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Kulturkampf im Vatikan - „Gott ist nicht katholisch“

Innerhalb der katholischen Kirche fliegen die Fetzen. Vatikan-Insider Andreas Englisch über die katholischen Lagerkämpfe, die Wahrscheinlichkeit einer Kirchenspaltung und eine mögliche Rückkehr Ratzingers

Autoreninfo

Timo Stein lebt und schreibt in Berlin. Er war von 2011 bis 2016 Redakteur bei Cicero.

So erreichen Sie Timo Stein:

Herr Englisch, Sie sprechen von einer päpstlichen „Revolution“ im Vatikan. Was ist das Revolutionäre an Franziskus?
Dieser Papst wirft der katholischen Kirche vor, dass sie sich in den vergangenen Jahrhunderten kaum um die Botschaft von Jesus von Nazareth geschert hat. Franziskus sagt, wenn wir weiter in dicken Appartements wohnen, mit großen Autos herumfahren, Ordensfrauen für uns kochen und putzen lassen, dann sind wir unglaubwürdig, dann laufen uns die Leute davon. Deswegen braucht ihr euch nicht zu wundern, dass die katholische Kirche in einer Krise steckt. Diese Botschaft des Papstes stellt den ganzen Apparat auf den Kopf.

[[{"fid":"67270","view_mode":"full","type":"media","attributes":{"height":1098,"width":750,"style":"width: 150px; height: 220px; margin: 5px; float: left;","class":"media-element file-full"}}]]Franziskus setzt auf offene Debatten und lässt Umfragen unter den gläubigen Katholiken machen. Das kommt bei den Traditionalisten offenbar nicht so gut an.
Im Grunde ist der Konflikt ganz einfach. Bisher hat die katholische Kirche gesagt: Gott vergibt überhaupt nichts. Gott vergibt keine einzige Sünde, wenn du nicht regelmäßig in die Kirche gehst, wenn du dich nicht taufen lässt, wenn du nicht zur Kommunion gehst. Entweder die Menschen halten sich an diese Regeln – oder sie kommen in die Hölle. Und jetzt kommt im Jahr 2013 ein Papst, der sagt: Falsch! Gott vergibt immer. Mehr noch, Franziskus sagt: Gott ist nicht katholisch. Die Pfarrer sind nicht dafür da, die Menschen zu verurteilen, sondern ihnen in einer dramatischen Lebenssituation zu helfen.

Laut Franziskus hat Gott keine Konfession. Fürchten die Traditionalisten also um ihre Existenzgrundlage, davor, dass der Papst die Kirche abschafft?
Ja, die katholische Kirche hat immer gesagt: Wir sind die einzige Organisation der Welt, die von Gott direkt gegründet wurde, und die einzige, die dem Menschen objektiv helfen kann, ins Paradies zu kommen. Das hat die Kirche 2000 Jahre lang vertreten. Sie ist gut damit gefahren. Und jetzt kommt ein Papst und sagt: Wir sind eine Kirche unter vielen. Es gibt auch viele gläubige Muslime und Hindus. Wer von denen ins Paradies kommt, das entscheidet der liebe Gott allein. Das nimmt der katholischen Kirche den Kern ihres Anspruchs. Joseph Ratzinger hat dagegen noch im Jahr 2000 geschrieben, dass es für die Menschen objektiv besser ist, katholisch zu sein, weil sie nur dann ins Paradies kommen.

Die Gegner des Papstes sorgen sich um den Markenkern der katholischen Kirche.
Franziskus sagt: Wir haben nur dann eine Überlebenschance, wenn die Leute uns glauben. Wenn wir eine Botschaft verkünden, die aufrichtig ist. Wir müssen aufhören, die Leute am Gängelband zu führen und als Druckmittel die Angst vor der Hölle einzusetzen. Und wenn wir dann eine kleinere Kirche werden, dann ist das eben so. Wenn wir aber unglaubwürdig bleiben, haben wir gar keine Zukunft.

Gerade die Sprache in diesem Konflikt innerhalb der katholischen Kirche ist mitunter sehr martialisch: Kurienkardinal George Pell erklärte, man sei gerade Zeuge „der dritten symbolischen theologischen Schlacht“.
Es tobt ein Kampf. Der Chef der Glaubenskongregation, Gerhard Ludwig Kardinal Müller, einer der heftigsten Gegner von Franziskus, hat gesagt, wenn der Papst so weiter macht, dann droht eine Kirchenspaltung. Das Schlimme an der Geschichte ist: Die Hardliner wollen ein solches Schisma. Die sagen, das sei das beste, was passieren könne. Soll Franziskus doch seine Popkirche haben. Wir haben ja noch einen Papst Benedikt. Und um den schart sich dann eine kleine, aber im Glauben reine Herde.

Würde Joseph Ratzinger denn für so etwas bereitstehen?
Ich glaube eher nicht. Auf der anderen Seite  sollte ich vorsichtig mit Prognosen sein. Bekanntlich ist Benedikt der erste Papst in 700 Jahren, der zurückgetreten ist.

In den letzten Tagen stritten führende Katholiken auf der von Franziskus einberufenen Familiensynode. Zu den zwei großen Streifragen gehörte das Thema Homosexualität. Sie sagen, im Grunde gibt es viele homosexuelle Funktionäre im Vatikan. Woran machen Sie das fest?
In einem reinen Männerclub gibt es selbstverständlich jede Menge Männer, die sich zu Männern hingezogen fühlen. Das erlebt jeder, der mal ein bisschen länger mit der katholischen Kirche zu tun hat. Viele leben ihre Homosexualität nicht aus.

In einem Interview sprechen Sie von zweideutigen Blicken auf den Gängen im Vatikan. Jeder wüsste im Grunde über die sexuelle Orientierung des anderen Bescheid…
Das ist wie in Ihrer Redaktion auch. Spätestens nach drei Wochen wissen Sie auch ganz genau, ob Sie einen Kollegen haben, der homosexuell ist oder nicht. Das ist natürlich im Vatikan nicht anders. Bei jungen Männern ist die Orientierung ziemlich schnell zu erkennen.

Mit dem Unterschied, dass die Homosexuellen im Vatikan gleichzeitig sehr homophob sind.
Ja, das ist wirklich eine schwer verständliche Konstellation. Da haben Sie Recht. Das kann ich Ihnen aber auch nicht erklären, da müssen Sie einen Psychologen fragen.

Die andere Streitfrage betrifft den Umgang der Kirche mit wiederverheirateten Geschiedenen. Diese dürfen bislang nicht zur Kommunion gehen. Wie schätzen Sie die Chancen auf eine offizielle Zulassung zu den Sakramenten nach dieser Synode ein?
Ich denke, der Papst wird sich in dieser Frage durchsetzen. Das generelle Verbot der Zulassung zu den Sakramenten muss fallen.

Wieso „muss“?
Ein Beispiel: Einer Frau, die katholisch geheiratet hat und sich nach der Eheschließung mit ihrem Mann zerstreitet, diesen erschießt und dafür verurteilt wird, kann der Pfarrer im Knast vergeben. Wenn sie aus dem Gefängnis herauskommt, kann sie wieder zu den Sakramenten gehen, kann wieder heiraten, zur Beichte gehen. Wenn die gleiche Frau ihren Mann nicht tötet, sondern sich von ihm scheiden lässt und danach wieder heiratet, ist sie von allen Sakramenten ausgeschlossen. Einen Mörder besser behandeln als einen Geschiedenen? Wem wollen Sie das denn erklären?

Es ist doch so: Der katholischen Kirche ist es im Grunde ganz egal, ob zwei Menschen, die heiraten, sich lieben oder nicht. Ob sie sich auseinanderleben oder hassen, die Ehe bleibt bestehen. Und jetzt kommt der Papst und sagt: Wenn in einer Ehe Gleichgültigkeit eingekehrt ist, dann ist es vielleicht besser, wenn man sich trennt. Die Gegner sagen: Wenn der Fehlgeleitete von oben das jetzt in Frage stellt, fällt der ganze Laden zusammen. Deswegen sind die Gegner auch so sauer. Und deswegen jetzt dieses Komplott, das lanciert wurde…

Sie meinen die jüngsten Gerüchte, Franziskus hätte einen Gehirntumor. Lanciert?
Ja sicher. Ich hab das schon bei Johannes Paul II. erlebt. Das war noch, als die Berliner Mauer stand. Da haben die Russen verbreitet, dass der Papst durch das Attentat einen Gehirnschaden davongetragen habe. Eine Destabilisierungskampagne, die auch heute die Gegner anwenden. Hirntumor bedeutet, er ist womöglich nicht mehr entscheidungsfähig und Herr seiner Sinne.

In so einer Gemengelage braucht man starke Nerven. Sie beschreiben den früheren Bergoglio in Ihrem Buch allerdings als äußerst sensiblen, scheuen, fast schon depressiven Menschen. Wie passt das zusammen?
Ja, der frühere Bergoglio war ein freudloser, in sich gekehrter, sehr stiller und zudem auch dünner Mann. Jemand, der an dem Unglück und den Umständen seines Heimatlandes nahezu völlig zerbrochen schien. Mit der Papstwahl kam der Wandel. Bergoglio muss sich gedacht haben, die Leute, die kein Geld haben, die verhungern, die nicht wissen, wie sie ihre Kinder in die Schule schicken sollen, haben ein Recht darauf, dass ich jetzt ein erfolgreicher Papst werde. Und dann hat sich dieser ehemals depressive Mann irgendwann nach seiner Wahl gesagt: So, jetzt ist ein ganz anderer Mensch nötig, ein strahlender, von der Freude des Evangeliums erfüllter Papst. Den hat er dann wirklich hervorgekehrt. Und seine ehemaligen Pfarrer, die 20 Jahre in seiner Diözese gearbeitet haben, waren völlig fertig. Die haben ihm diesen spektakulären Brief geschrieben, indem sie ihn fragen, warum er ihnen 20 Jahre lang sein Lächeln verwehrt hat.

Die Synode endet am Sonntag. Welche Seite setzt sich durch: Die Reformer oder die Traditionalisten?
Ich glaube, dass der Papst sich durchsetzen wird. Er wird so etwas sagen wie: Wir wollen nicht in eine Kirche zurück, die die Zugbrücken hochzieht wie eine Burg. Das ist sein Lieblingsbild. Mein Gott, jemand lässt sich scheiden und hat danach wieder geheiratet. Ja und? Dass wir ihn deswegen aus der Kirche ausschließen, das versteht heute niemand mehr. Schauen Sie: In den Ballungsräumen in Europa gehen gerade noch zwei Prozent in die Kirche. Selbst in den katholischen Hochburgen ist es vielleicht noch jeder siebte oder achte, also 12 oder 13 Prozent. Die gehen gerade unter – und das wissen sie auch.

Das Interview führte Timo Stein

Andreas Englisch ist deutscher Vatikan-Korrespondent und Buchautor. Von Englisch stammt u.a. der Bestseller »Johannes Paul II. Das Geheimnis des Karol Wojtyla« (2002), »Benedikt XVI. Der deutsche Papst« (2011) und der Longseller »Franziskus – Zeichen der Hoffnung« (2012).

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Andreas Englisch:
Der Kämpfer im Vatikan.

Papst Franziskus und sein mutiger Weg
384 Seiten
19,99 € [D] 20,60 € [A] 26,90 CHF
C. Bertelsmann Verlag
 

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