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(Suhrkamp Verlag Berlin 2011) Die alten Meister als Comic: im Olymp der Hochkultur angekommen

„Alte Meister“ im Comic - Klopskörper in Kardinalskutte

Thomas Bernhards „Alte Meister“ in einer Comic-Fassung? Dem Zeichner Nicolas Mahler gelingt das mit Bravour. Er eröffnet damit die erste Comic-Reihe des ehrwürdigen Suhrkamp Verlags.

Seit über dreißig Jahren sitzt der Musikkritiker Reger jeden zweiten Tag, außer montags, auf derselben Bank im Kunsthistorischen Museum Wien: Er sitzt im sogenannten Bordone-Saal vor Tintorettos „Weißbärtigem Mann“, dem einzigen von den Alten Meistern im Haus, der ihm ohne Makel erscheint. Tizian? Rubens? Dürer? Das sind für Reger lediglich Dilettanten. Außerdem ist der Bordone-Saal der einzige Ort in diesem Museum, der eine für Reger angenehme Temperatur und Luftfeuchtigkeit aufweisen kann. So sitzt er hier also tagein, tagaus und kritisiert und erregt sich über die Musik, die Malerei und die anderen Künste; aber auch über die Welt im Allgemeinen und sein Heimatland Österreich im Speziellen.

Seit über dreißig Jahren wird Reger dabei von dem Saaldiener Irrsigler bewacht, einem unterwürfigen Klops von einem Mann mit einer sehr langen Nase. Auch Reger hat so einen Klopskörper, doch verhüllt er ihn in einer schwarzen Kardinalskutte. Er ist kein unterwürfiger Klops, er ist ein grimmiger, ein gefährlicher Klops. Ganz anders als wiederum sein neuer Freund, der Privatgelehrte Atzbacher: Dieser ist eine Hagelstangenfigur, eine unsicher wirkende, schlaksige Type mit einer Nase, die noch länger ist als alle anderen Nasen in diesem Comic.

„Alte Meister“ heißt dieses lakonisch erzählte und minimalistisch gezeichnete Werk, das der Wiener Comic-Zeichner Nicolas Mahler nach dem gleichnamigen Roman von Thomas Bernhard verfertigt hat. Die Grimmigkeit der Reger’schen Tiraden, die Verklemmung des einander umkreisenden Trios aus Kritiker, Verehrer und Wärter und die langsam erblühende Zärtlichkeit zwischen dem verpanzerten Reger und dem jungen Atzbacher hat Mahler kongenial übersetzt: in sparsam getuschten, aber gerade darin besonders berührenden Karikaturen. Auch die Gemälde an den Museumswänden entstellt er zur Kenntlichkeit: Tizians „Nymphe und Schäfer“, gleich auf der ersten Seite zu sehen, wirkt bei ihm wie von Wilhelm Busch; und der „Weißbärtige Mann“, immer wieder im Bild, erwacht aus der sparsamen Schraffur bald zu einem sonderbar bewegten Leben.

„Alte Meister“ ist die erste Comic-Veröffentlichung im Suhrkamp Verlag: Es ist der erste Teil einer Reihe, für die der Frankfurter Journalist Andreas Platthaus deutschsprachige Zeichner und Zeichnerinnen zur Adaption literarischer Werke eingeladen hat. Als Nächstes wird die Berliner Comic-Autorin Ulli Lust den Roman „Flughunde“ von Marcel Beyer interpretieren. Suhrkamp ist der letzte und bedeutendste der klassischen Buchverlage, der sich nun auch den Comics zuwendet. Für viele ist das ein Zeichen dafür, dass diese lange Zeit von der literarischen Welt als trivial verachtete Gattung endgültig in den Olymp der Hochkultur aufgenommen ist. Zum Auftakt der Reihe nun also Nicolas Mahler und Thomas Bernhard: Das erweist sich als eine grandiose Kombination.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, wie eine Frau Mahler beeinflusste

Seit Beginn seiner Karriere, Mitte der neunziger Jahre, hat Mahler sich immer wieder mit der sonderbaren Unterscheidung zwischen „High“ und „Low“ befasst, in Comic-Ausstellungen ebenso wie in Comics, die sich mit Ausstellungen und Museen befassen. Oder mit den praktischen Fragen der Kunsttheorie, die er in „Kunsttheorie versus Frau Goldgruber“, seinem frühen Hauptwerk aus dem Jahr 2003, behandelt: Hier streitet ein hagelstangenartiger Comiczeichner mit einer klopsförmigen Steuerbeamtin darüber, ob seine Comics – wie diese befindet – wirklich nur triviale Gebrauchsgrafik sind (20 Prozent Umsatzsteuer) oder – wie er glaubt – echte und wahrhaftige Kunst (10 Prozent).

Auch in „Alte Meister“ geht es um „High“ und „Low“ – und das nicht nur deshalb, weil der Kritiker Reger die Bedeutung der im Museum ausgestellten Gemälde und die Kunstfertigkeit ihrer Erschaffer unentwegt in Frage stellt. Vor allem geht es um die Bedeutung, die die „große“ Kunst für das Leben der „kleinen“ Menschen besitzt. Zum Ende der Geschichte wird immer deutlicher, warum Reger wirklich so an seinen Museumsbesuchen hängt: Hier hat er vor langer Zeit seine Frau kennengelernt, die inzwischen gestorben ist. In den nur scheinbar für sich stehenden „ewigen“ Gemälden sucht er nach dem Spiegelbild einer vergänglichen Liebe, die für immer verschwunden ist.

Je deutlicher diese Erkenntnis wird, desto konsequenter lässt Nicolas Mahler die „Alten Meister“ unter den Sprechblasen des Comics verschwinden: Gerade das scheinbar Triviale wird so zum Zeichen wahrhafter Sehnsucht. Aus den Karikaturen schälen sich Charaktere, ohne dass diese jemals aus den stilisierten Formen ausbrächen – die Menschen bleiben gefangen in ihren Körpern, ihren Prägungen, Verletzungen, in ihrer Geschichte; doch streben sie davon unbeirrt immer weiter nach Authentizität. „Alte Meister“ ist eine kongeniale Adaption eines großen Romans – und eine unerhört kluge Reflexion auf die Kunstform des Comic und auf die noch immer unbeantwortete Frage, ob man die Wahrheit der Kunst in den Meistern findet oder nicht vielmehr in der Ästhetik der alltäglichen Existenz.

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