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(picture alliance) Haben für ihr Engagement für die Stadt Berlin den Landesorden erhalten: Sammlerpaar Ulla und Heiner Pietzsch

Kunstsammler Heiner Pietzsch - „Man muss auch Fehler kaufen!“

Die hauseigene, millionenschwere Kunstsammlung will das Ehepaar Pietzsch dem Land Berlin schenken. Für Cicero Online erzählt Heiner Pietzsch von seinen Sammlererfahrungen, den Gesetzen des Kunstmarkts und seinem tiefen Verhältnis zur Kunst. Kann man Kunstinstinkt lernen? Eine Antwort in Anekdoten aus 50 Jahren

Herr Pietzsch, wie kommt es, dass Sie sich in Ihrem Leben so viel mit Kunst beschäftigt haben?
1946 war ich 16 Jahre alt, der Krieg war zu Ende. Mit der Schulklasse besuchten wir in Dresden die Allgemeine Deutsche Kunstausstellung, die bei uns den Untertitel „Ist das entartete Kunst?“ hatte, weil vor allem Bilder gezeigt wurden, die in der Nazizeit verboten waren.
Irgendetwas gab es da, sodass ich angefangen habe, mich mit einzelnen Künstlern, mit Stilrichtungen und so weiter zu beschäftigen. Ich kann nicht erklären, warum ich das gemacht habe. Damals hat mich eigentlich Fußball interessiert und trotzdem bin ich danach noch ein halbes Dutzend mal alleine in die Ausstellung gegangen.

Was hat Sie und Ihre Frau beim Kunstkauf angetrieben?
Wir haben nicht fürs Museum gesammelt, sondern für uns, ganz egoistisch die Bilder, die wir gerne kaufen wollten. Ich wollte immer mal ein Buch schreiben über ein „Musee imaginaire“, wo all die Bilder drin sind, die ich in der Hand hatte und hätte kaufen können, wenn ich sie hätte kaufen können. Das sind sehr viele Bilder, weil wir keine reichen Erben sind, sondern eine kleine, aus 50 Jahren Selbstständigkeit entstandene Firma, die immer das Geld in der Firma lassen musste. Alles, was wir rausgenommen haben, haben wir in die Kunst gesteckt und in das Haus, das sie beherbergt. Eine Jacht oder die großen Autos – das haben wir alles weggelassen.

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Haben Sie noch ein Kunstwerk besonders in Erinnerung, das Sie gerne gekauft hätten?
Wie lange haben Sie Zeit? (lacht) Es gibt verschiedene Stücke. Unter den wenigen Skulpturen des Surrealismus gibt es von Giacometti das „objet invisible“, eine Frauenfigur, die ihre Hände zusammenhält, in denen aber nichts drin ist.  Für mich die Figur des Surrealismus schlechthin. Aber sie ist nicht zu kriegen. Käme sie auf den Markt, würde ich sie mit Sicherheit nach den heutigen Preisen nicht mehr bezahlen können.

Sie haben also zu einer günstigen Zeit Surrealisten gesammelt?
Ja, damals war das Sammeln noch nicht in. Als meine Frau und ich vor knapp 50 Jahren anfingen, Kunst zu kaufen, taten wir das, um sie als Dekoration an die Wände unserer ersten größeren Wohnung zu hängen. Dann kamen Freunde zu Besuch und sagten: „Mein Gott, ist das eine schöne Wohnung, wenn da nicht die hässlichen Bilder an der Wand hängen würden!“ (lacht) Das „Spiegelei“ von Arp zum Beispiel verstand kein Mensch. Das hat sich total geändert. Sammeln ist heute in. Kunst ist in. Dafür waren damals die Preise unten.

Lassen Sie sich von Heiner Pietzsch zwei seiner wichtigsten Werke vorstellen...

Es kommen ungefähr 100 Ihrer Bilder nach Berlin, von insgesamt 200…
So ist es. Es sollen vor allem die Museumsbilder rein. Wir haben zum Beispiel einen Max Ernst, das ist ein Stück Kunstgeschichte: 1942 hat Max Ernst eine Leinwand auf den Tisch gelegt und an die Decke eine mit schwarzer Farbe gefüllte Büchse gehängt, die ein Loch hatte. Er hat diese Büchse über dem Bild gedreht – so kamen Kleckse und Kreise zusammen. Und die Peggy (Anm. d. Red.: Peggy Guggenheim) hat dieses Bild genommen und ist damit zu Pollock gegangen…

…diese Dripping-Methode kennt man ja eigentlich von Jackson Pollock…                                                                       
…ja, aber sie kommt eben von Max Ernst! Pollock hat dessen Bild gesehen und die Methode verändert, indem er die Farbe vom Pinsel hat tropfen lassen. So ist sein berühmtes All-Over-Dripping entstanden. Als fünf Jahre später Max Ernst zurückkam – mittlerweile von Peggy geschieden – zeigte sie ihm, was Pollock aus seiner Idee gemacht hatte. Max hat gesagt: „Das soll der Pollock weiter machen, das kann er besser als ich!“ In sein eigenes Bild hat er nachträglich eine Maske in die Klekse gemalt, von der er behauptet, es sei das Gesicht von Pollock. Dieses Bild hat Kunstgeschichte mitgestaltet. Das soll doch nicht irgendwo in die Welt verschwinden! Es gehört in die Nationalgalerie!

Welche Bilder retten Sie noch fürs Museum?
In der Sammlung gibt es zehn, zwölf Bilder, die auf dem Markt überhaupt nicht mehr zu haben sind. Zum Beispiel von diesem hellbraunen Miró von 1925 gibt es 15 Stück, die er auf Mallorca gemalt hat. 14 davon hängen in Museen, das 15. hängt bei uns. Vor ein paar Jahren haben wir es noch mit 3 Millionen versichert. Das Schwesterbild ist vor einigen Wochen in London für 13 Millionen verkauft worden.

Wenn wir das verkaufen würden, wäre es also weg. Es ist allerdings ein Schlüsselbild von Miró. Denn bis zum Jahre 1925 hat er gegenständlich gemalt, wie „Die Farm“, das lange Zeit im Besitz von Hemingway war. Es zeigt ein Farmhaus mit Kühen und Menschen. 1925 ging er nach Paris, war dort zusammen mit den Surrealisten und änderte seinen Stil komplett. Er nannte es den „goldenen Funken“, der ihn durchbohrt hätte – von diesem Moment an gibt es den eigentlichen Miro. Deswegen gehört das Bild ins Museum.

Ihre Sammlung soll zwischen 120 und 180 Millionen Euro Wert sein, doch Sie sprechen nicht gerne über diese Zahlen…
In der Presse wird gerne über die hohe Menge Geld berichtet. Für uns hat dieses Geld ehrlich gesagt immer nur insofern eine Rolle gespielt, inwieweit es uns ermöglichte, die Bilder, die wir haben wollten, zu kaufen. Wir hätten nicht gerne 150 Millionen Euro geschenkt, sondern schenken Bilder, die heute nicht ohne weiteres käuflich sind.

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Der finanzielle Aspekt hat also nur eine untergeordnete Rolle gespielt?
Ja. Natürlich gibt es auch andere Sammler, die in eine wirtschaftliche Notlage geraten und beschließen, Kunst zu verkaufen. Jemand, der sich Aktien kauft und sie in einer Notlage wieder verkauft, um die Firma und damit Arbeitsplätze zu retten, tut ja auch nichts Schlechtes.

Es ging Ihnen also nicht um die Investition…
Nie. Dann hätten wir nicht so gekauft. Bei jedem Bild, das wir verkauft haben, war es als wenn ein Kind aus dem Haus geht. Wenn jemand kommt und mir 20 Millionen für ein Bild bietet, sage ich: Behalte dein Geld. Es ist nicht zu haben. In einer Notlage mag das vielleicht anders sein. Aber wir haben nie gekauft, um zu verkaufen.

Als die deutsche Kunst Bedeutung kriegte, – mit Kiefer, Baselitz, Penck – kauften wir auch einen Baselitz – damals noch für 40.000 DM – und einen Richter für 60.000 DM. Weil wir sie aus Platzmangel nicht hängen konnten, standen sie viel bei Hasenkamp im Lager. Wir haben sie auch für Ausstellungen ausgeliehen und sind ihnen hinterhergereist. Bis wir merkten, dass das nicht unsere Art ist, Kunst zu sammeln. Ich will mit der Kunst leben! Wir wollten nicht, dass die Bilder im Lager herumstehen - also haben wir sie verkauft. Viel zu früh – heute würde man sehr viel mehr Geld dafür kriegen!

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Was gibt Ihnen die Kunst, wenn Sie mir ihr leben?
Kraft. Kraft. Ich bin jetzt ein alter Herr – und ich sitze mittags hier und gebe ein Interview. Das wäre vor 25 Jahren nicht möglich gewesen. Als der große Kampf um die 35-Stunden-Woche ging, habe ich darum gekämpft, nicht mehr als 70 Stunden in der Woche zu arbeiten. Wenn ich dann abends müde und kaputt nach Hause kam, habe ich mich in die Sammlung gesetzt, die Bilder angesehen und der Alltag fiel ab. Am nächsten Tag hatte ich wieder Lust und Kraft, weiterzuarbeiten.

Es gibt aber auch bei der Kunst einen reziproken Wert: Wenn ich ein oder zwei Stunden durch ein Museum gehe, bin ich danach völlig geschafft, als hätte ich gearbeitet. Ein Freund von mir konnte das nicht verstehen, er wollte danach mit mir noch ein Bier trinken gehen. Doch ich musste erst mal zur Ruhe kommen. Beim nächsten Mal bin ich mit ihm durchs Museum gegangen und habe ihm die Bilder und ihre Entwicklung erklärt. Zum Schluss sagte er: Um Gottes Willen, das war ja ein Arbeitstag! Kunst gibt und nimmt Kraft.

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Wer weiß heutzutage noch von dieser Qualität der Kunst?
(seufzt) Wahrscheinlich sind es einige. Aber wie viele von denen sind vom Markt besessen und wie viele von der Kunst? Der Markt hat eine Kraft, die mir überhaupt nicht gefällt. Das Geschäft hat Spekulanten angelockt, die den Markt noch weiter nach oben treiben. (Pause) Ach, doch ich glaube, es sind mehr, die sich für die Kunst interessieren. Die Kunst lässt sich nicht vergewaltigen. Sie setzt sich durch. Die Spekulanten werden sich dann lieber wieder dem Pferderennen zuwenden.

Der Kunstmarkt wird sich also wieder beruhigen?
Für Werke zweiter Qualität auf jeden Fall, für die Spitzenwerke: nein. Denn von denen gibt es nicht mehr. Das ist wie mit einem Grundstück: Wenn Sie es besitzen, kann ein zweiter das Grundstück nicht haben. Weniger gute Grundstücke, davon gibt es auch mehr. Aber so richtig gute – davon gibt es nur wenige. Genauso ist das mit den Bildern.

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Was wünschen Sie sich für Ihre Kunstwerke in 100 Jahren?
Es gibt ein Spielchen zwischen meiner Frau und mir – das ist natürlich nur Quatsch, wie man manchmal so Quatsch macht. Wir haben überlegt, dass wir beide zusammen 100 Jahre nach unserem Tod noch mal für 14 Tage auf die Welt kommen, nur um zu gucken, was in den Museen geblieben ist und wovon niemand mehr spricht. Was wird bleiben? Setzt unsere Kunst sich durch oder ist sie weg, so wie andere Kunstrichtungen weg sind?

Bisher gibt die Entwicklung Ihrem Kunstinstinkt Recht. Woran machen Sie Ihre Auswahl von Werken fest?
Oh, gar nicht. Am Auge. Am Auge.

Kann man das lernen?
Das kommt sehr automatisch, ja. Sie lernen zwischen Qualität und Nicht-Qualität zu unterscheiden, durchs Schauen und durchs Lesen. Ich habe sehr viel gelesen über Entwicklungen und einzelne Künstler. Ich kann zu jedem Bild, das wir gekauft haben, eine Hintergrundgeschichte erzählen. Das ist eine gute Lehre.

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Haben Sie auch Sachen gekauft, von denen Sie heute sagen: „Was für ein Blödsinn!“?
Ach Gott, wenn Sie die sehen wollen müssen wir raus zu Hasenkamp fahren! Wir haben sie nicht verkauft, denn auch die Fehler, die wir gemacht haben, sind ja Stationen der Sammlung. Also wurden sie schön aufbewahrt. Die kommen allerdings nicht ins Museum!

Sie verstecken die Fehlkäufe also?
Nö, verstecken nicht. Wir haben keinen Platz. Ich würde gerne mal nur diese Bilder hängen. Kämen die Leute dann und würden sagen: „Mein Gott, das ist ja wirklich Quatsch, was hier hängt!“ Oder sagen Sie trotzdem: „Was für tolle Kunst!“ und geben nicht zu, dass das Quatsch ist? So kann man auch viel Spaß mit der Kunst haben. Kunst ist nicht nur ernst.

Was können Sie jungen Menschen empfehlen, die heute Kunst sammeln wollen?
Gucken, gucken, gucken! Und auch Fehler kaufen. Bloß nicht unter dem Gesichtspunkt kaufen „Na, das wird bestimmt einmal wertvoll“ – das geht in die Hose. Nur nach der Kunst gehen.

Mit der Kunst von heute habe ich allerdings erhebliche Schwierigkeiten. Es gibt wenig Künstler, die mir gut gefallen. Bei einigen habe ich schon gedacht, dass Handwerker mitten in der Ausstellung arbeiten. Aber da waren keine Handwerker, das war ein Eimer voller Kunst (lacht), eine Lampe voller Kunst und eine Leiter voller Kunst… Damit kann ich im Moment nichts anfangen.

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Die Irritationen sind heute groß…
Ja! Nehmen Sie beispielsweise mal den Hirst, der packt dann einen Staubsauger in einen Glaskasten. Was soll sowas? Das ist nicht meine Kunst. Hirst will etwas sagen, aber es kommt bei mir nicht mehr an. Ich diskutiere häufiger mit meinem Freund Udo (Anm.d.Red. Udo Kittelmann, Direktor der Nationalgalerie) über Damien Hirst. Udo ist ja ein Hirst-Anhänger, er kann es auch wunderbar erklären, nur ich höre das nicht. Bei ihm ist das voll verinnerlicht. Er ist eben 40 Jahre jünger, es ist schon eine Generationsfrage.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Karoline Kuhla.
Fotos der Kunstwerke aus der Sammlung Pietzsch: Jochen Littkemann; © VG Bild-Kunst, Bonn 2012

Am 4. Juni 1930 in Dresden geboren, ist Heiner Pietzsch zunächst zum Elektroinstallateur ausgebildet worden. In den 50er Jahren wechselt er aus Ost- nach Westberlin und etabliert dort ein Geschäft für internationalen Kunststoffhandel. Knapp zehn Jahre später beginnt er, zusammen mit seiner Frau Ulla, Kunst zu sammeln. Ihre Kollektion beinhaltet Arbeiten der wichtigsten Maler der Klassischen Moderne, wie René Magritte, Joan Miró, Balthus, Hans Bellmer, Salvador Dalí, Paul Delvaux, André Masson, Yves Tanguy, Hans Arp, Henry Moore und gehört damit zu den wichtigsten deutschen Privatsammlungen in diesem Bereich. Ihr Gesamtwert wird heute auf 120-180 Millionen Euro geschätzt. 1977 ist Heiner Pietzsch an der Neugründung des Vereins der Freunde der Nationalgalerie beteiligt und engagiert sich dort jahrelang als Schatzmeister und Kuratoriumsmitglied. Im Sommer 2009 war ein Großteil der Sammlung Pietzsch in der Ausstellung „Bilderträume“ in der Neuen Nationalgalerie in Berlin zu sehen.

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