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(picture alliance) Speisen und Getränke treten zurück hinter Downloads und Postings

Politik und Essen - Lieferservice für Piraten

Auch auf den Speisekarten ihrer Zeit hinterlässt die Politik bekanntlich ihre Spuren – man denke nur an die Fresswelle der Adenauer-Ära oder die Nouvelle-Cuisine-Faszination der Regierung Schröder. Werden die Piraten bald für eine Revolution der Imbissbude sorgen?

Anders als ein Hund, der mit Ausscheidungen sein Revier markiert, steckt der politische Mensch mit dem, was er zu sich nimmt, sein Terrain ab. Selbst diejenigen, die mit ihren Positionen gern hinter dem Berg halten, lassen sich oft mit einem Blick in ihren Kühlschrank als Ideologen überführen. Auch Parteien schreiben ihre Losungen seit jeher auf die Speisekarten. Jeder Epoche der jüngeren Geschichte lässt sich eine kulinarische Richtung zuordnen, die über bloße Koinzidenz hinausgeht.

Die sogenannte Fresswelle der Adenauer-Zeit etwa folgte Ludwig Erhards Schlachtruf vom „Wohlstand für alle“. Mit ostentativ gutbürgerlichen Speisen stillte sie den Nachholbedarf einer von Krieg und Klassenkampf ausgezehrten Nation. Als Symbol dieser Ära von Nierentisch und Leberknödel kann die Restaurantkette Wienerwald gelten, die mit Hähnchen von der Stange den alten Traum des französischen Königs Heinrich IV vom Sonntagshuhn für jeden verwirklichte.

In den siebziger Jahren revolutionierte der Supermarkt fast alle Aspekte der Nahrungskette. Vor allem neuartige Verpackungen und Fertiggerichte beeinflussten eine von der Industrie geprägte Küche, die in vielem dem Korporatismus der sozialliberalen Koalition entsprach. Der Kurs der Regierung Kohl auf ein erweitertes Europa füllte die Küchen mit einer Vielfalt von Nahrungsmitteln und frischen Saisonprodukten, die in mediterranen und exotischen Rezepten Verwendung fanden. Das Kabinett Schröder/Fischer etablierte schließlich die Nouvelle Cuisine als die neue deutsche Küche. Köche wurden zu Stars in der Berliner Republik und trugen zum Glamour dieser Periode bei.

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Aber es sind nicht nur die Regierungen, die ihre Spuren an der Tafel hinterlassen. Auch Minderheiten können eine Epoche prägen. Der Aufstieg der Grünen von der Bürgerinitiative zur Regierungspartei etwa lässt sich an der Geschichte des Ökoladens und seiner Produkte illustrieren. Was zunächst so verkramt wirkte wie ein modernes Antiquariat mit verstaubten Schraubgläsern, unzureichend verpackten Hülsenfrüchten und angegammeltem Gemüse, gewann mit Zeit und Kundschaft an Professionalität und Erfahrung und ist inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen – genau wie die mit dieser Bewegung assoziierte Partei, die jetzt einen Regierungschef stellt. Ähnlich wie die beiden Volksparteien folgen auch die Supermärkte dem Pfad ins Grüne, indem sie der ökologischen Idee Regalplatz einräumen.

Und so stellt sich die Frage, welche Folgen die nächste Protestbewegung in der Küche zeitigt. Zunächst einmal sind die Genussmittel der Piraten eher virtueller Natur. Speisen und Getränke treten zurück hinter Downloads und Postings. Was dazu verzehrt wird, sollte einhändig gehalten werden können. Eine Zubereitung im engeren Sinne fällt flach und wird auf Lieferdienste und Mikrowellen verlagert, wenn man nicht gleich im Internetcafé die Wraps und Muffins mit kaltem Matetee herunterspült. Doch so groß die Auswahl an Spezialitäten sein mag, aus der sich die Freibeuter der Datenmeere bedienen können: Es ist immer ein Dinner for one. Selbst die Zusammenkünfte der Piraten sind Apotheosen der Vereinzelung. Die Mitglieder sitzen vor ihren Bildschirmen und bleiben in ihrer eigenen Welt. Ganz so, als warteten sie darauf, dass Mutti eintritt und wortlos einen Teller mit Buletten neben die Tastatur schiebt. Wer die Nahrung als Basis der Gesellschaft begreift, wird bei den Piraten keine Agenda für die Zukunft finden.

Und doch werden auch diese Korsaren einen kulinarischen Beitrag zur Geschichte der Bundesrepublik leisten. Das von ihnen gelebte Konzept der ständigen Verfügbarkeit liegt ja auch dem Büdchen, der Trinkhalle oder dem Spätkauf zugrunde. Solche Läden werden vielleicht irgendwann einmal keine regionale Besonderheit mehr sein, sondern Institutionen der Grundversorgung. Selbst in schwärzester Nacht und provinziellster Randlage könnte dem Hunger damit ein Müsliriegel vorgeschoben werden. Wer will, kann ja eine Piratenflagge daran befestigen.

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