Sorgte für einen Eklat bei „Let's Dance“: Tanzbär Ulrich Potofski (Mitte).
Sorgte für einen Eklat bei „Let's Dance“: Tanzbär Ulrich Potofski (Mitte) / picture alliance

Let's Dance - Alles andere als abgehalftert

Tanzende Prominente am Freitagabend? Das ist eine kleine Beruhigung in diesen turbulenten Zeiten. Die neunte Staffel der RTL-Fernsehshow „Let's Dance“ geht zu Ende – eine Sendung wie ein humanistisches Lehrstück, die unterhält, ohne populistisch zu sein. Ein Vorabfazit

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Katharina Schmitz ist freie Journalistin in Berlin. 

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Das war erstens fabelhafte Unterhaltung. Zweitens hat es die Sendung wieder geschafft, dass sich Millionen Zuschauer (temporär) für den verstaubten Tanzsport interessieren, einer Sportart, mit der die Mehrheit doch eher die schlimmsten Fernsehstunden der Kindheit assoziiert. Drittens: „Let's Dance“ macht schlau. Der Schwebeeffekt beim Wiener Walzer? Entsteht durch das Heben des Fußes auf den Ballen und anschließendem Wiederabsenken auf die Ferse.

Die Show ist aber noch mehr: ein humanistisches Lehrstück, und das ohne jeden Bildungsauftrag. Im Privatfernsehen.

4,5 Millionen Zuschauer


Um die 4,5 Millionen Menschen schauen wöchentlich zu bei dieser Sendung, die es seit zehn Jahren gibt und die ihre Wurzeln in der BBC-Sendung „Strictly Come Dancing“ hat. 4,5 Millionen – für Anne Will am Sonntagabend sind das Spitzenwerte, und wir vergleichen hier nicht Äpfel mit Birnen, sondern nur unterschiedliche Apfelsorten, Unterhaltungsbildungsobst ist beides.

Ob der kürzlich verstorbene Roger Willemsen, der „erste Intellektuelle im Privatfernsehen“ (Die Welt) die Show schaute, ist nicht bekannt. Viel spricht dafür, schon alleine wegen des wie selbstverständlich praktizierten Respektes und der Freundlichkeit, die wohl tut in diesem aufgeheizten Gesellschaftsklima. Die Sendung ist, wenn man so will, populär, ohne – Vorsicht Modewort – „populistisch“ sein zu wollen.

Am Ende gewinnt der beste Tänzer, nicht der größte Zampano.

Kritik, aber keine Dämonisierung


Bei „Let‘s Dance“ gibt es keine Skandalisierung oder Viktimisierung. Auch keine Dämonisierung, zum Beispiel durch suggestive Kameraführung: Die sieht man häufiger bei Anne Will, zum Beispiel wenn Frauke Petry eingeladen ist. Es gibt in der Tanzshow Lob und Kritik, auch scharfe Kritik, aber niemals verletzende Abwertungen durch die Juroren.

Auch nicht, als der gestrenge Juror Joachim Llamby jüngst einmal wirklich eingriff. Bei „Let's dance“ entscheidet ein Mix aus der Bewertung der Jury und dem Voting des Publikums darüber, wer eine Runde weiterkommt und wer ausscheidet. Der wirklich unfähige Kandidat, der Sportmoderator Ulrich Potofski stolperte dank seines Fanclubs, der eifrig zum Hörer griff, Runde für Runde weiter. Das geriet zum Politikum, weil unendlich talentiertere Tänzer vor ihm ausschieden. Ein Teil der zu engagierten Zuschauer goss Hass und Häme ins Netz wie noch nie bei diesem Tanzwettbewerb.

Llamby als Bundespräsident?


Zur Prime Time also sprach Llamby ein Machtwort, souveräner als der polternde Sigmar Gabriel, wirksamer als Heiko Maas: Potofski könne nicht tanzen, wie jeder sehe und er selbst wisse, aber diese Unkultur dulde man in dieser Sendung nicht. Die Sendung stand in diesem Moment stellvertretend für Deutschland, und Llamby hätte man am liebsten sofort als Nachfolger für den Bundespräsidenten Joachim Gauck ins Rennen geschickt.

Der TV-Augenblick zeigte: Je komplexer die Wirklichkeit ist, desto wichtiger wird es für den Wähler, äh Zuschauer, in eine Institution mit ihren Regeln zu vertrauen, was eben nur dann gelingt, wenn die Machthaber in diesen Institutionen vertrauenswürdig sind.

Dieser Llamby mit herbem Rheinlandcharme ist einer, dem die Leute vertrauen. Dass er auch mal für die Börse tätig war, ändert daran nichts, denn vor allem ist der ehemalige Turniertänzer professioneller Wertungsrichter beim Tanzverband. Zu moralisch wurde der Moment trotzdem nicht, denn Kollegen-Juror Jorge Gonzalez scherzte, das sei jetzt wohl irgendwie die falsche Show.

Ohne Fitness geht es nicht


Das Konzept von „Let's Dance“ ist einfach: ein halbwegs Prominenter trainiert wöchentlich einen Jive oder eine Rumba, zusammen mit einem echten Tanzprofi. In dieser neunten Staffel seit 2006 tanzten auch die Schauspielerikonen Natassja Kinski und Sonja Kirchberger. Sie wurden leider vom „Gott, dem Publikum“ (Roger Willemsen) schon früh rausgewählt (während nochmals dieser Potofski bleiben durfte!).

Die Show ist alles andere als abgehalftert. Ohne Fitness geht es nicht, Fleiß bis zur Belastungsgrenze gilt als unverzichtbare Tugend. Beweise – Schweiß, Rippenbruch, Demut – kommen bei der Jury gut an. Man kann sagen, dass in „Let's dance“ eine Mischung aus Meritokratie (nur die Leistung zählt) und Sozialdemokratie herrscht (wenn das Volk will, dass auch ein Schwacher wie Potofski es verdient hat, dann soll es so sein). Wie Arbeitsethik und Leistungsethos in diesem Untergangs-Europa um- und redefiniert werden, das ist schon ungeheuer interessant, das Fordern- und Fördern-Mantra oder anderes Sprechtheater in den Polittalks wirkt dagegen völlig uninspiriert.

Temperierte Respektlosigkeit


Aber ach, wie jede gute Show ist das Ganze nicht nur für viele Deutungen gut, sondern ja selbst schon eine Deutungsmaschine. An den Hebeln dieser Maschine sitzt Daniel Hartwich. Mit sympathischer Ironie, nie mit böswilliger Albernheit fegt Moderator Hartwich die schlimmen Fernseherinnerungen der Kindheitstage vom Parkett.

Sein Markenzeichen ist die politische Unkorrektheit, das Spiel mit Stereotypen, die wohl temperierte Respektlosigkeit. Er veralbert das deutsche Kauderwelsch des kubanischen Jurors Jorge, (der übrigens Radioökologie in Bratislava studierte). Hartwich spielt notorisch auf dessen sowieso schon grell herausgestellte Homosexualität an. Das scheint niemanden zu stören, am wenigsten Jorge selbst, der Frauen auch gerne als „chicas" anspricht, ohne dass das irgendwie frauenfeindlich klänge. So geht Normalisierung.

Hartwichs tabubrecherischer Übermut funktioniert, weil all das in einem respektvollen Rahmen geschieht. Weil die Angegriffenen Humor haben, klug kontern können oder genügend Standing besitzen. Was jetzt kein Argument sein soll, dass sich sozial Schwächere doch bitteschön einfach behaupten sollen! Es ist eher ein Plädoyer für einen gelassenen Umgang miteinander, inklusive AfD, ja, die gehört hierher, und sei es nur dafür, um den „chicas“ dort zu zeigen, dass politisch unkorrekt eben nicht reaktionär sein muss.

Ein gesellschaftliches Zufalls-Korrektiv


Hartwich ist übrigens Germanist und Politologe. Seine entwaffnende Art, die ihm eine Nominierung für den Grimme-Preis einbrachte und den Bayrischen Fernsehpreis, wirkt an einem Freitagabend wie ein gesellschaftliches Zufalls-Korrektiv, eine spontane Hilfe zur Selbstregulation, wenn dieser Typ namens Populismus schon wieder den Puls erhöht. Kulturkampf nirgends, eher interessante Parallelgesellschaft.

„Let's Dance“, das ist eine kleine Beruhigung in diesen turbulenten Zeiten.

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