauspieler: Und dann werden meine Blicke wieder weggeschnitten, weil wir zu lang sind.

Regisseur: Wir sind deutlich zu kurz.

Autor: Das kann nicht sein. Das Buch ist 20 Seiten länger als mein letzter Tatort.

Regisseur: Den hat auch Großkopf inszeniert, die Schnecke.

Seite 2: Nach über 40 Tatorten findest du doch alles langweilig

Redakteur: Noch mal: Ist dieses Buch wirklich spannend?

Der Autor beginnt, seinen Bleistift zu zerkauen.

Schauspieler: Also, wenn Sie mich so fragen: Nein.

Autor: Nach über 40 Tatorten findest du doch alles langweilig.

Schauspieler: Stimmt nicht. Ich lese gerade ein Drehbuch, das ist wirklich spitzenmäßig.

Redakteur: Zum Beispiel glaubt kein Zuschauer, dass die Frau eines Kommissars wirklich umgebracht wird.

Dramaturgin: Aber, dass sie gefoltert wird, fand ich schon interessant. Mich hat das an „American Psycho“ erinnert.

Regisseur (animiert): Vielleicht sollten wir das mehr ausreizen. Haben Sie da Ideen?

Dramaturgin (nickt eifrig): Mir fehlt da zum Beispiel ein Messer. Ein langes, blitzendes Messer. Phallus-Symbol.

Autor: Schreibe ich euch gern rein. Aber habt ihr keine Angst, dass darunter die Szenen mit dem Hungerstreik der Flüchtlinge leiden?

Produzentin: Die fand ich ja sehr klischeehaft. Und wahnsinnig aufwendig!

Autor: Klischeehaft? Ich habe zwei Wochen in Flüchtlingsheimen recherchiert.

Regisseur: Davon merkt man leider nichts. Aber, ich mache euch das. Müssen ja keine Flüchtlinge sein.

Autor: Aber, natürlich. Das ist doch das Thema.

Redakteur: Ach, ich soll noch vom Chef grüßen: Er hätte das Ganze gern komischer.

Alle: Komischer?

Redakteur: Ein bisschen mehr Richtung Münster-Tatort.

Schauspieler: Müns-ter!? Scusi, aber dafür müsst ihr euch einen anderen suchen. Ich bin doch kein Zirkusclown.

Produzentin: Leute, bitte, lasst uns beim Buch bleiben. Wir drehen in zehn Tagen. Ich muss die Locations klarmachen. Wenn wir das Flüchtlingsheim nicht mehr brauchen …

Autor: Doch, unbedingt.

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Regisseur: Wie fändet ihr ein Bordell?

Autor: Für meine Flüchtlinge?

Regisseur: Die, die schaffen da an.

Dramaturgin: Cool.

Autor: Das sind Jungs.

Regisseur: Mein Gott, dann putzen die da halt.

Autor: Aber …

Der Redakteur hat die ganze Zeit im Drehbuch hin- und hergeblättert.

Redakteur: Ich sage jetzt mal was Ketzerisches: Wie wär’s, wenn wir diesen Berger ganz rausnehmen?

Regisseur: Kowalczyk.

Autor: Aber er ist der Gegenspieler. Ohne ihn …

Redakteur: Dann wären wir auch das Problem mit der Vorhersehbarkeit los.

Autor: Aber die Frau vom Berger ist so ein Mäuschen, die käme von selbst nie auf die Idee mit dem Mord.

Regisseur: Ich hätte da übrigens eine sensationelle Besetzung. Der Vroni ist gerade was geplatzt.

Redakteur (erregt): Sie glauben, die Vroni spielt das?

Regisseur: Wenn wir das Buch entsprechend überarbeiten.

Autor: Die Ferres als magersüchtige 25-Jährige?

Regisseur: Ich mache euch das. Mit der Vroni kriege ich das hin.

Autor: Aber wenn die Berger … Er blättert verzweifelt in seinem Buch.

Dramaturgin: Kowalczyk.

Autor: … die Szenen von ihrem Mann übernimmt, müsste sie ja an drei Orten gleichzeitig sein.

Redakteur: Wie lange schreiben Sie eigentlich schon Tatort?

Autor: 19 Jahre, wieso?

Redakteur: Weil Sie doch sehr klassisch denken.

Seite 3: Das mörderische Ende

Autor: Klassisch? Ich? Überhaupt nicht. Ich kann einfach nicht völlig unlogische Dinge schreiben.

Redakteur: Der Zuschauer ist inzwischen so geübt im Krimigucken, der setzt bestimmte Dinge einfach voraus.

Produzentin: Die Logik passiert in der Lücke, sozusagen.

Autor (entgeistert): Die Logik passiert in der Lücke.

Redakteur: Genau. Ich würde sagen, so machen wir das. Er winkt dem Wirt. Jetzt darfst du mir ein Glas von deinem Chardonnay bringen.

Regisseur: Mir noch ein Pils.

Produzentin: Wodka.

Schauspieler: Un’ espresso doppio macchiato.

Wirt: Was?

Schauspieler: Scusi, ich habe grade zwei Wochen in Spanien gedreht. Milchkaffee.

Autor: Kamillentee.

Alle machen höhnisch Geräusche des Bedauerns.

Produzentin: Peter, das kriegst du doch hin. Der Autor schaut auf seine Aufzeichnungen.

Autor: Berger raus, statt Flüchtlingsheim Bordell. Folterszene ausbauen, langes, blitzendes Messer. Komischer werden. Logik im Off. Vroni Ferres als 25-jährige Magersüchtige. Wie soll das alles zusammengehen?

Redakteur: Ich bin nicht der Autor, aber das geht.

Schauspieler: Ja, ich habe da ein gutes Gefühl.

Produzentin: Wie lange wirst du brauchen, Peter, zwei Tage, drei Tage?

Der Autor ist totenbleich. Er pumpt.

Autor: Habt ihr je drüber nachgedacht, was es für einen Autor bedeutet, wenn bei jeder Besprechung alles wieder auf den Kopf gestellt wird? Das ist die neunte Fassung. Bei der dritten hieß es: So machen wir das, es geht nur noch um ein paar klitzekleine Änderungen. Ich habe immer alle Bestellungen Punkt für Punkt abgearbeitet und jetzt …

Redakteur: Vielleicht war das der Fehler: Wir bestellen nichts, wir versuchen nur, mit unseren Anregungen zu helfen.

Autor (außer sich): Helfen? Ihr quatscht alles kaputt.

Entsetztes Schweigen. Der Autor merkt, dass er eine rote Linie überschritten hat.

Autor: Sorry, tut mir leid. Vergesst das, bitte.

Redakteur: Also, ich muss mich schon sehr wundern. Ich habe Sie immer für einen Profi gehalten …

Autor: Das bin ich auch. Ich mache das. Morgen habt ihr die neue Fassung.

Redakteur: Ich möchte aber nicht, dass Sie als Autor das Gefühl haben, nur unseren Quatsch umgesetzt zu haben.

Autor: Das habe ich nicht. Ehrlich nicht.

Produzentin: Ich glaube, das hat er echt nicht so gemeint.

Schauspieler: Ja, er weiß doch, was für ein Privileg es ist, einen Tatort für mich schreiben zu dürfen.

Der Redakteur mustert den Autor weiter misstrauisch.

Autor: Muss ich mich jetzt entleiben, damit Sie mir glauben?

Produzentin: Glückwunsch, das ist die Idee des Tages. Dann zahlt die Ausfallversicherung.

Der Autor greift melodramatisch zu der Lichterkette hinter sich, macht eine Schlinge und legt sie sich um den Hals.

Schauspieler: Jetzt komm, Peter. Ist schon klar, dass das noch mal ein ziemlicher Brocken ist. Aber du packst das. Und was du nicht mehr hinkriegst, improvisiere ich dir.

Autor (schreit auf ): Improvisierst du mir?

Er zieht die Schlinge zu. Da sprühen Funken, ein Feuerball rast die Lichterkette entlang, verschwindet in der Steckdose.

2. Küche (innen/Tag )

Der Feuerball verlässt die Steckdose auf der anderen Seite der Wand, rast ein Stromkabel entlang, das in einem maroden Wasserkocher endet. Der Wirt gießt gerade heißes Wasser über den Kamillenteebeutel. Der Kocher beginnt in seiner Hand zu glühen. Er kann ihn nicht loslassen und bricht mit einem erstickten Schrei zusammen. Dann ein Knall, die Lichter gehen aus.

Autor (off): Was ist denn jetzt los?

Sich nähernde Schritte. Stimmen im Dunkeln.

Redakteur (off): Sie haben ihn umgebracht! Sie Mörder!

Dramaturgin (off): Mord? Ist das nicht eher Totschlag?

Autor (off): Höchstens fahrlässige Körperverletzung mit Todesfolge.

Produzentin (off): Wir müssen die Polizei rufen.

Schauspieler (off): Was denn? Das mache ich. (im Kommissarston) Herr Redakteur, Sie haben gesagt, Ihr Cousin wollte sich sowieso umbringen?

Alle: Aber dann ist doch alles in Ordnung.

Illustrationen: Leif Heanzo

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