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(Luk Perceval) "Wir alle sind Soldaten im Leben und gehen wie Macbeth über Leichen."

Luk Perceval - Alles andere als Pappnasentheater

Er nimmt seinen Hut auch bei den Proben nicht ab: Regisseur Luk Perceval. Aufgewachsen in Flandern, in der kalten Vorhölle eines katholischen Internats sagt er: "Wir alle sind Soldaten im Leben und gehen wei Macbeth über Leichen."

Die ausgetretenen Stiefel der toten Soldaten, die zu Hunderten auf der Bühne stehen; die Hexen, die sich in einer atemlos stillen, bis an die Grenzen der Wahrnehmung verlangsamten Bewegung zwischen den Stiefelpaaren erheben; zwei lange Messer und eine Krone; Bruno Cathomas und Maja Schöne als Macbeth und seine den Königsmord provozierende Frau: Auf der Probebühne des Hamburger Thalia-Theaters inszeniert der 54-jährige Luk Perceval, seit Sommer 2009 Leitender Regisseur des Hauses. Shakespeares Drama gerät unter seiner Hand zum nihilistischen Endspiel eines im Trauma ihrer Ehe vereinsamten Paares. Nichts ist, außer was nicht ist.

Perceval trägt einen ausgewaschenen Jeansanzug; einen breitkrempigen Hut, den er sich gern weit in den Nacken schiebt und selbst dann nicht abnimmt, wenn er einem Schauspieler bei den Proben zeigt, wie man am besten auf dem Rücken liegt. Wenn er bei schönem Wetter mit seiner Vespa gekommen ist, zieht er sich im Theater eine enge Dockermütze über, die von seiner Liebe zum Meer erzählt, von seiner Herkunft als Sohn eines belgischen Hafenkneipiers. „Ich will ein Röntgenbild des Menschen zeigen“, sagt er, „nichts Äußerliches, den Moment, wo nichts mehr dargestellt wird, wo der Schauspieler nicht mehr zeigt, welche Tricks er noch in der Schublade hat.“ Am 2.September feiert sein „Macbeth“ im Rahmen der Ruhrtriennale Premiere, vom 22.Oktober an wird er auch in Hamburg zu sehen sein. „Alles andere ist Pappnasentheater.“

Perceval ist in Flandern auf den ehemaligen Schlachtfeldern des Zweiten Weltkriegs aufgewachsen, in der kalten Vorhölle eines katholischen Internats für Schifferkinder: Die konzentrierte Lässigkeit, mit der sich der praktizierende Zen-Buddhist bei den Proben auf seinem Stuhl zurücklehnt und zusieht, wie Bruno Cathomas das lähmende Kriegstrauma des siegreich aus der Blutschlacht heimgekehrten Macbeth ausspielt, täuscht über die anhaltende Kraft früherer Erfahrungen nicht hinweg. Immer wieder inszeniert Perceval die existenzielle Gegenwart der Erinnerung auf der Bühne, überführt sie in das kathartische Ritual einer gemeinsamen und universal gültigen Suche nach dem Sinn menschlichen Lebens und Leidens. „Wir alle sind vom Krieg vernarbt“, sagt er. „Wir alle sind Soldaten im Leben und gehen wie Macbeth über Leichen.“

Bekannt wurde Perceval Ende der neunziger Jahre als künstlerischer Leiter des Antwerpener Performanceraums „Het Toneelhuis“, wo er auch seinen bei den Salzburger Festspielen und am Schauspielhaus Hamburg gefeierten Shakespeare-Zyklus „Schlachten!“ inszenierte. Vor seinem Wechsel ans Thalia-Theater war er vier Jahre Hausregisseur der Berliner Schaubühne. Wie in „Schlachten!“, wie in der 2002 in Hannover und Zürich gezeigten „Lear“-Adaption „L.King of Pain“, seinem Münchner „Othello“ und dem im vergangenen Jahr in der Bearbeitung von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel uraufgeführten „Hamlet“ sucht Perceval auch in „Macbeth“ nicht nach jenem oberflächlichen Kommentar auf die politische Gegenwart, für den das zeitgenössische Theater Shakespeares Namen gern zitiert. Vielmehr nimmt er die Intimität des Menschlichen ins Visier, auf eine Weise, die die wunde Haut, die nackte Seele freizulegen vermag. Mit starken, selten illustrativen und oft nur minimalistischen Bildern erzeugt er dabei eine Sogkraft, der das bürgerliche Illusionstheater ebenso wenig entgegenzusetzen hat wie das in den Installationen einer faustischen Einfallslosigkeit gefangene Regietheater der vermeintlichen Avantgarde.

Im Kellergewölbe des Ygrec, eines griechischen Restaurants in Ludwigsburg, sitzen Perceval und der Schauspieler Thomas Thieme um Mitternacht an einem Tisch. Die erste Probenphase von „Macbeth“ ist seit wenigen Wochen beendet. In den Ferien inszeniert der Regisseur an der Ludwigsburger Akademie für Darstellende Kunst eine Bearbeitung von David Foster Wallaces Roman „Unendlicher Spaß“. Thieme, der seit „Schlachten!“ zu den Protagonisten von Percevals Theater zählt, spielt bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen in einer studentischen Inszenierung Karl May. Wenn Perceval und Thieme einander treffen, sprechen sie am liebsten über Fußball. „Eigentlich“, sagt Perceval, „hassen wir beide das Theater abgrundtief.“ Er zieht an der Zigarette, die der Wirt des Ygrec für ihn gedreht hat. Thieme, mit dem er gern noch einmal „König Lear“ inszenieren würde, stimmt Perceval nickend zu. „Wenn ich als Regisseur bei den Proben sitze, will ich doch einfach nur fühlen“, sagt Perceval. „Ich habe doch überhaupt keinen Spaß daran, mir ständig über irgendwelche dramaturgischen Konzepte Gedanken zu machen.“ Completely freed from yes and no, wie es in einem buddhistischen Gebetstext heißt. „Ich möchte, dass auf der Bühne ein Mensch erscheint, der mich in ein staunendes Kind verwandelt.“

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