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Terror in der Karwoche - Der Unterschied zwischen dem christlichen und dem muslimischen Märtyrer

Kolumne: Grauzone. Das Märtyrerbild ist nicht in allen Religionen gleich: Im Christentum ist in der Opferbereitschaft Gewaltverzicht das oberste Gebot. Im Islam nicht unbedingt

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Das Zusammentreffen historischer Ereignisse oder Daten kann bedrückend sein. Bisweilen ist es aber auch entlarvend. Und manchmal beredt.

Zum Beispiel letzten Dienstag. Es ist der dritte Tag der Karwoche. Nach biblischer Überlieferung lehrte Jesus an diesem Tag im Tempel. Drei Tage später wurde er gekreuzigt.

Terroristen handeln primär aus Hass, nicht aus ideologischen Gründen
 

An diesem Kardienstag sprengten sich zwei Selbstmordattentäter in Brüssel in die Luft. Sie rissen 31 Menschen mit in den Tod und verletzten rund 300. Über ihre psychologische Motivation lässt sich nur spekulieren: Rache, soziale Frustration, Mangel an Anerkennung – das Psychokaleidoskop von Versagern. Der symbolischen Tragweite ihrer Bluttat angesichts der Karwoche waren sich die Täter wahrscheinlich nicht einmal bewusst.

Denn begangen haben sie ihre Taten im Namen des Islam. Nun wäre es billig und polemisch, die Taten der Terroristen monokausal auf den Islam zurückzuführen. Das gilt schon deshalb, weil Menschen selten aus ideologischen Gründen handeln. In der Regel ist es umgekehrt: Menschen handeln aus Ressentiments, aus Hass oder aus Bedrohungsgefühlen. Erst dann suchen sie sich die passende Ideologie dazu.

Der Islam hat eine Gewaltaffinität
 

An dem Punkt aber wird es interessant: Denn einige Ideologien eignen sich zur Rechtfertigung diffuser Hassgefühle deutlich besser als andere. Und unter den großen Weltreligionen sticht der Islam durch seine Gewaltaffinität deutlich heraus – was immer zeitgenössische Korandeuter bei näherer Betrachtung an Toleranz- und Friedensbotschaften dort zu finden meinen.

Deutlich wird das an Tagen wie diesem: Karsamstag. Der Tag der Grabesruhe Christi. In den Kirchen werden keine Sakramente erteilt, die Altäre bleiben ungeschmückt, die Glocken schweigen. Karsamstag ist für Christen ein Tag der Trauer. Denn Jesus ist gestorben. genauer: Er wurde hingerichtet.

Jesus als erster Märtyrer des Christentums
 

Das ist banal, weil es jeder weiß und jedes Kruzifix davon kündet. Dennoch ist es von entscheidender Bedeutung: Jesus von Nazareth, gleichgültig ob man ihn als Gottessohn deutet oder als einfachen Religionsstifter, starb einen gewaltsamen Opfertod, ohne jemals selbst Gewalt ausgeübt oder zu ihr aufgerufen zu haben. Er starb auch nicht bei einer gewalttätigen Missionierung, sondern lediglich, weil er an seinen Überzeugungen festhielt. Jesus von Nazareth ist der erste Märtyrer des Christentums – lange bevor es das Christentum überhaupt gab.

Mit seinem Vorbild hat Jesus das Märtyrerbild des Christentums nachhaltig geprägt. Märtyrer ist, wer Gewalt erleidet um seines Glaubens willen. Also jemand, der eher dazu bereit ist, Gewalt zu erdulden, als sie auszuüben.

Prophet Mohammed hatte ein pragmatisches Gewaltverständnis
 

Ganz anders das Märtyrerbild im Islam, das die IS-Terroristen für sich instrumentalisieren. Hier ist der Märtyrer jemand, der bei der Ausübung seines Glaubens sein Leben verliert. Das kann ein Pilger auf dem Haddsch sein oder ein Krieger, der im Dschihad sein Leben verliert.

Das ist eine grundlegend andere Ausgangssituation. Ihre Wurzel hat sie in der Person des Religionsstifters selbst. Anders als Jesus von Nazareth, der Gewalt ablehnte und als Wanderprediger nur mit seinem Wort und seinem Charisma wirkte, hatte Mohammed ein deutlich pragmatischeres Gewaltverständnis. Der Koran macht daraus auch gar keinen Hehl.

Der islamische Märtyrer wird im Jenseits belohnt
 

Mohammed war Heerführer. Dabei war er nicht grausamer als andere, sondern ein Kind seiner Zeit und seiner Kultur. Ihm das vorzuwerfen, wäre unhistorisch. Von seinen zeitgenössischen Anhängern allerdings muss man hier Distanz erwarten – und kritische Reflexion.

Doch Religionsstifter sind Identifikationsfiguren. Gläubige eifern ihnen nach, um Gott nah zu sein. Das Bild des Glaubenskriegers hat im Islam daher eine singuläre Bedeutung – dito der im Kampf gefallene Gläubige, der als Märtyrer verehrt und im Jenseits belohnt wird.

Gewalt im Namen des Islam ist kein Widerspruch
 

Kurz: Der Islam hat ein Märtyrerbild kultiviert, das sich vom christlichen diametral unterscheidet und an das die Ideologen des modernen Dschihad nahtlos anknüpfen konnten, als sie in den 1980er Jahren das Selbstmordattentat als Waffe entdeckten.

Religionen wohnt immer ein erhebliches Gewaltpotenzial inne. Doch Gewalt im Namen des Christentums, die Karwoche erinnert daran, ist und war stets ein Widerspruch in sich. Gewalt im Namen des Islam leider nicht. Schon der gänzlich anders belegte Märtyrer-Begriff zeigt das. Wir dürfen erwarten, dass sich gläubige Muslime historisch-kritisch mit dieser Tatsache auseinandersetzen.

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