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Kulturförderung - In so viel Gunst stirbt alle Kunst

Nur frei kann wachsen, was bleibt. Kein Projektgeld hilft da, kein Chichi: Acht Thesen zur Finanzierung von Kunst – vom Intendanten der Berliner Festspiele

Autoreninfo

Thomas Oberender ist seit 2012 Intendant der Berliner Festspiele und war zuvor Schauspieldirektor bei den Salzburger Festspielen. Er schrieb u. a. „Leben auf Probe“ und „Das schöne Fräulein Unbekannt“

So erreichen Sie Thomas Oberender:

Kunst und Kultur werden in Deutschland großzügig durch die öffentliche Hand unterstützt. Die festen Budgets vieler Museen, Theater oder Konzerthäuser aber stagnieren seit geraumer Zeit oder werden gekürzt. Die Finanzierung ändert sich radikal: Die arbeitssichernden Mittel werden zunehmend durch punktuelle Projektförderung auf Antrag gewährt, während die Institutionenförderung erodiert. Dieser Paradigmenwechsel schlägt zurück auf die solchermaßen neu und anders subventionierte Kunst.

1. Kunst darf nicht mit Pädagogik verwechselt werden
 

Kunst scheint zunehmend das im Beipackzettel von Förderanträgen und Förderrichtlinien Mitgemeinte zu sein. Zu Leitbegriffen werden: Education, Nachbarschaft, Partizipation. Der dynamische Bereich der Kulturförderung jenseits der fixen Zuwendung für die klassischen Institutionen dient oft sozialen Zwecken und weniger der Förderung künstlerischer Produktion.

Die traditionelle Geste, dass ein Souverän, ein Mäzen oder der Staat Künstlern durch Aufträge ihre Freiheit gewährt, wird abgelöst von einer Geste, die vermittels der Kunst eine spezifische Pädagogik verfolgt: mehr Bildung, Austausch und Integration, mehr Vernetzung, Nachhaltigkeit und Innovation.

Gefördert wird oft ein sozialer Zweck, der durch die Kunst vermittelt werden soll. Einen solchen partizipatorischen Ansatz pflegen Kinder- und Jugendtheater mit Migranten oder Stadtteilbewohnern. Kunst gilt plötzlich als sekundäres, unsicheres Phänomen. Vielleicht liegt dieser Geisteswandel, dem zufolge weniger die Kunst der Förderung bedarf als der Zustand unseres Gemeinwesens, daran, dass der Hype der bildenden Kunst suggeriert, Kunst käme am Markt allein zu Geld. Diese Entwicklung hat zwei bedenkliche Effekte: Sie ersetzt den Eigenwert künstlerischer Arbeit durch Begründungszwänge. Und sie verstärkt in den seltenen Fällen, in denen noch künstlerische Projekte gefördert werden, die Tendenz zu großen Namen und zu Formaten, die Aufmerksamkeit und Sicherheit versprechen.

2. Kunst muss ein Wagnis bleiben
 

Viele Firmenstiftungen folgen dem Konzept der Corporate Social Responsibility, CSR. Sie verpflichten sich, mehr für die Umwelt, die Gesellschaft und die eigenen Mitarbeiter zu tun, als es gesetzlich vorgeschrieben ist. Firmen agieren dabei wie zivile Personen, die über den Rahmen des gesetzlich Vorgeschriebenen hinaus soziale Verantwortung übernehmen, um ihre gesellschaftliche Akzeptanz zu gewährleisten. Kulturförderung aus einer Grundhaltung der CSR fördert daher eher Konsenspositionen als das Extreme oder Riskante.

Provenienzforschung beispielsweise ist in dieser Perspektive gut; dass jedes Kind ein Instrument erhält, ist auch gut, da risikoarm und ertragssicher. Das Young Directors Project in Salzburg, das jungen Künstlern half, ihre oft unkonventionellen Projekte zu präsentieren, braucht hingegen eine andere Lobby, die auch aushält, dass manchmal etwas wehtut oder unverständlich bleibt. Geht dies nur, wenn Brad Pitt mitspielt? Eine solche Sichtweise wäre falsch.

Wenn für Kunst Geld gegeben werden soll, dann bitte für das vielversprechende Wagnis. Auch darin drückt sich gelebte Verantwortung aus, wie sie mäzenatische Persönlichkeiten wie die Guggenheims, Gettys oder Feltrinellis vorgelebt haben.


Brauchen wir neue Modelle zur Kulturförderung?

Diskussionsveranstaltung mit Thomas Oberender (Intendant der Berliner Festspiele),

Ilia Papatheodorou (She She Pop - Performance-Kollektiv) und

Stephan Muschick (RWE Stiftung).

Moderation: Alexander Kissler (Cicero – Magazin für politische Kultur).

Begrüßung: Sven Sappelt (CLB Berlin).

Termin: 10.12.2015, 19.00 Uhr

Ort: CLB Berlin, Aufbau Haus, Prinzenstr. 84.2, 10969 Berlin-Kreuzberg



3. Wer nur Projekte fördert, stiehlt sich aus der Verantwortung
 

Staatliche und private Kulturförderungseinrichtungen wollen sich Spielräume für aktuelle Reaktionen erhalten. Da jede Form dauerhafter Förderung diese Spielräume einschränkt, ziehen öffentliche wie private Hand zunehmend ein temporäres Engagement vor oder machen es für neue Initiativen zur Bedingung. Projektförderungen erlauben den Geldgebern, ihr Ziel klar zu definieren. Die Arbeit wird evaluierbar.

Diese Projektkultur bringt neue Phänomene mit sich: das Antragswesen, die Jurys, die Macht der Politiker, die striktere Beeinflussbarkeit der Kunstproduktion, die Ex-und-hopp-Kultur der Festivals, prekäre Arbeitsbedingungen. Projektförderung fördert Chancen, niemals Sicherheit. Sie übernimmt keine Verantwortung, sondern setzt nur Impulse. Sie behandelt selbst durchgesetzte Talente wie Start-ups.

Firmen fördern entweder noch auf mäzenatische Weise, sind also loyal zu Künstlern und Institutionen wie bei den Salzburger Festspielen. Oder aber sie treten als Sponsoren spezifischer Projekte auf, wobei sie sich loyal gegenüber der eigenen Firma und der eigenen Zielgruppe verhalten müssen. Auch die öffentliche Hand sponsert inzwischen gern Projekte. Sie verknüpft ihre Förderung mit strategischen Impulsen, die deutlich von kulturpolitischen, oft auch pädagogischen Interessen geprägt sind. Auch so wird Macht ausgeübt statt freie Kunst ermöglicht.

4. In Institutionen kann Kunst sich prinzipiell freier entfalten
 

Viele Institutionen wollen ihre finanzielle Unterdeckung ausgleichen, indem sie Projektmittel einwerben. Schleichend, aber grundlegend ändern sich dadurch die Arbeits- und Vertragsstrukturen. Die Beschäftigungsverhältnisse vieler Mitarbeiter werden prekär. So entsteht ein süßsaurer Bereich aus neuen Möglichkeiten und neuen Härten. Die klassischen Institutionen werden unterstützt, wo und sofern sie innerhalb ihrer Mauern Insellösungen für Projektaufgaben schaffen.

Angesichts dieser projektkapitalistischen Entwicklungen bieten Institutionen die freiere Struktur, da in ihnen eine künstlerische Arbeit mit langer Laufzeit und jenseits aufwendiger Bürokratien möglich ist. Die Entwicklung hin zu hybriden Institutionsformen ist dennoch unaufhaltsam: Auf der Sockelstruktur eines Hauses setzt eine fluide Arbeitsstruktur der Projekte auf, die häufig weit über die Hälfte der notwendigen Mittel auf dem freien Markt der befristeten Bedarfsfallgelder besorgt, also Drittmittel akquiriert.

5. Cluster heißt das falsche Zauberwort
 

Stiftungen und Förderstrukturen schließen sich auch in Europa zu Fonds und Organisationen zusammen. Im Windschatten dieser Großakteure bildet sich ein Tross von kleineren Dienstleistern – unabhängige Agenturen, die Projekte lancieren und Expertisen anfertigen, Büros für Kundenbetreuung, Pressearbeit, Veranstaltungsservice. So entsteht eine dezentrale Korona um die großen Flaggschiffe der wirtschaftsnahen und staatlichen Fördereinrichtungen.

Hinzu kommt auch auf staatlicher Ebene der Trend zum sogenannten Cluster wie dem Humboldt-Forum in Berlin. Solche Verbundstrukturen bilden annähernd geschlossene Arbeitsketten zwischen Künstlern, Residenzen, Shops und Firmensitzen der Kreativindustrie.

Das Wort Cluster klingt unangenehm nach Chemielabor, Vernunftehe und schickem Design. Letztlich ist es genau das: ein duftendes Marketingversprechen, das eine Win-win-Situation suggeriert. So bilden Cluster hybride Milieus zwischen Online- und Offlinewelten im Handel oder im Bereich der kulturellen Arbeit. Eines der wenigen gelungenen Beispiele ist das Tokioter 3331 Arts Chiyoda – Kulturhaus, Galerie- und Atelierhaus, Kindergarten und Firmensitz in einem.

6. Wenn Geldgeber zu Veranstaltern werden, fehlt ein Korrektiv
 

Während es lange eine strikte Trennung gab zwischen Geldgeber und Veranstalter, mit unterschiedlichem Selbstbewusstsein und Auftrag, vermischen sich diese Sphären immer stärker. Siemens veranstaltet in Salzburg eigene Festspielnächte, Vattenfall veranstaltet die Hamburger Lesetage und BMW sein Guggenheim-Lab. VW leistet sich ein Tanzfestival, Bayer, die Deutsche Bank und die Hypo-Vereinsbank unterhalten Kulturhaus oder Museum.

Auch die staatliche Bundeszentrale für politische Bildung unterstützt nicht mehr nur Produktionen, sondern veranstaltet selbst ein Theaterfestival. Die Kulturstiftung des Bundes richtet Symposien aus. Diese Neuheit zeigt, dass der alte europäische Geist von der Freizügigkeit der Künstlerförderung einer stark pragmatischen Haltung weicht, wonach Kultur und künstlerische Produktion maximal zu kontrollieren seien. So wird die Wirtschaftslogik unmittelbar auf die Sphäre der kulturellen Produktion übertragen.

Dass Geldgeber zu Veranstaltern werden, spiegelt sich auch in einem anderen Bereich: Die Freundes- und Fördervereine bilden exklusive Klubs, die wie Firmen agieren. Die Freunde der Nationalgalerie in Berlin sind zu einem veranstaltenden Akteur geworden, der mit eigener Infrastruktur die öffentlich erhaltene Immobilie vermietet und den Museumsshop betreibt, um durch die Erlöse Ausstellungen und Ankäufe zu finanzieren und den Institutionen wiederum Projektmittel zukommen lassen zu können, die natürlich oft einer eigenen Agenda der Unterstützer folgen. Wer mag da klagen?

7. Der privatisierte ist der kommerzialisierte Kulturraum
 

Wir erleben heute eine Privatisierung öffentlicher Räume, die immer auch Kulturräume waren. In Europa und insbesondere den deutschsprachigen Ländern seit dem 19. Jahrhundert hielt der Staat solche Plätze der Begegnung eigens frei, ob dies nun Parks, Spielplätze oder Museen waren. Etwas Ähnliches passiert gerade in der digitalen Welt. Das alte Internet mit seinen zunächst von Staaten, dem Militär und den Universitäten geschaffenen Infrastrukturen wird wohl in naher Zukunft von den Netzwerken großer Monopolisten abgelöst. Google oder Facebook schaffen geschlossene Nutzerwelten, die auf dem Eigentum der privaten Netzwerkbesitzer beruhen.

Die Kultur dieser digitalen Welt mit ihrem Totalscan unseres Verhaltens wird in die Welt der analogen und dinglichen Kulturräume eindringen. Der Streit um TTIP und die sehr unterschiedliche Auffassung des Begriffs Kultur in Europa und den USA geben einen ersten Vorgeschmack. Wem aber gehört das Gedächtnis der Welt, das von den Beständen von Foto Marburg umsiedelt in Serverfarmen hoch oben in Finnland?

8. Europa ist anders
 

Die Blüte der deutschen Kultur ab der Mitte des 18. Jahrhunderts ist nicht denkbar ohne die zahlreichen Fürstenhöfe. An ihnen wurden Musiker und Dichter, Architekten und Gelehrte gefördert, die in eine sich herausbildende Bürgergesellschaft hineinwirken konnten. Die repräsentative Demokratie zwei Jahrhunderte später macht die Entscheidung darüber, welche Kunst gefördert wird, zur parlamentarischen Debatte.

Es ist in hohem Maße staunenswert, dass in Europa der Staat überhaupt Geld gibt für die Künste. Jeder amerikanische Künstler in Berlin schreibt davon nach Hause. Ein Großteil der amerikanischen Theateravantgarde, von Robert Wilson bis Zachary Oberzan, wäre nicht existent ohne die europäische Festivallandschaft. Die Blüte des europäischen Sprech- und Tanztheaters in den Benelux- oder deutschsprachigen Ländern hat auch mit einem über Jahrzehnte gut ausgestatteten System aus staatlich getragener Ausbildung und Praxis zu tun, das sich am Broadway nie bewähren würde, in der Welt sonst aber schon. Etwa 0,4 Prozent des Bundeshaushalts werden für die Kultur verwendet, zwischen 1,4 und 1,9 Prozent der Budgets der Städte und Länder. Nato-Mitgliedsstaaten sollen mindestens 2 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes ins Militär investieren. Es ist also noch deutlich Luft nach oben für die Kultur in jenen Ländern, die bis heute dank ihrer Geschichte und Lebensqualität als Kulturnationen hohe Standortvorteile genießen.

Diese spezifische Kultur ist das Resultat von Kunstwerken, die in freier Intelligenz und eigenem Auftrag Schönheit schufen und Einsicht. So mag auch heute jeder seine Berechnungen anstellen mit der Kunst. Doch dass Kultur vergeht, ist gewiss. Kunst hingegen bleibt.

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