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Britta Jaschinski

Künstlerin Maliheh Afnan - Luftwurzeln im Labyrinth

Die persische Künstlerin Maliheh Afnan malt Bilder, die wie Texte sind – in einer Sprache, die es nicht gibt. Gerade so kommt sie dem Leben auf die Spur

Autoreninfo

Marleen Stoessel lebt als freie Autorin, Essayistin und Kulturpublizistin in Berlin.

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Gern wäre sie auch Archäologin geworden, den Spuren menschlichen Daseins in seinen Resten und Fragmenten gefolgt. Nun aber zieht Maliheh Afnan, die international gefeierte Künstlerin, selber diese Spuren, verwebt die Linien zur Schrift, die in ihrer Fremdheit und Unlesbarkeit den Chiffren auf alten Scherben oder Gefäßen gleicht. Wie etwa jenen rätselhaften Schriftzeichen, die eine Schale aus dem 11. Jahrhundert überziehen, welche die Künstlerin in ihrem Heim im vornehmen Londoner Kensington bewahrt. In schlanken kristallenen Gläsern bietet sie, ganz orientalische Tradition, Tee an, grünen Tee, der golden leuchtet.

Maliheh Afnan, Tochter persischer Eltern, wurde 1935 in Haifa geboren, zu einer Zeit, als Palästinenser und Juden friedlich miteinander lebten. Ihre Familie gehörte der nachislamischen Gemeinschaft der Bahai an, deren liberaler Charakter sie prägte und die auf dem Berg Karmel in Haifa ein Zentrum hat. Auf eben diesem Berg hatte der geliebte, aus Schiraz eingewanderte Großvater ein Grundstück erworben und daraus jenen Paradiesesgarten mit all seinen Früchten gestaltet, der sich als irdisches Abbild des Göttlichen in die florale Ornamentik persischer Teppiche webt. Ein solcher, in warmen, hellen Rottönen, liegt ihr nun zu Füßen. In einem kleinen Glasgefäß hat Maliheh Afnan eine Handvoll Erde vom Berg und jenem Garten aufbewahrt.

Von einer Rückenkrankheit gebeugt, sitzt die alte Dame, in der einen Hand den Stock, in der anderen eine E-Zigarette, aus der sie ab und zu einen Zug genießt. Beides, Stock wie Zigarette in einer Haltung, deren Eleganz die Kraft zum Aufrechtsein zugleich bezeugt und vergessen macht. Als innere Haltung, die Resultat ihrer Lebenserfahrung, ihrer langen Wanderungen zwischen Ost und West, ihres Entwurzeltseins ist. Keine Wurzeln zu haben, betont sie oft, wie auch das Wort grace, Gnade, wenn sie sich als „Medium“ fühlt, wenn der Zufall ihre Hand, den Stift, den Pinsel führt, die Linie zieht von irgendwoher nach irgendwohin, nur begrenzt durch das Blatt, das vor ihr liegt.

„Heimat“ ist allein dieser Ort, diese Wohnung – ein intimes Museum, das dem Archiv ihres Gedächtnisses gleicht. An den Wänden all die Schriftkunstwerke, deren Farben eben die uralter Papyri, vergilbter Palimpseste, verfallener Mauern oder Scherben sind: Rost, die Lieblingsfarbe, Ocker, Kupfer und manchmal ein Rotton, den sie gern als sun-kissed bezeichnet. Gedämpfte Farben, die im Dämmer fast verschwinden, im Licht jedoch zu glühen beginnen.

Herbe Stimme, trockener Humor, agnostische Skepsis
 

Nebenan der Arbeitsraum, eher Schreibwerkstatt als Atelier. Sie arbeitet am Tisch, die Staffelei dient nur der Betrachtung des entstehenden Werkes. Schon als Kind sei sie von Schrift fasziniert gewesen, ahmte die Buchstaben nach, erfand sich eigene – ein Echo der kalligrafischen Tradition, die ihre Herkunft prägt. Über die Stationen Beirut und Kuwait kam die Kunststudentin 1956 nach Washington D.C., wo sie mit den Werken des wahlverwandten amerikanischen Künstlers Mark Tobey bekannt wurde. Er vermittelte ihr dann 1971 die erste Ausstellung in Europa, in Basel.

Neben Tobey, Klee, Giacometti oder Rothko sind es Künstler wie Cézanne, Modigliani und der von ihr schlicht als „Genie“ bewunderte Schiele, die „zu ihr sprechen“. It speaks to me oder auch nicht: dies das einzige Kriterium, das nicht über den Wert eines Kunstwerks, sondern ihr persönliches Verhältnis dazu entscheidet. Über Paris kam Afnan 1997 schließlich nach London.

Wurzeln haben ihren Ort, ihre Erde – die Linie aber ist grenzenlos. Sie überschreitet Ort und Zeit, knüpft sich zum Ornament, zur Schrift, knüpft sich wie Ariadnes Faden zur Spur auch durch das Labyrinth, welches das Leben und unser Gedächtnis ist. Entdecken, nicht aufdecken – die Verhüllung selbst, die Nichtlesbarkeit ist die Botschaft. Früher, erklärt Afnan, seien die Künstler, die Kalligrafen anonym gewesen. Sie fühle sich solcher Anonymität verwandt. Womit sie zu verstehen gibt, dass der hohe Marktwert ihrer Bilder, die nicht nur weltweit in Museen von New York, Paris oder London zu sehen sind und die hierzulande die Galerie Kornfeld Berlin vertritt, nichts über ihren wahren Wert zu verraten vermögen, jenseits solcher Zuschreibungen.

Da lehnt ein Bild in lichten Rot- und Gelbtönen, weniger melancholisch grundiert als die anderen: ihr „Lebensbild“, der Enkelin gewidmet. Das einzige Bild, das lesbare Textzeilen zeigt, darum sei es privat. Ein leuchtendes Mosaik, ein Minilabyrinth in dem großen Schriftgewebe, welches ihr Gesamtwerk darstellt, mehr als die anderen von Sonne geküsst. Ob sie daran weiter arbeiten werde? Vielleicht, meint sie lächelnd. Was das Beste in ihrem Leben gewesen sei? Kein Statement, ein Understatement ist die Antwort, charakteristisch für sie wie die herbe Stimme, der trockene Humor und die agnostische Skepsis, mit der sie dem Lauf der Dinge vertraut: The best, sagt Maliheh Afnan, the best is yet to come.

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