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ISIS-Witze im BR - Wo die Satire ihre Grenzen hat

Was die Satirekolumne „Süßstoff der Woche“ im Bayerischen Rundfunk über die irakische Dschihadistengruppe Isis zeigte, war nicht lustig. Der Autor Christoph Süß stellte Terrorismus als westlichen Propagandatrick dar – und verhöhnte so die Opfer

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Kunst darf alles, und für Satire gibt es keine Tabus: So heißt es. Natürlich stimmen diese Sätze nicht. Kunst darf nämlich fast alles, für Satire gibt es nahezu keine Tabus. Der Abgrund dazwischen zeigt, ob eine Gesellschaft human ist. Wenn Kunst Menschen als bloßes Material verzweckt oder Satire sie zum Pointenfutter herabwürdigt, erhebt die Barbarei ihr Haupt.

Darum sollte es in einer Zivilgesellschaft Gemeingut sein, dass weder mit den Gebrechen noch mit dem Leid, geschweige denn mit dem Tod anderer Menschen Spott getrieben wird. Der Bayerische Rundfunk hat diese Lektion noch nicht verinnerlicht.

In einer satirisch gemeinten Kolumne im zweiten Hörfunkprogramm, dem „Süßstoff der Woche“, der laut sendereigener PR „wunderbar ironische, kluge Kommentare zum politischen Weltgeschehen“ bereitstellt, wurden nun die Terroropfer der Isis– pardon – durch den Kakao gezogen. Die ISIS, drang es am zurückliegenden Samstag kurz vor zehn Uhr morgens aus dem Radio, habe „man sich (…) einfallen“ lassen. Wer dieses erfinderische „man“ sein soll, ließ der Ironiker zunächst im Unklaren, um wenig später die Absicht der Manipulateure zu benennen. Mit der Rede, die offenbar pures Gerede ist, von den „hochideologisierten Kämpfern“ im Namen Allahs solle der Boden für eine weitere Ausspähung der Deutschen bereitet werden: „Wir müssen jetzt wieder total damit einverstanden sein, dass man unter völliger Missachtung aller unserer Bürgerrechte unsere Emails liest und überhaupt unsere Leben ausspioniert.“

Die sarkastische Conclusio lautet: „Aber das ist bestimmt nicht der Grund, warum diese neue tödliche Bedrohung so plötzlich aufgetaucht ist.“ In ironischer, uneigentlicher Redeweise heißt dies nichts anderes, als dass die irakische Terrorbrigade Isis ein Propagandatrick westlicher Regierungsstellen sei, damit der gläserne Bürger wahr werde. Geht es verquerer?

Empathieloses, moralfreies Geschmacksurteil


Konsequenterweise hat der Kommentator für die Hinrichtungen nur die spielerische Bezeichnung „überaus ekelhaft“ parat – so wie ein Collier überaus teuer oder ein beißender Geruch sehr ekelhaft sein kann. Er bleibt ganz im Bereich eines empathielosen, moralfreien Geschmacksurteils. Zu echauffieren vermag den Kommentator hingegen, ganz unironisch, die „völlige Missachtung aller unserer Bürgerrechte“. Er lässt im O-Ton die Verteidigungsministerin und den Präsidenten des Verfassungsschutzes aufmarschieren, um sie im bajuwarisch-bräsigen „Ja, mei“-Modus zu verlachen.

Die Eine hatte die Stirn, in Erinnerung an den 11. September 2001 vor der „konkreten Gefahr“ des islamistischen Terrors zu warnen. Der Andere befürchtet „eine erhebliche Gefahr für die Sicherheit dieses Landes“ durch zurückkehrende Dschihadisten. Beiden will der kluge Kommentator nicht glauben.

Wie kam es zu dieser Fehlleistung des kommentierenden Verschwörungstheoretikers Christoph Süß unter der Tarnkappe der Satire? Aus Süß, der dank des wöchentlich im Bayerischen Fernsehen ausgestrahlten, kabarettistisch angehauchten Politikmagazins „quer“ eine gewisse Popularität genießt, redet der saturierte Wohlstandsbürger. Als einem solchen ist Christoph Süß der Rock der Datensicherheit näher als das fremde Hemd der Gemordeten. Eine brachiale Umkehrung der Werteskala hat stattgefunden. Die Störung des eigenen guten Lebensgefühls wiegt schwerer als der ferne Mord. Solche selbstzufriedene Nabelschau ist aus demselben Stoff gewoben wie jene Theorien, wonach der 11. September eine Tat des Mossad gewesen sei, die Mondlandung nie stattgefunden habe und Flugzeuge mittels Chemtrails das Wetter manipulierten.

Kabarettist Christoph Süß will uns sagen: Eigens um die Bürger in Deutschland optimal überwachen zu können, „hat man sich etwas Neues einfallen lassen. Isis.“ Müssen wir uns also den Terrorpaten und Massenmörder Abu Bakr al-Baghdadi als inoffiziellen Mitarbeiter von BND und Verteidigungsministerium vorstellen? Sollen wir wirklich den Anti-Terrorismus-Beauftragten der EU, Gilles de Kerchove, der davor warnte, Isis bilde Attentäter für Europa aus, ebenso für lügnerisch halten wie jene Meldungen, der „Islamische Staat im Irak und in Syrien“ habe 21 weitere Menschen hingerichtet und neue Grenzposten erobert?

Das alles ist so töricht, dass es schmerzt, so anmaßend, dass es wehtut, vor allem aber so roh und egoman, dass die Witzeleien des Christoph Süß – mehr noch als an dessen Verstand – an dessen Herz zweifeln lassen. Sie offenbaren den alltäglichen Zynismus der bundesdeutschen Latte-Macchiato-Boheme.

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