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Medien und Meinungsbildung - Hochmut nach dem Fall

Kisslers Konter: Die Zeitungen sterben. Der Grund: An den Lesern wird vorbei geschrieben. Gerade in der Russlandberichterstattung oder im Umgang mit Akif Pirinçci zeigt sich dies beispielhaft. So geht man mit den Lesern nicht um

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Viermal im Jahr trägt die Zeitungsbranche Trauer. Dann werden die Verkaufszahlen für das jeweils zurückliegende Quartal veröffentlicht. In der Regel regiert das Senkblei. Von links oben nach rechts unten verläuft die Kurve, die längst keine Kurve, sondern vielerorts eine Gerade ist, ungebremst auf dem Weg zur Nulllinie. Sehr vielen Zeitungen und sehr vielen Zeitschriften laufen die Leser davon, sterben die Abonnenten aus. Die meisten Produkte, die die Händler feilbieten, wird es in zehn Jahren nicht mehr geben.

Die Entfremdung macht Fortschritte
 

Die Gründe sind bekannt: Eine ganze Generation wächst heran, die sich ihre Informationen online frei zusammenstellt, ohne den Umweg über bedrucktes Papier. Empfehlungen von Freunden ersetzen die Ratschläge von Verbraucherjournalisten und Leitartiklern. Zeitungen sind, kaum gekauft, schon veraltet. Die generelle Unlust am Wort in einer hochnervösen, teils neurotischen Bilderkultur tut Ihr Übriges. Ist es da ein Wunder, dass es im ersten Quartal 2014 auch die bisher letzten Anker der Stabilität erwischt hat? Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung verlor im Vergleich zum Vorjahr über acht Prozent an Verbreitung, „Die Zeit“ fast zehn Prozent im Einzelverkauf, die „Süddeutsche Zeitung“ über drei Prozent. Auch die FAZ musste mit einem Minus von sechs Prozent in der Verbreitung und über elf Prozent im Einzelverkauf ordentlich Federn lassen.

Der vielleicht entscheidende Grund für die kollabierende Leserbindung lautet aber: Immer mehr Menschen haben den Eindruck, da werde an ihrem Leben, ihren Eindrücken, ihren Haltungen vorbei geschrieben. Da bastle sich eine abgehobene Medienelite die Welt, wie sie ihr und nur ihr gefalle. Da herrsche der teils übellaunige, teils zwangsironische Nörgelton der Hyperkorrekten und Dauerbesorgten, der Schönredner und Weggucker und Besserwisser. Längst aber sei – um bespielhaft den Namen eines routinierten Leitartiklers der SZ aufzurufen – alles der Fall, was eben nicht der (Heribert) Prantl ist. Man achte nur auf die stetig wachsende Schere zwischen dem Tenor der jeweiligen Kommentare zum Weltgeschehen und den Leserbemerkungen gleich darunter. Die Entfremdung macht Fortschritte. Leser an Medium: du lügst, es ist ganz anders. Medium an Leser: Schnauze.

Natürlich soll sich der Leser, das scheue Wesen, umgarnt und ernstgenommen fühlen. Er gehört schließlich zu den aussterbenden Spezies. Doch ganz ohne Belehrung geht es nicht. Der Deutschlandfunk etwa – keine Zeitung, doch ebenfalls im Sturmfeuer der Rezipientenkritik – hat schon mehrere Male zur großen Selbstrechtfertigung angesetzt: ein bemerkenswerter Vorgang. Anlass war die Russlandberichterstattung, die sehr vielen Hörern bitter aufstieß, weil sie Putin zu hart anfasse. Die zum Studiogespräch geladenen Experten und Journalisten nahmen die Vorwürfe dann zwar auf, sahen aber eher in deren Tonfall denn in der hierfür ursächlichen Kommentarlage des Senders ein Problem. Der Hörer fand sich in die Patientenrolle gedrängt.

Die Zeit richtet über Pirinçci-Anhänger
 

Auch „Die Zeit“ setzte sich nun auf die Anklagebank. Ausführlich schildert ein Journalist seine Versuche, zu den Befürwortern jenes Buches von Akif Pirinçci vorzudringen, das im Feuilleton der „Zeit“ allen Ernstes in die Nähe von Adolf Hitlers Programmschrift „Mein Kampf“ gerückt wurde. Statt nun aber den missglückten Vergleich und dessen Spätfolgen zu problematisieren, wurde die wütende Leserschar unter Kuratel gestellt. Der Journalist gibt den Küchenpsychologen und teilt einer erregten Leserin öffentlich mit: Die Dame wolle einfach „das Deutschland ihrer Jugend zurück, die fünfziger und sechziger Jahre. Sie möchte etwas Unmögliches haben, und weil sie nicht zugeben will, an eine Utopie zu glauben, glaubt sie Pirinçci jedes Wort.“ Im Klartext: Leserbriefschreiberin Renate, du bist von gestern, du arme, du verstockte Person. Es ist der Hochmut nach dem Fall, der aus solchen Zeilen spricht.

Zu Beginn der vulgärpsychologischen „Reise zu Pirinçcis Anhängern“ fragt der Journalist rhetorisch: „Wer setzt sich stärker über wessen Realität hinweg, wer ist kurzsichtiger – wir, die Journalisten meinungsbildender Blätter, oder die aufgebrachten Leser?“ Genau hier liegt der Hund begraben: In vielen Redaktionsstuben wird der Mythos vom „meinungsbildenden Blatt“ weiter gepflegt. Als könne es anno 2014 tatsächlich Medienprodukte geben, die es sich zum Ziel setzen, die Meinungen ihrer Konsumenten zu bilden, herzustellen, eine Meinungsherrschaft auszuüben. Sehr viel Nostalgie und tatsächlich eine Ausblendung von Realitäten spricht aus diesem Selbstlob.

Als Noam Chomsky den Medien einst vorwarf, ihr Geschäftsmodell laute „manufactoring consent“, Konsens zu fabrizieren, Meinungen zu bilden, war das Internet frisch erfunden und mit Telefonen konnte man nur telefonieren. Das ist 25 Jahre her und sowas von Eighties. Wer hat hier den Schuss nicht gehört?

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