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(picture alliance) In der neuen Kinoverfilmung übernimmt Keira Knightley die Rolle der Anna Karenina

Kino: Anna Karenina - Liebestragödie auf Weltklasse-Niveau

Seit wenigen Tagen läuft „Anna Karenina“, eine traurige Liebesgeschichte nach dem Roman von Leo Tolstoi in den deutschen Kinos. Joe Wrights Umsetzung ist nicht nur berauschend und klug; auch Keira Knightley beweist Talent

Anna Kareninas hat es schon viele gegeben. Greta Garbo war wohl die schönste, Vivien Leigh vielleicht die beste Leinwandverkörperung von Tolstois tragischer Heldin. Längst aber haben wir uns angewöhnt, anspruchsvolle Filme eher mit den Namen ihrer Regisseure und Autoren zu verbinden als mit denen der Stars. All das gilt sicher auch für die neue Version der «Anna Karenina», und doch müssen wir zuerst von Keira Knightley reden. Ihr gehören die feuchten Augen hinter dem wedelnden Fächer. Anna Kareninas Blick ist auf eine Theaterbühne gerichtet, während sie sich durch immer schnelleres Fächeln Frischluft verschafft und das stakkatohafte Geräusch des Fächers mit Pferdegetrappel verschmilzt. Wir haben uns noch gar nicht gefragt, wie das Rennen nur auf die enge Bühne passen soll, als Oberst Wronskij auch schon quer über deren Begrenzung stürzt. Und Anna Kareninas Schrei die Theaterluft zerreißt. Seinem gestrauchelten Pferd gibt der gefallene Oberst die Kugel. Seine Geliebte indes, die ihren Gefühlen für ihn gerade ohne jedes Schamgefühl Ausdruck verliehen hat, kann niemand mehr erlösen.

Es ist gar nicht so leicht, über Keira Knightley zu sprechen, die im Film von Tom Stoppard (Buch) und Joe Wright (Regie) die Hauptrolle spielt. Die Schönheit der Engländerin war nie ein Geheimnis, nun ist auch ihr Talent bewiesen. Knightley braucht sich als Anna Karenina nicht hinter der Garbo und der Leigh zu verstecken. Gut möglich, dass sie sich sogar den ersten, den stummen der beiden Garbo-Filme zum Vorbild genommen hat, denn alle Entwicklungen ihrer Figur kann man an ihrem Gesicht ablesen: Zu Beginn ist es eine schöne Fassade, dann eine Projektionsfläche, bis das Begehren des von Aaron Taylor-Johnson gespielten Oberst Wronskij seinen Widerschein findet und es zum Leuchten bringt. So richtig strahlt es dann, als die gesellschaftliche Ächtung schon in der Tür steht: Alle Brücken, die ihr Ehemann, ein vernunftgeleiteter Minister (Jude Law) zur Rückkehr errichtet, selbst als sie schon Wronskijs Kind in sich trägt, bricht sie ab. Dem Verfallsprozess – in Tolstois epischem Roman wird sie in der Isolation mit dem Geliebten zunehmend von Wahnvorstellungen geplagt – widmet der Film zwar nur wenige Szenen. Doch auch sie wirken in Knightleys Darstellung so stimmig, dass die Akkorde, die sie anschlagen, die fehlenden Kapitel übertönen.

Seit seinem Debüt «Stolz und Vorurteil» und dem Nachfolgefilm «Abbitte» (beide bereits mit Keira Knightley) kennt man Joe Wright als stilsicheren Regisseur opulenter Literaturverfilmungen. In «Anna Karenina» jedoch geht er einen deutlichen Schritt weiter. Was hier versucht wird, ist weit mehr als Illustration auf hohem Niveau. Auf jeden emotionalen Höhepunkt, auf jeden Rausch von Illusion folgt ein geradezu Brecht’scher Rückzug auf erzählerischen Abstand. Das früh eingeführte, schicksalshafte Bild der Lokomotive ist auch ein Mittel Dramaturgie: im Sinne einer distanzierenden Notbremse. Dann verwandeln sich die Spielräume unvermittelt in Bühnensituationen – ein überaus tragfähiges Bild für die dauerhafte Bespiegelung, welche die Figuren in der herrschenden Klasse des Zarenreichs erfahren.

Seite 2: Es gibt keinen Augenblick, an dem man herauskäme aus dem Staunen

Doch auch die verführerischen Landschaften hinter dem eisernen Theatervorhang sind von beklemmender Künstlichkeit – etwa ein labyrinthischer Garten, wie ihn schon Ernst Lubitsch in seinem Stummfilm «Anna Boleyn» symbolhaft inszenierte. Das Faszinierendste dabei: Auch wenn das Drama immer wieder durch distanzierende Eingriffe zum Halten kommt, bedeutet das keineswegs eine Ernüchterung beim Zuschauen. Vielmehr sorgt es für einen Nachhall der Gefühle.

Es gibt keinen Augenblick, an dem man herauskäme aus dem Staunen über die faszinierende Ausstattung von Sarah Greenwood. Ebenso bezwingend der Musikeinsatz: Das Leitmotiv ist ein melancholischer Walzer, mit dem Komponist Dario Marianelli Schostakowitsch Konkurrenz machen möchte. So wie die grandiose Ballsaalszene, Ausgangspunkt der Anziehung zwischen Anna und Wronskij, die Nähe sucht zu Viscontis Klassiker «Der Leopard». Warum sollte man sich diesen Klassiker über den Verfall der Adelsklasse am Beginn der Moderne nicht zum Vorbild nehmen?

Ein weiterer Kunstgriff ist die Aufwertung der Figur des Ehemanns Karenin. Anders als frühere Tolstoi- Verfilmungen übernimmt diese nicht einfach die Perspektive Annas, die sich bei Tolstoi zunehmend vor ihrem Gatten ekelt. In Jude Laws Darstellung ist er sogar der interessantere der beiden Männer, aber danach fragt die Liebe nicht. Das beschert Annas Hinwendung zum romantischen aber verantwortungslosen Beau Wronskij umso mehr den Charakter einer amour fou. So erscheinen alle drei Figuren grundsätzlich sympathisch – was alles nur noch tragischer macht. Wie die früheren Verfilmungen reduziert auch Wright die beiden flankierenden Familiengeschichten der Vorlage zu Fragmenten – doch sind es Scherben, die funkeln. Natürlich ist das kein Äquivalent für Tolstois multiperspektivischen Erzählstil. Aber doch die Voraussetzung für einen neuen, offenen Blick auf eine der traurigsten Liebesgeschichten der Weltliteratur.

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