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Hansemuseum Lübeck - Was die Hanse Europa lehrt

Am 30. Mai öffnet das Hansemuseum seine Türen erstmals für Besucher. Die Kanzlerin war schon dort und betonte den Vorbildcharakter der Hanse für die EU. Wir haben den Direktor der Lübecker Museen, Hans Wißkirchen, bereits im März porträtiert

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Eine streitbare Schar wird hier einfallen und das Gebäude nutzen vor den anderen Menschen: die Gruppe der G-7-Finanzminister mitsamt Entourage, 2000 Mann und mehr, Land unter in Lübecks Hotellerie, im April des Jahres 2015. Einen Monat später soll die Kanzlerin den stolzen Bau dem Volk übergeben und den Touristen. Angela Merkel wird das Europäische Hansemuseum zu Lübeck am 27.  Mai eröffnen. Hans Wißkirchen seufzt und lächelt schon heute.

Ein Hansetag unter den Bedingungen der Globalisierung wird es also sein, mit dem das Museum seine Feuertaufe erlebt. Was ist das Ringen der G 7 um Einigkeit im Namen der Weltwirtschaft anderes als eine Fortführung der Hansetage zwischen dem 12. und 17. Jahrhundert, Streit und Spezereien inklusive?

Allseitiges Vertrauen
 

Ja, sagt Hans Wißkirchen, als wir im strömenden Regen an der Untertrave stehen vor dem hinter Planen und Platten verborgenen hellen Klinker des Neubaus, ja, die Hanse war ein Wirtschaftsverbund, der funktionierte, solange er sich auf allseitiges Vertrauen habe stützen können. Daraus ließe sich für die Gegenwart lernen. Ob ich wisse, dass nicht nur Berlin eine Museumsinsel habe? Der Leitende Direktor der bisher zehn, von Mai an elf städtischen Lübecker Museen deutet nach rechts zum Holstentor, nach links zum Klughafen. Dazwischen ruht, von der Trave umschlossen, ein Eiland voller Kultur und Geschichte.

Von Lübeck reden und von Thomas Mann schweigen, ist unmöglich. Ohne den bedeutendsten Sohn der Stadt stünde Hans Wißkirchen, der gebürtige Düsseldorfer, nicht vor der Baustelle seines größten Projekts. Nach der Promotion an der Universität Marburg über Thomas Mann bewarb er sich nach Lübeck. Ein Museum sollte im Buddenbrookhaus in der Mengstraße entstehen, das damals, 1992, eine Bankfiliale beherbergte. Wißkirchen wurde Gründungsdirektor wie später, 2002, Gründungsdirektor des Günter-Grass-Hauses. Der Thomas-Mann-Gesellschaft steht er ebenfalls vor. Solchermaßen lübeckisiert, gelang ihm 2006 der Sprung an die Spitze des neu gegründeten Museumsverbunds.

Mit Vornehmheit gegen Klassenunterschiede
 

Die geistige Lebensform namens Lübeck, von der Thomas Mann sprach und die ihn dem Bruder Heinrich gegenüber bekennen ließ, ihrer beider „hanseatische Vornehmheit“ überwiege jede Differenz – gibt es sie noch? Wißkirchen erkennt nur einen „bildungsbürgerlichen Nukleus“. So freut er sich über die jährlich rund 250 000 Besucher seiner zehn Museen, hofft aber auf Zuwachs durch Verjüngung des Publikums. Man bedenke: Lübeck habe 16 Millionen Tagestouristen pro Jahr, „wenn davon nur 0,3 Prozent zusätzlich ins Museum gingen, wären das schon 48 000 Gäste mehr!“

Der Zahlenmensch, der im Büchermenschen Wißkirchen qua Amt sitzen muss, gerät ins Schwärmen und hofft auf das „Speed Dating“. In einer Stunde sollen Touristen künftig in vier Museen je ein herausragendes Exponat bestaunen können – und auf den Geschmack kommen für ein längeres Eintauchen in die Lübecker Kunstwelt. Ob ich wisse, dass Edvard Munchs Gemälde „Die Kinder des Dr. Linde“ im Museum Behnhaus auf 100 Millionen Euro taxiert werde?

Kostenexplosionen stören in Lübeck niemanden
 

Während der Regen uns in die Trave zu schwemmen droht, hat die Dunkelheit das aus dem Burgkloster, in dem das Archäologische Museum residierte, und dem Neubau des Architekten Andreas Heller bestehende Hansemuseum in ein steil aufragendes Fort verwandelt. Über 40, vielleicht an die 50 Millionen Euro werden am Ende verbaut worden sein, von 27 war einmal die Rede. Es muss die Stadt, die den Baugrund bereitstellte, nicht kümmern. Kunst ist in Lübeck eine Angelegenheit für Emil Possehl.

Der 1919 kinderlos verstorbene Bürgerpatriot verfügte, dass die Gewinne seiner bis heute florierenden Firma, einer „Unternehmergruppe“ mit acht Geschäftsfeldern zwischen Straßenbau und Edelmetallrecycling und einem Jahresumsatz von fast drei Milliarden Euro, „meiner geliebten Vaterstadt“ zugutekommen, dem Stadtbild, Kunst und Wissenschaft, den Bedürftigen. 24 Millionen Euro flossen 2014. Die Possehl-Stiftung schultert das Hansemuseum fast allein.

Wo das Wasser rauscht
 

Das Kind im Zahlenmenschen freut sich: „Es wird eine Inszenierung vom Allerfeinsten, Wasser wird rauschen in bis zu 70 Meter langen Räumen.“ Die Geschichte der Hanse – als „streitbare Schar“ zu übersetzen – wird vom Schwur am russischen Fluss Newa 1193 über die Stationen Lübeck, Brügge, London, Bergen bis zum letzten Hansetag 1669 erzählt. Die szenischen Rekonstruktionen baut das Filmstudio Babelsberg. Wißkirchen verspricht ein „Hybrid-Museum“. Opulente Themenwelten und klassische Erklärräume werden sich abwechseln, „mit hohem intellektuellen Anspruch“.

Warum mischt der Rheinländer, der in Lübeck seine Bestimmung fand, dem Lächeln ein Seufzen bei? Tag und Nacht werde gebaut, in drei Schichten. Alles soll bereitet sein für die G 7, die Kanzlerin, die Gäste. Aber es werde ein Rennen gegen die Zeit. Und Zeit, wusste Thomas Mann, ist wesenlos und allmächtig.

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