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(picture alliance) Für die Christen der Fisch am Freitag, für die Juden das Matzebrot während des Pessachfestes – religiöse Traditionen schmecken nicht jedem

Gebote und Verbote - Matzebrot mit Blutwurst?

Die großen Religionen sorgen auch in der Küche für kleine Einschnitte. Doch wer die Bräuche der Glaubensgemeinschaften als abstrus und nostalgisch verspottet, sollte sich überlegen, was nach ihnen kommen könnte

Ob es um Moscheen, den Zölibat oder Beschneidungen geht: Religiöse Traditionen schmecken vielen nicht mehr. Den Kritikern geht es dabei selten um das Heilsversprechen der Glaubensrichtungen als vielmehr um ihre Riten, die überwiegend aus dem alten Orient stammen. In unserer säkularisierten Gesellschaft scheint es kaum noch verständlich, dass Sitten und Bräuche gepflegt werden, die auf eine Reglementierung oder gar eine Verletzung hinauslaufen. Das gilt auch und besonders für die zahlreichen Gebote, die Nahrungsmittel betreffen.

Es sind zumeist genießbare und oft auch wohlschmeckende Speisen, von denen die Gläubigen Abstand nehmen sollen. Die Ursprünge dieser Verbote liegen oft im Dunkeln und sind schwer vermittelbar. Nicht zuletzt deshalb werden sie streng überwacht. Die Unreinheit des Schweinefleischs etwa wird meistens auf hygienische Vorbehalte aus fernen Zeiten und exotischen Klimazonen zurückgeführt. Anderen Erklärungen zufolge entspringt sie dem Wunsch, die Haltung von Vieh zu verhindern, das im Leben als Nahrungskonkurrent auftritt und lediglich nach seinem Tod zum Nutztier wird. Vorschriften wie die Tötungstechnik des Schächtens leiten sich aus einem moralischen Vorbehalt ab: Das Blut als Träger der Seele soll vom Verzehr ausgeschlossen sein.

Die herrschende Meinung verurteilt solche Überlegungen als abseitig. Als lächerlich gewordene Zeugnisse überkommener Epochen werden sie umstandslos einer abstrusen Nostalgie zugerechnet, ähnlich der Fastenzeit und dem Fischgericht am Freitag. Doch man sollte über diese religiösen Gebote den Stab nicht zu schnell brechen – Einschränkungen können auch etwas Befreiendes haben: Wer hat nicht schon vor einer langen Speisekarte gesessen und unter der Unschlüssigkeit gelitten, die eine große Auswahl mit sich bringt? In solchen Situationen wünscht man sich ein Regelwerk. Außerdem stiften Tabus immer auch ein Zugehörigkeitsgefühl. Wer mit Gleichgesinnten das Matzebrot bricht, bildet eine Gemeinde – eine Insel der Seligen im Meer aus anderen.

Der Ansehens- und Mitgliederverlust der großen Glaubensgemeinschaften hat eine Lücke hinterlassen. Der Wunsch, die Welt an der Tafel in Gut und Böse zu scheiden, besteht jedoch weiter. Agnostiker essen ihren Fisch vielleicht am Sonntag, aber niemals mehr Viktoriabarsch, weil sie dessen Zucht und Transport für unethisch halten. Die Zahl der Vegetarier in unserem Land nimmt stetig zu. Auch die vielfältigen Allergien und Unverträglichkeiten stiften im Chaos der Vielfalt eine neue Liturgie. Gerade Köche der Hochgastronomie klagen über Gäste, die mit ihren Forderungen nach gluten- und laktosefreien Zubereitungen und ellenlangen Ausschlusslisten mit verbotenen Früchten die Küche vor ernste Probleme stellen. Man kann sich gut vorstellen, dass sich manch einer die Segnungen einer religiösen Ordnung zurückwünscht. Immerhin absorbiert ihre Autorität die Marotten, die in einer kirchenfreien Welt regelrecht aufblühen.

Sosehr man spotten mag über die mystischen Bräuche der Glaubensgemeinschaften – wer sie auf dem Altar der Vernunft opfern will, sollte bedenken, was danach kommen könnte. Schon jetzt ermöglicht das Studium des Kochbuchangebots der verschiedenen ethischen und esoterischen Richtungen einen Ausblick auf eine Welt ohne Gottesfurcht, die von zahllosen anderen Ängsten beherrscht wird. Bei all dem, was dort verteufelt wird, bleibt für den Speiseplan nur eine kleine Auswahl – immer begleitet von dem Mantra, es schmecke auch sehr gut ohne die verfemten Zutaten. Parmesan zum Beispiel ersetzt die vegane Küche mit einem Gemisch aus Hefeflocken und Semmelbröseln aus Dinkelbrot. Nicht wenige wird es bei solchen Aussichten gruseln, und sie werden sich fragen, ob man mit den kleinen Einschnitten der hergebrachten Religionen nicht besser dran gewesen wäre.

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