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Konsum an der Kasse - Von der Qual der Quengelware

Kolumne: Stadt, Land, Flucht. Die Bundesregierung will gegen Schokoriegel und Gummibärchen an den Supermarktkassen vorgehen. Sie gibt vor, sich um die Gesundheit der Kinder zu sorgen

Autoreninfo

Marie Amrhein ist freie Journalistin und lebt mit Töchtern und Mann in der Lüneburger Heide.

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Ihre Augen schwammen in Tränen, schiere Verzweiflung steckte in jedem der von Schluchzern unterbrochenen Worte: „Ich - möchte – einen – Oster – hasen.“ Ich habe Nein gesagt. Die Quengelware lässt mich ganz hart werden. Hier geht es nicht darum, meinem Kind keinen Schokohasen zu gönnen. Es geht um das Ärgernis, zu einer nicht gewollten Entscheidung gedrängt zu werden.

Die mit blankem Euphemismus bezeichnete „Quengelware“ schmälert nicht jenes Problem, das nun auch die Bundesregierung zum Handeln veranlasst. Es wurde Zeit. Denn schon seit Beginn der 90er Jahre kämpfen zahlreiche Elterninitiativen für Familienkassen, an denen auf sogenannte Impulsware wie Schokoriegel und Überraschungseier verzichtet wird. Das gefällt der Industrie so gar nicht, sind die Regale in Kinderaugenhöhe doch der umsatzstärkste Platz im Supermarkt, hier locken höchste Margen. Wenn die Einkaufsliste abgearbeitet ist, lässt der Kunde gerne mal Fünfe gerade sein und gönnt sich und dem Nachwuchs eine kleine Belohnung. Das ist die Rechnung von Rewe und Co. Und so ist Quengelware der einfache Weg, an die Kohle der Eltern zu kommen.

Dicker Nachwuchs auf Diabeteskurs
 

Gitta Connemann von der CDU erklärt nun, sich um die Gesundheit der Kinder zu sorgen. Sie ist Vorsitzende des Ernährungsausschusses und sagt: „Wir wollen kein Verbot, wir wollen Vernunft.“ Übersetzt in die politische Strategie heißt das, die Unternehmen sollen von alleine darauf kommen, den Quengelplatz zum Wohle der Kinder zu räumen. Sie redet von Wahlfreiheit, diesem blutleeren Begriff aus der Politik, der immer dann auftaucht, wenn faule Kompromisse geschlossen werden. Erfahrungsgemäß nämlich wählen Konzerne, die in grenzenloser Freiheit heranwachsen, den Weg des geringsten monetären Verlustes. So ist ihr Wesen. Wenn also diese quengelfreien Kassen wirklich eingeführt würden, wären sie vermutlich die letzten, die bei einer überlasteten Kassensituation geöffnet würden.

Um der Situation Herr zu werden, täte der Debatte auf beiden Seiten etwas mehr Ehrlichkeit gut. Es geht nämlich hier weniger um den dicken Nachwuchs auf Diabeteskurs, sondern viel mehr um die Selbstbestimmtheit, ja die Würde der Konsumenten. Das aber lässt sich nicht so leicht vermitteln wie die Szenerie des dicken und gemobbten Kindes. Die Entscheidung für Süßigkeiten treffen Eltern schon ein paar Reihen vor der Kasse, wenn sie Chips, Familienpackungen mit Schokoriegeln und Schokoladentafeln in den Einkaufswagen schmeißen. Der eine Riegel an der Kasse macht den Braten dann auch nicht mehr fett. Aber er ist ein Ärgernis für all die geräderten Elternseelen, die tagtäglich ihre Kämpfe mit dem trotzenden Nachwuchs austragen, die sich beim Gang durch den Supermarkt im Minenfeld wähnen, an dessen Ende die entstöpselte Handgranate in Form des Überraschungseis wartet.

Vor allem aber sind Quengelkassen eine Quälerei für die Kinder, die sich vollkommen hilflos den gezielt gesetzten Sehnsuchtsattacken der übermächtigen Marketingabteilungen von Rosalea, Hello Kitty oder Lillifee ausgesetzt sehen. Dreijährige machen hier ihre erste bittere Erfahrung mit dem Kapitalismus. Und die tut ganz schön weh.

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