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(Abbildung: Carlsen Verlag Hamburg) Leben in der Zeitschleife

Comics - Leben in der Zeitschleife

«Popeye» und «Die Peanuts» in neuer Pracht: Ein maulfauler Matrose und ein paar Vorstadtkinder ringen auf unterschiedliche Weise mit dem Zwang zur Wiederholung

Zwei Urszenen der Comic-Geschichte: Am 17. Januar 1929 steht ein knorriger Kerl mit einem kaputten Auge an der Pier eines Hafens. Er trägt einen Matrosenanzug, eine Matrosenmütze und zwei Matrosenanker auf den riesigen Matrosenarmen. «Heda, bist du ein Matrose?», wird er von einem kleinen, knubbelnasigen Kerl mit einem Koffer gefragt. «Seh ich aus wie ein Cowboy?» «Okay, du bist angeheuert.» – Und am 2. Oktober 1950 läuft ein kleiner Junge mit einem sehr großen runden Kopf eine Straße entlang. Ein anderer Junge und ein kleines Mädchen sitzen am Wegesrand und sehen zu, wie er näher kommt und wieder verschwindet. «Sieh an! Das ist unser alter Freund Charlie Brown!», sagt der Junge am Straßenrand mehr zu sich selbst als zu jemandem sonst. «Der gute alte Charlie Brown … das ist er …» – um im letzten Bild, als der Junge vorüber ist, abschließend zu urteilen: «Oh, wie ich ihn hasse!»

Der knorrige Matrose mit dem kaputten Auge, der auf den sprechenden Namen Popeye getauft wurde, hat ohnehin keinen Job. Gern folgt er darum dem knubbelnasigen Kofferträger, dem berühmten Privatdetektiv Kastor Öl, auf eine spannende Schatzsuche. Rund um den Globus geht ihre Fahrt, über alle sieben Weltmeere und später sogar bis hinein in das sagenumwobene achte. So weit wird das stumme Kind mit dem riesigen Kopf niemals kommen. Niemals wird Charlie Brown, in all den Jahrzehnten seiner zeitlosen Existenz, über die engen Grenzen der Nachbarschaft hinausgelangen – auch nicht über die Grenzen seines sich unaufhörlich wiederholenden Schicksals, gedemütigt und verhöhnt zu werden.

So verschieden sie sind, so sind diese beiden doch, jeder in seiner Epoche, die größten Helden der amerikanischen Comic Strips gewesen: Popeye, der unbesiegbare Seemann, der wortkarge Abenteurer mit der bizarren Aussprache, und Charlie Brown, das hyper-intelligente, zarte, unendlich einsame Kind – zwei der markantesten und zugleich kompliziertesten Typen, die das Genre im Lauf seiner rund hundertjährigen Geschichte hervorgebracht hat. Die Abenteuer des Matrosen hat der Comic-Zeichner Elzie C. Segar von 1929 bis 1938 erzählt; die Erlebnisse Charlie Browns hat Charles M. Schulz von 1950 bis kurz vor seinem Tod im Jahr 2000 in den «Peanuts»-Comics in Szene gesetzt. Von beiden Serien liegen jetzt verdienstvolle deutsche Ausgaben vor: eine Auswahl der «Popeye»-Geschichten in einer Pracht-Edition und die ersten beiden Bände einer kompletten, chronologischen «Peanuts»-Ausgabe, die die Frühzeit der Serie von Oktober 1950 bis Silvester 1954 umfassen.


Tag für Tag ein neuer Witz nach altem Muster

Comics sind ein Produkt der Zeitungskultur. Die ersten Serien erschienen um das Jahr 1900 in den bunten Sonntagsbeilagen der erblühenden amerikanischen Boulevardblätter: großformatige, großzügig layoutete Tableaux, in denen sich Bilder und Texte erst zaghaft, dann immer phantasievoller mischten. Seit dem Jahr 1907 wurden die Comics auch in den Werktagsausgaben der Zeitungen gedruckt – hier allerdings in einer platzsparenden, auf einen Streifen («comic strip») reduzierten Version aus drei bis sechs Bildern. Die Strips ersetzten die grafische Opulenz der Sunday Pages durch ihre strikte Orientierung auf Gags. Tag für Tag erzählten die ersten Comic Strips einen Witz, meist, indem sie wieder und wieder das gleiche Muster variierten. Erst zeigten sie, nach dem Vorbild von «Max und Moritz», kleine Kinder bei gemeinen Streichen und bei der grässlichen Bestrafung danach. Dann tauchten in dem Schema aus Aufbegehren und Sühne auch Erwachsene auf: Landstreicher, Tunichtgute und Henpecked Husbands, jene von streit- und genusssüchtigen Gattinnen geschurigelten Mittelstandsmänner, die später auch die Screwball Comedies von Hollywood und, noch später, die Soap Operas des Fernsehens bevölkern sollten.

Abenteurer, Seemänner, Detektive – klassische Helden jedweder Art gab es in den Comics bis Ende der zwanziger Jahre nicht. Dagegen sprach die strikt repetitive Form, die keine Entwicklung längerer Handlungsbögen erlaubte. Was Elzie C. Segar auszeichnete, war, dass er sich als Comic-Zeichner und zugleich als Erzähler verstand. Sein Popeye war die erste Figur, die sich konsequent gegen das Diktat der Wiederholung auflehnte: einer, der vor dem endlosen Kreisen des Schicksals nicht mehr davonlief wie die schwächlichen Männer und surrealen Tierfiguren (Krazy Kat, Felix the Cat) aus den Comics der zwanziger Jahre.

Im Gegenteil, Popeye suchte das Abenteuer. Freilich machte das Abenteuer es ihm am Anfang nicht leicht. Endlos sind die Verzögerungen und Zeitschleifen, die er in seinen ersten Geschichten ertragen muss, bis es wirklich zur Sache geht. So wie in der wunderbaren Story «Das Achte Weltmeer», in der zweiten Hälfte des Jahres 1932 erschienen. Mit Kastor Öl will Popeye hier einmal wieder einen Schatz suchen. Aber bevor es losgeht, ist er wochenlang damit beschäftigt, einen bockigen Papagei zum Reden zu bringen, der allein die Lage der Schatztruhe kennt. Dann sorgt Kastors Tochter, Popeyes Freundin Olivia Öl, für Kalamitäten, weil sie unbedingt an der Schatzsuche teilnehmen will – wo doch jeder Seefahrer weiß, dass Frauen an Bord den Klabautermann anlocken. Darum versucht Popeye energisch, Olivia an der Mitreise zu hindern. Als er scheitert, hat er prompt mit Meuterversuchen seiner misogynen Mit-Matrosen zu kämpfen.

Hexen, Provinzpolitiker, prähistorische Monster

Die «Popeye»-Geschichten, die diese Ausgabe versammelt, gehören zu den Sternstunden der Comic-Literatur: in der grafischen Einfachheit und dem sprachlichen Witz, der kunstvollen Überhöhung der Seefahrersprache und anderer Slangs zeigt Segar sich als herausragender Zeichner und Autor. Ebi Naumann hat die Dialoge neu übersetzt und in ein artifizielles, vom Norddeutschen inspiriertes Patois übertragen – ein durchaus origineller Versuch, der die Trockenheit der Segar’schen Sprache allerdings häufig in einer zu dick aufgetragenen Witzigkeit verfehlt.

Aber egal. Literarisch faszinierender als die Texte in den Sprechblasen ist ohnehin der Rhythmus der Storys: wie Segar die Zwänge des erzählerisch schematisierten, täglich wiederholten Strips mit der Konstruktion langer, epischer Bögen versöhnt; wie er gegen den gattungseigenen Drall zur Wiederholung aus den einzelnen, jeweils sechs Bilder umfassenden Folgen eine Fortsetzungsgeschichte macht. Aus der comic-typischen Witzfigur entwickelt sich Popeye im Verlaufe der Folgen zu einem veritablen Abenteurer, der sich in den verschiedensten Genres bewährt. Als früher Hard-Boiled-Held muss er gegen korrupte Kleinstadtpolitiker kämpfen; in einer Art Gesellschaftskomödie räumt er im Hofstaat eines melancholischen Königs auf; bei der Suche nach einem Jungbrunnen belauern ihn Seehexen und prähistorische Monster.

Witz, Suspense und Gruselmotive sind dabei unentwirrbar ineinander verschlungen. Ob es sich bei Popeyes Erlebnissen um ernst gemeinte Genre-Geschichten handelt oder um deren Parodien, hält Segar kunstvoll in der Schwebe. Dabei hilft ihm besonders die skurrile Familie, die dem Helden noch in den düstersten Szenarien die Treue hält. Neben Kastor und Olivia Öl gehören dazu der «Jeep», der aus Afrika kommt und die Zukunft vorhersagen kann, Popeyes ungehobelter Vater Poopdeck Pappy und, nicht zu vergessen, das Schwarze Schaf der Sippe: J. Wellington Wimpy. Dieser schmaläugige Dickwanst fällt vor allem durch schöngeistige Ambitionen auf; seine Leidenschaft für Hamburger-Brötchen artikuliert er häufig in Hexametern – und bietet damit den rechten Kontrast zu Popeyes kunstvoller Vulgarität.


Aus für die Fortsetzungsgeschichte

Nach Segars frühem Tod im Jahr 1938 ist die Serie schnell in künstlerischer Belanglosigkeit versunken. Während das Fleischer-Studio, das seit 1933 die Filmrechte an der Figur besitzt, den Seemann als Spinat essenden Zeichentrickhelden zu Weltruhm bringt, wird der Comic von anonymen Studiozeichnern zum witzlosen Gag-Strip zurückentwickelt. Freilich ergeht es nicht nur «Popeye» so, sondern bald auch dem Fortsetzungs-Comic im Ganzen. Kaum zwei Jahrzehnte, nachdem sich der Continuity Strip nach dem Vorbild Segars in den Zeitungen durchgesetzt hat, wird er auch schon wieder verdrängt. Anfang der fünfziger Jahre, als das Fernsehen zum wichtigen Konkurrenten aufsteigt, glauben die verantwortlichen Redakteure nicht mehr daran, dass ihr Publikum eine Comic-Geschichte über einen längeren Zeitraum hinweg verfolgen möchte.

So zieht in die Comics wieder der Gag-a-day ein, die Ästhetik der endlosen Wiederholung. Ein Zurück zur einfachen Schematik des wiederholten Witzes ist dies jedoch nicht. Nachdem die Zeichner sich einmal an den Reichtum weit ausholender Geschichten gewöhnt haben, erscheint die kleine Form, die endlose Variation eines vorgegebenen Musters, ihnen mehr denn je als Hemmnis und Last. So geht es auch Charles M. Schulz, einem erklärten Bewunderer der Segar’schen «Popeye»-Episoden. So sehr leidet er unter den Zwängen der Wiederholung, dass er sie zum Leitmotiv seiner «Peanuts»-Serie erhebt.

Das Ensemble der Figuren, das er darin präsentiert, ist von vornherein in der Repetition vorgegebener Verhaltensmuster befangen. Eine Gruppe von Kindern vergnügt sich in einer nur skizzenhaft angedeuteten Vorstadtwelt vornehmlich damit, sich gegenseitig zu erniedrigen. Immer wieder wird Charlie Brown, der melancholische kleine Junge mit dem großen Kopf und dem charakteristischen Zackenmuster-Pulli, von den Nachbarskindern beleidigt, ausgestoßen und ignoriert. Immer wieder blamiert sich die kecke Lucy vor dem sprachlosen Charlie Brown – und dem unangenehm berührten Leser – durch ihre Mischung aus Dummheit und Sturköpfigkeit. Immer wieder sucht der zaghafte Linus verzweifelt nach seinem Schnuffeltuch, das allein ihm ein Gefühl von Sicherheit schenkt. Immer wieder bettelt der Hund Snoopy vergeblich um Aufmerksamkeit, Liebe oder auch nur um ein bisschen Futter.


Die masochistische Intelligenz der Peanuts

Stets folgen ihre Erlebnisse dem Muster des Running Gag. Doch dass immer wieder das Gleiche passiert, ist nicht lustig, sondern tragisch; ein unverhohlenes Leiden an der Unveränderlichkeit der Dinge beherrscht die «Peanuts» in ihren ersten Geschichten. Wer die Serie nur aus den späten sechziger und siebziger Jahren kennt – in dieser klassischen Phase ist Charlie Brown zum Philosophen geworden und der anfangs stumme Snoopy zum sprachbegabten Universalpoeten –, ist frappiert von der Drastik der frühen Folgen: von der Direktheit, mit der die Figuren einander traktieren; von der Kälte und Grimmigkeit, mit der sie einander demütigen und verhöhnen. Diese Folgen führen in eine ursprüngliche, kältere, wenn man so will: reinere Version der «Peanuts» ein. Zugleich erkennt man hier aber auch, wie sich der Stil allmählich erwärmt, wie sich nach und nach Beziehungen und Rituale ausbilden. Der Leser wohnt dem Schulz’schen Versuch bei, die Zwänge der Wiederholung zu überwinden.

Anders als Segar ist es ihm nicht erlaubt, eine Chronologie in die Comics einzuführen. Stattdessen macht er seine Figuren zu Charakteren, indem er ihren Ticks in der endlosen Repetition wachsende psychologische Tiefe verleiht. Nach dem drohenden Hohn scheinen die Figuren sich bald schon geradezu zu sehnen. Dass die Mädchen aus der Nachbarschaft ihn als schlecht gekleideten Stumpfkopf verspotten, erwartet Charlie Brown schon am Ende des Jahres 1952 mit gelehrigem Witz – indem er unterwürfig, aber lustvoll versucht, die ritualisierten Formen der Ablehnung vorauszuahnen und in überraschenden Reaktionen zu durchbrechen. «Hast du heute wieder verloren, Charlie Brown?», fragt ein Mädchen den Hobby-Baseballer einmal. Und der antwortet: «Ja … Dreiundachtzig zu zwölf … Die hatten aber auch ein Glück.»

So entwickeln die Peanuts in der endlos wiederholten wechselseitigen Demütigung so etwas wie masochistische Intelligenz. Aus dem frühen Leid am Immergleichen erwächst eine Geborgenheit in der Wiederholung. Eine Geborgenheit, wie sie wohl auch der Künstler gekannt hat. Fast fünfzig Jahre lang, sieben Tage die Woche, über fast 18.000 Folgen hinweg, hat Charles M. Schulz die «Peanuts»-Comics gezeichnet. Dieses Pensum zu schaffen, sei keine große Leistung gewesen, hat er immer wieder beteuert. Schließlich wiederhole er auch in seinen Bildern unablässig dieselben Schemata. Für die keck gekräuselten Nackenhaare von Linus habe es ebenso eine feste Form gegeben wie für den Faltenwurf am Kleidchen von Lucy. Auch die grafischen Rhythmen, die Snoopy bei jedem Tanzversuch mit seinen fliegenden Schlappohren erzeugt, seien normiert gewesen.

Mit großer Lakonie hat Schulz stets versucht, seinen Stil als rein ökonomisch und reduziert darzustellen. Doch strafte die Freude, mit der er über seine Schemata sprach, diese Lakonie verlässlich Lügen. Noch die winzigste seiner grafischen Gesten hat er innig geliebt – so sehr, dass ihm die endlose Wiederholung des Gleichen als schönste Form des Daseins erschien. Als Künstler hat Schulz von der gleichen Dialektik gelebt, die auch seine Figuren bestimmte: Die endlose Zeitschleife, in der die Peanuts sich drehen, ist ihnen von der Beschränkung zum Glück geworden. Nicht altern zu dürfen, gab ihnen Schutz vor der schlimmeren Welt der Chronologie und des Todes.

 

Jens Balzer, Jahrgang 1969, ist Redakteur im Feuilleton der «Berliner Zeitung». Gemeinsam mit dem Zeichner Martin tom Dieck veröffentlichte er die Comic-Alben «Salut, Deleuze» (2000) und «Neue Abenteuer des unglaublichen Orpheus» (2001).

 

Elzie C. Segar
Popeye
Aus dem Amerikanischen von Ebi Naumann.
Marebuch, Hamburg 2006. 500 S., 29,90 €



Charles M. Schulz
Die Peanuts. Werkausgabe, Band 1: 1950–1952
Mit einer Einleitung von Robert Gernhardt. Aus dem Amerikanischen von Fred Kipka.
Carlsen, Hamburg 2006. 360 S., 29,90 €
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Die Peanuts. Werkausgabe, Band 2: 1953–1954

Mit einer Einleitung von Andreas Platthaus. Aus dem Amerikanischen von Fred Kipka.
Carlsen, Hamburg 2006. 360 S., 29,90 €
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