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Landwirtschaft - Wie der Bauer zum Banker wird

Kolumne: Stadt, Land, Flucht. Viele Bauern können ihr Überleben kaum mit dem Einkommen aus der Landwirtschaft sichern. Sie brauchen ein zweites Standbein. Der Erfolgs- und Zeitdruck ist nun auch auf dem Land angekommen

Autoreninfo

Marie Amrhein ist freie Journalistin und lebt mit Töchtern und Mann in der Lüneburger Heide.

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Seitdem wir einen Bauernhof betreiben, sammeln sich auf den Zeitungsstapeln neben Cicero und Süddeutsche auch Werbeprospekte für Traktoren, Stallequipment oder Saatgut an. Staunend las ich vor kurzem von einer neuen Hybridgerste, welche, so wurde es angepriesen, früher, schneller, vitaler und größer werde als alles, was der gemeine Landwirt je gesehen habe. Die Prospektaufmachung hatte mehr von einem Anlageplan der Deutschen Bank als von meinem Bild von Ackerbau und Viehzucht.

Dabei bin ich schon länger dabei, hier einiges zu revidieren. Meine erste landwirtschaftliche Reportage führte mich nach Hannover auf die Agritechnica, wo mir Mähdrescher von zehn Metern Breite vorgeführt wurden. Jedes Jahr fahren die Bauern aus der Gegend nach Tharmstedt, um auf 180.000 Quadratmetern die neuesten landwirtschaftlichen Must-Haves zu besichtigen. Setzlinge werden in genau berechneten Abständen eingesetzt, für die Besamung der Kühe braucht man schon lange keinen Bullen mehr auf dem Hof.

Wenngleich in den Städten die vegane und vegetarische Küche boomt, wird in Deutschland so viel Fleisch verzehrt wie nie zuvor. Ein Bauer ernährt heute durchschnittlich 144 Menschen, hat das Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung ausgerechnet. Das alles ist nur möglich, weil effizientes Wirtschaften über allem steht. SAP hilft mit, wenn per Digital Farming Maschinen gebaut werden, deren Mähwerke auf zwei Zentimenter genau arbeiten.

Ihre Landwirtschaft reicht vielen Bauern nicht mehr zum Überleben, sodass sie sich auf die Suche nach zweiten Einkommensquellen begeben. Diese finden sie häufig in den Touristen, die wegen der Ursprünglichkeit und Ruhe aufs Land kommen. Irgendwie absurd. Da will man raus aus dem Stadtalltag, zieht hinaus in Wiesen, Wald und Flur – und findet hier die gleichen Realitäten aus Zeit- und Erfolgsdruck, denen man entfliehen wollte.

Schneller, weiter, höher
 

Diese Entwicklung ist aber noch lange nicht bei allen angekommen. Wir haben Wochen der Dürre hinter uns. Auf einigen unserer Wiesen wuchs kaum noch ein Grashalm, die Heuernte brachte fast zwei Fuder weniger ein als im vergangenen Jahr. Nun aber regnet es und wir schauen dankbar gen Himmel. Die Erfahrung, dass es Dinge gibt, die nicht in unseren Händen liegen, ist auch eine kathartische. Ihr entgegengesetzt ist das Gefühl jenes großen Marktregulierens, von dem wir täglich in den Nachrichten lesen. Schneller, weiter, höher – das gilt aber auch fern der Städte und Bankenhäuser.

Ein Werbevideo der australischen Milchindustrie zeigt ein paar Banker, die in Lackschuhen und schwarzen Anzügen Bauernarbeit verrichten. Wie sie da so tölpelhaft durch den Dreck waten, mit dem Mercedes im Schlamm stecken bleiben und mit Milch bespritzt werden, ist nett anzusehen. Viele Bauern sind stolz darauf, einen Beruf zu haben, der mit handfesten Erlebnissen, konkreten Ergebnissen und Produkten einhergeht. Mir schwant aber, das Video lenkt davon ab, dass die Bauern auf dem besten Wege sind, genau die gleichen Kompromisse machen zu müssen, wie die belächelten Banker in ihrer albernen Büromaskierung.

Und je länger ich mit dem Blick auf Baumkronen einschlafe und aufwache, desto klarer wird mir: Es gleichen sich nicht nur die Journalisten auf dem Land und die in der Stadt. In der Welt, die wir gerade aufbauen, gleichen sich sogar die Bauern und die Banker.

Ich finde das ein bisschen traurig.

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