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(picture alliance) Ulla Unseld-Berkéwicz, Witwe Siegfried Unselds, lud in die Villa Suhrkamp ein.

Der Kampf um Suhrkamp - Keine Absurditäten mehr ausgeschlossen

Im Drama um den Suhrkamp-Verlag treten auf: die Witwe Siegfried Unselds, Ulla Unseld-Berkéwicz, ein Haufen chauvinistische Literaturkritiker und Hans Barlach als Racheengel, mit einer Heerschar von Anwälten im Rücken.

Eine feinere, klügere und philologisch besser ausgebildete publizistische Literaturkritik als in Deutschland gibt es nicht – sehen wir von Frankreich, Großbritannien und den wenigen Feuilleton-Nischen der USA ab. Mehr neue Bücher pro Kopf der Bevölkerung – rund 90.000 Exemplare jedes Jahr – gibt es wahrscheinlich nirgendwo. Von der 120-jährigen Tradition der Buchpreisbindung, den Vorteilen der Teilwertabschreibung oder der halbierten Mehrwertsteuer im Buchhandel ist in den tausendfachen Rezensionen der Zeitungen kaum die Rede. Dass es sich um einen wichtigen Wirtschaftszweig handelt, in dem eigene Gesetze gelten, interessiert die Kulturkritik nur am Rande. Für Leser und Kritiker sind Deutschlands Bücher wie das Wetter: Sie sind immer da. Aber jetzt ziehen Gewitterwolken über dem Verlagsbuchhandel auf.

Denn in Wirklichkeit geht es dem Verlagsgewerbe immer schlechter. Der Umsatz sinkt seit Jahren. Buchhandlungen schließen. Der Handels-Leviathan „amazon“, e-Books und der Info-Müll des Internets zeigen erste Wirkung. Und jetzt soll sich der nationale publizistische Literaturbetrieb, so schwer es auch fällt, mit den Feinheiten des Gesellschafterrechts beschäftigen. Denn am 10. Dezember hat der Berliner Richter Hartmut Gieritz die Geschäftsführung des Suhrkamp-Verlags, an der Spitze die Witwe Siegfried Unselds, Ulla Unseld-Berkéwicz (immerhin mit 61 Prozent der Anteile im Besitz der Gesellschafts-Mehrheit) entlassen. Geklagt hatte der Hamburger Minderheitsgesellschafter im Suhrkamp Verlag, Hans Barlach (39 Prozent). Auf einen Vergleich wollte er sich nicht einlassen.

Die Verlegerin hatte ihre private Berliner Villa zum Teil umgewidmet in eine literarische Begegnungsstätte (die inzwischen regelmäßig hunderte Gäste anlockt) und einige Räume mitsamt Einrichtung dem Verlag mit Euro 6000 im Monat in Rechnung gestellt, ohne Herrn Barlach zu fragen. Wären es nur 4000 Euro gewesen, hätte der Mitgesellschafter keinen rechtlichen Klagegrund besessen. Sie war, in einem Wort, juristisch schlecht beraten.

Richter Gieritz verdonnerte die Geschäftsführung zur Rückzahlung von 282.486,40 Euro an den Verlag. Anders gesagt: Die Besitzerin des Suhrkamp-Verlags muss der Besitzerin des Suhrkamp-Verlags Geld von ihrem Privatkonto überweisen, wovon dann 39 Prozent Hans Barlach als Mitgesellschafter im Verlagssaldo zustehen. Unter allen Besonderheiten des Urteils ist dies aber die geringste.

Zwar amtiert Ulla Unseld-Berkéwicz bis zur Rechtskräftigkeit des Urteils weiter, doch bereits im Februar nächsten Jahres droht die völlige Zerschlagung des Verlags – auf Begehr des Miteigentümers Hans Barlach. Der Investor, Enkel des Bildhauers Ernst Barlach, klagt vor dem Frankfurter Landgericht auf Liquidation des Traditionshauses. Über 100 Mitarbeiter säßen dann womöglich auf der Straße. Auch diese Möglichkeit räumt das Gesellschafterrecht einem Teilhaber ein, so er denn beweisen kann, dass die Verlegerin den Renditeerwartungen Barlachs nachweislich nicht nachkommen will. Zum Beispiel indem sie sich weigert, eine neue Rosamunde-Pilcher-Welle im Buchhandel in Gang zu setzen. Diesen Willen zu beweisen, wird dem Möchtegern-Verleger allerdings schwerfallen. Und dass ein Gericht dem Kohlhaas’schen Antrag Barlachs folgt, seine eigene Gesellschaft aufzulösen – nun, auch diese Absurdität ist nicht auszuschließen.

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Hans Barlach, in einem Wort, will Kohle machen. Er hält sich auch für einen besseren Verleger, nicht ahnend, dass zwischen satten Deckungsbeiträgen kraft Massenware und literarischer Qualität ein himmelhochweiter Unterschied existiert. Mehr noch, er nennt bekannte Verlegernamen, die er als Nachfolger von Ulla Unseld-Berkéwicz sieht. Keinen einzigen von ihnen hat er gefragt. Sie sind empört. Und kein einziger wäre so dumm, seinem Ruf zu folgen.

Der Mann ist beleidigt, gekränkt, verärgert und einfach wütend – ein Racheengel mit einer Heerschar von Anwälten im Rücken.

Seitdem er vor sechs Jahren die Anteile des stillen Gesellschafters neben Siegfried Unseld, der in der Schweiz ansässigen „Medienholding AG Winterthur“ übernommen hatte – in Höhe von geschätzt acht Millionen Euro – stieß er offenbar auf den eisernen Willen der Mehrheits-Erbin Berkéwicz, das Haus im Stil ihres Mannes zu führen: Eigenwillig und zugleich loyal gegenüber den Hausautoren, ob sie Peter Handke oder Durs Grünbein hießen. Einige von ihnen, wie zum Beispiel Martin Walser, hatten sich abgewandt – womöglich, weil sie sich selbst als Witwen fühlten. Ihr bisweilen herber Umgang mit dem Miterben, Joachim Unseld (der schließlich seine 20 Prozent-Anteile an Barlach und Berkéwicz zu je zehn Prozent verkaufte), aber auch mit älteren Mitarbeitern, ließ einen eigenen Macht- und Gestaltungswillen erkennen – der allerdings nicht unbegründet war: Das Haus hatte es sich auf seinen Lorbeeren der 60er bis 80er Jahre bequem gemacht.

Das Siegfried Unseld geradezu persönlich ergebene Großfeuilleton hatte im Übrigen vergessen, dass der Herr des Hauses einst unter unrühmlichen Umständen seine besten Lektoren, Karl Markus Michel, Walter Boehlich und Günther Busch verstoßen oder verloren hatte. Als unter der Ägide seiner Frau ähnliche verlagsinterne Entfremdungen zu beobachten waren, als sie schließlich den Verlag aus Frankfurt nach Berlin verlegte, schäumten die Literaturkritiker in einem geradezu chauvinistischen Ton ob der angeblichen Traditionsvergessenheit dieser Frau. Vor allem aber – es war eine Frau. Auch wagte sie es, Romane zu schreiben.

Dem Verlegersohn Joachim Unseld, auch er ein Verleger mit eigenem Stil und Geschmack, wäre derlei Häme nicht zugestoßen, hätte er sein Haus nach Idstein im Taunus verlegt (wo die Gewerbesteuer niedriger ist.)

Was also will Hans Barlach eigentlich? Den Verlag beherrschen oder verkaufen? Verleger spielen oder Hedge-Fonds-Manager? Genauer noch: Wer ist Barlach eigentlich? Dass er aus eigener Tasche jene Suhrkamp-Anteile bezahlt hat – dies nachzuweisen, wäre ihm ein leichtes, um die Gerüchte zu vertreiben, dass hinter ihm einer jener Hedge Fonds stecke, die sich, wie einst der Londoner Finanzmakler Montgomery, ohne Kenntnis in das deutschen Medien-Business vorwagen.

Sein Suhrkamp-Kompagnon der ersten Stunde, ein Hamburger Gesprächsanbahner (ein Beruf, der nur an der Alster floriert, der deutschen Hauptstadt des Kommissions-Geschäfts), stieg aus unbekannten Gründen aus dem Deal aus und sollte sich schließlich selbst töten. Barlach wiederum, der sich vor allem mit dem Verkauf von Reproduktionen der Skulpturen seines Großvaters den Namen desselben machte, wird noch viele der kleinen Halb-Kunstwerke verkaufen müssen, um seine Anwälte bei Laune zu halten. Dass dem Verlag und seinen Mitarbeitern, aber auch den Autorinnen und Autoren das Weihnachtsfest verhagelt wurde, dürfte seine geringste Sorge sein. Hätte er jedoch die Spur einer Ahnung vom Verlagsgeschäft, dann würden ihm spätestens beim erstrebten Machtantritt im Suhrkamp Verlag die Augen aufgehen: Jeder Autor kann sich mitsamt seinem Werk davon machen, falls ihm der Sinn danach steht. Denn neben dem Gesellschafterrecht gibt es auch noch das Urheberrecht. Ernst Barlach hätte das besser gewusst. Doch er kann sich gegen seinen Enkel nicht mehr wehren.

Michael Naumann war Leiter der Rowohlt Verlage zwischen 1985 und 1995. Bis 1998 leitete er die amerikanischen Verlage Metropolitan Books und Henry Holt Inc. in New York.

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