Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
(picture alliance) Martin Wuttke hält den Theaterpreis "Der Faust" in den Händen

Molière, Tatort & Tarantino - Martin Wuttke, der Theaterberserker

Wenn er spielt, kennt er keine Grenzen: Schauspieler Martin Wuttke. Das beweist er ab Juni auf der Bühne des Berliner Ensembles. Wie es gelingen kann, Molière, den „Tatort“ und Quentin Tarantino unter einen Hut zu bringen

Woran liegt es, wenn ein Schauspieler auch in einer turbulenten Inszenierung auf einer schummerig ausgeleuchteten Bühne ganz gewiss nicht zu übersehen ist? An der Körpergröße sicherlich nicht, sonst wäre Martin Wuttke nicht dorthin gekommen, wo er ist: An die renommiertesten Theater in Berlin, Hamburg, München, Zürich und Wien. Er hätte auch nicht mit den interessantesten Regisseuren des Landes zusammengearbeitet, wie früher mit Ruth Berghaus oder Einar Schleef und heute mit Frank Castorf oder René Pollesch. Und schließlich hätte er es wohl auch nicht in den „Tatort“ aus Leipzig geschafft, mit dem er sich als ruppiger Kommissar Andreas Keppler an der Seite von Simone Thomalla ein Massenpublikum erobert hat.

Martin Wuttke ist physisch kein Hüne, aber wenn er spielt, kennt er keine Grenzen. Ob mit einem gebrochenen Arm auf der Bühne oder mit einem Muskelfaserriss vor der Kamera, Wuttke ist nicht zu halten. Und auch schwer zu kriegen, denn der spielwütige Vielbeschäftigte ist eigentlich dauernd unterwegs. Sogar als ihn Quentin Tarantino 2008 für seinen Film „Inglourious Basterds“ als Hitler engagierte, musste er sich die Drehtage mühsam freischaufeln, weil er gerade in Wien ein neues Stück probte.

Gibt es Tricks, um sich in ein paar Stunden im Flugzeug auf derart konträre Aufgaben vorzubereiten? „Ich weiß keine“, sagt er, „es ist einfach nur anstrengend – man muss versuchen, sich zu konzentrieren und bei sich zu bleiben, ohne sich in dem Gewirr der vielen Anforderungen zu verlieren.“ Dennoch: Obwohl sich Wuttke gemäß dem Prinzip der permanenten Überforderung stets ein unglaubliches Pensum auflädt, zählt das Umstellen nicht gerade zu seinen Stärken: „Ich leide ziemlich darunter, denn eigentlich benötige ich einen langen Anlauf, ehe ich mich auf etwas eingeschossen habe.“

An Erfahrung dafür mangelt es ihm allerdings nicht. Der 50-jährige Gelsenkirchener steht seit bald 30 Jahren auf der Bühne, zuerst in Frankfurt am Main, wo er mit dem legendären Einar Schleef arbeitete. Dann holte ihn Heiner Müller ans Berliner Ensemble und besetzte ihn 1995 mit der Hauptrolle in Bertolt Brechts „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“. Diese Aufführung läuft nach wie vor bestens und gastiert in der ganzen Welt.

Jetzt sitzen wir in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, die Wuttke, „selbst wenn das pathetisch klingt“, als sein „künstlerisches Zuhause“ bezeichnet, obwohl er inzwischen fest zum Ensemble des Burgtheaters gehört. Nach Jahren extremer kreativer Gratwanderungen hatte er einen Tapetenwechsel gebraucht. Als ihn der Intendant Castorf jedoch kürzlich mit der Frage köderte, ob er nicht wieder einmal Regie führen wolle, sagte er sofort zu – und wünschte sich verwegen gleich drei Stücke von Molière. Also spielt er die Titelrollen in „Der eingebildete Kranke“ (Regie: Wuttke), „Der Geizige“ (Regie: Castorf ) und im Herbst in „Don Juan“, bei dem die Regie noch offen ist. Wieder so eine Überforderung voller harter Brüche. Die Proben für die ersten beiden Komödien, die im Juni Premiere haben, finden parallel zueinander statt. Wuttke muss daher täglich zwischen den Rollen (Argan und Harpagon) und den Funktionen (Regisseur und Darsteller) hin und her springen.

Der etwas aus der Mode geratene französische Klassiker und Martin Wuttke – man würde nicht vermuten, wie gut das zueinanderpasst. „Der war kein Poet, der an seinem Schreibtisch im stillen Kämmerlein gedichtet hat“, sagt Wuttke über Molière. „Seine Stücke sind aus der konkreten Theaterpraxis entstanden. Er hat sozusagen von der Bühne aus geschrieben, das bildet sich in seinen Werken ab.“ Auch er selbst ist ein Theaterberserker, ein Mann der Praxis. Er redet, wenn er muss, aber viel lieber ist es ihm zu spielen.

Vielleicht hat er das von seinem Vater, der Schlosser war und den Weg seines Sohnes „immer latent besorgt“ verfolgte. Erst als er nach Heiner Müllers Tod ein Jahr lang Intendant des Berliner Ensembles war, also einen Chefposten innehatte, konnte er seinen Vater beruhigen. Damals war er bereits mit der Schauspielerin und Fotografin Margarita Broich verheiratet. Aber wird es einem nicht irgendwann zu viel mit der Bühne, wenn man sogar noch mit der Frau darauf steht? „Wir haben uns mehr oder weniger so kennengelernt, insofern ist das selbstverständlich.“

Weil das Paar zwei Söhne hat und der jüngere alleine zu Hause ist, bittet er um Entschuldigung dafür, dass er sein Handy nicht ausschaltet. Der Kleine solle ihn jederzeit erreichen können. Wie außergewöhnlich es auch ist, was Martin Wuttke in seinem Beruf leistet, für ihn ist das weder groß noch klein, weder richtig noch falsch. Es ist einfach selbstverständlich.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.