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Lemmy Kilmister - Hommage an eine Rock-Legende

Lemmy Kilmister, der Sänger der Heavy-Metal-Band „Motörhead“, ist im Alter von 70 Jahren an einem Krebsleiden gestorben. Er liebte Musik, Alkohol und Drogen. Für Cicero-Chefredakteur Christoph Schwennicke war Kilmister ein Jugendidol. Und ein Rocker, kein Metal-Musiker. Ein persönlicher Nachruf

Autoreninfo

Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Letzte Worte zu Lemmy Kilmister ohne Motörhead und seine Röhre am Ohr? Geht nicht. Geht überhaupt nicht. Also Kopfhörerklinke in die Buchse des Laptops. Aber welches der 23 dort gespeicherten Alben auswählen? Das eine. Natürlich das eine, mit dem alles begann.

Diese Platte änderte unsere Nachmittage nach der Schule. Das „Bronze“-Label in der Mitte drehte sich mit 33 Umdrehungen pro Minute auf dem Dual-Plattenspieler, wir hielten die leere Bierflasche von oben gestürzt an den gereckten Hals, in dieser seltsamen Lemmy-Pose. Oder wir ahmten trampelnd den mörderischen Double-Bass-Takt von Philthy Animal Taylor bei „Overkill“ nach. Bis 5 Minuten 13 kam keiner. Lange vor dem Ende krampften die Schenkel.

Lemmy Kilmister und das Reine


Motörhead und Lemmy Kilmister ziehen sich durch mein Leben. Mein erster Zweispalter in der Süddeutschen Zeitung handelte von einem Konzert in München. Ich fuhr alleine von Bonn zu Konzerten nach Köln. Ich ertrug über Jahre die milde-verächtlichen Blicke der anderen, die sich längst vermeintlich intelligenteren Musikrichtungen zugewandt hatten. Diesen peinlichen Verirrungen der achtziger und neunziger Jahre.

[[{"fid":"67888","view_mode":"full","type":"media","attributes":{"height":1124,"width":750,"style":"width: 200px; height: 300px; margin: 4px 7px; float: left;","title":"Motörhead-Sänger Lemmy Kilmister. Foto: EPA/Peter Klaunzer/dpa","class":"media-element file-full"}}]]Motörhead und Lemmy Kilmister hätten keinen Punk gebraucht, keinen Grunge, um wieder auf den ursprünglichen Weg des Rock ’n’ Roll zurückgeführt zu werden. Sie sind ihn einfach immer weiter gegangen. Und über die Jahre sind die Hallen dann immer voller geworden. Der Schwulst und das Artifizielle hatten sich überlebt. Nix mehr The Cure. Nix mehr U2. Stattdessen: Zurück zum Reinen. Zurück zu Motörhead. Zurück zum Rock ’n’ Roll. Und plötzlich wollten alle mal mit zum Konzert. Und diesen Orkan miterleben.

Auf dem 77er Album „Hard Again“ von Muddy Waters gibt es einen Song mit dem wunderbaren Titel: „The Blues Had A Baby And They Named It Rock ’n’ Roll“. Man kann auch sagen: Der Blues hatte ein Baby, und er nannte es Lemmy Kilmister. Motörhead sind kein Heavy Metal. Motörhead, das ist Blues, Rhythm and Blues, Boogie, Rock ’n’ Roll. Und nichts sonst. Nur etwas lauter.

Es ist berechtigt, dass ihm Musiker wie Dave Grohl (Ex-Nirvana, Foo Fighters) und Lars Ulrich (Metallica) regelrecht huldigten. In der Geschichte des Rock ’n’ Roll gehört Lemmy Kilmister in eine Reihe mit Elvis Presley, Chuck Berry und den Sonics.

Sensibler Rocker mit trockenem Humor


Was haben die vermeintlichen Experten lange die Nase gerümpft! Das Verrückte an Lemmy Kilmister war: Der (späte) Ruhm ist ihm nie erkennbar zu Kopf gestiegen. Er hat mal sinngemäß gesagt, dass neun von zehn Leuten Arschlöcher seien und dass die Kunst des Lebens darin bestehe, den einen von den anderen neun zu unterscheiden. Eine jener trockenen Lebensweisheiten eines im Kern sensiblen Mannes mit diesem trockenen Humor, wie er nur auf der britischen Insel entstehen kann. Immer hat er bei aller Leidenschaft eine Restdistanz bewahrt zu dem, was er machte. It‘s Only Rock ’n’ Roll, but....

Auf der Live-Einspielung „Live At Brixton Academy“ moderiert er einen Song an, der angeblich „Dead Men Smell Toe Nails“ heiße. Das Stück heißt in Wahrheit „Dead Men Tell No Tales“. Ist das schlimm, wenn ich zugebe, dass ich das sehr witzig finde? Ein andermal, es ist wohl die Einspielung aus Hamburg, sagt er an, dass dieses Konzert für ein Album mitgeschnitten werde. „Isn‘t that exciting?“ röhrt er ins Mikro. Pause. Wieder Lemmy: „No, it isn‘t.“ Und dann drischt er schon wieder in Akkorden auf seinen Rickenbacker-Bass – als sei der eine Rhythmusgitarre.

Er wollte Respekt, kein schales Bier


Man könnte noch viele Worte verlieren. Zu dieser wunderbaren Szene in einer Filmbiografie über ihn, wie er in einem Plattenladen die raren gesammelten Mono-Aufnahmen der Beatles sucht. Die Kompilation ist jedoch ausverkauft, und die Frau hinter dem Tresen erkennt ihn und gibt ihm ihr persönliches Exemplar. Er bedankt sich wie ein englischer Gentleman. Rührend ist das. Wie er immer fuchsteufelswild werden konnte, wenn ihm zu Beginn des Konzerts die Bierbecher um die Ohren flogen. Das mochte er gar nicht. Er wollte keine Ehrerbietung. Aber Respekt. Und Becher mit schalem Bier waren kein Ausdruck von Respekt.

Aber jetzt muss ich aufhören. Jetzt kommt mein persönliches Lieblingsstück von der einen Platte, mit der alles begann: „Iron Horse“, das schleppende Schlachtross, in der Version von „No Sleep Til Hammersmith“ aus dem Jahr 1981. All die Jahrzehnte habe ich bei jedem Konzertbesuch gehofft, dass Lemmy das alte Pferd noch mal aus dem Stall holt.

Bei dieser unerfüllten Hoffnung wird es bleiben. In der Nacht vom 28. auf den 29. Dezember ist Lemmy Kilmister gestorben, kurz nach seinem 70. Geburtstag an Heiligabend und nur wenige Tage nach dem nunmehr letzten Motörhead-Konzert am 11. Dezember in Berlin.

„Dancing On Your Grave“, Lemmy.

Fotos: picture alliance (Aufmacher), EPA/Peter Klaunzer/dpa (Hochformat)

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