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„Drei Schritte nach Russland“ - Angst, Ärger und Düsenjäger

Irina Liebmanns „Drei Schritte nach Russland“ raten nichts, erklären nichts und wollen auch nichts besser wissen. Sie machen das Land aber erfahrbar. Eine Rezension

Autoreninfo

Eller, Carmen

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Am Anfang war die Angst. Bloß nicht reich aussehen, denkt sie vor ihrer Reise nach Moskau. Bloß „nicht auffallend und schon gar nicht zu hübsch“. Doch dann begegnet die Autorin dem neuen Russland am Flughafen, in Gestalt eines auffallenden, hübschen und offenbar reichen Mädchens, das in einem Ratgeber liest: „Wie Sie einen Mann behandeln müssen, damit er Sie ewig liebt.“ Irina Liebmanns „Drei Schritte nach Russland“ dagegen raten nichts, erklären nichts und wollen auch nichts besser wissen: „Es fehlt mir der Genius, um Russland zu beschreiben“, heißt es im Text. Warum aber sollte man das Buch dann lesen? Weil es mehr einlöst, als es verspricht. Weil es darum weiß, dass man ein Land erfahren muss, und genau dies geschieht hier.

Konfrontation der Erinnerung mit der Wirklichkeit


Ihr Aufbruch gen Osten ist für die Autorin zugleich eine Rückkehr: „Ich bin einmal ein sowjetisches Kind gewesen“, schreibt sie und erinnert sich an Schleifen im Haar oder Reisen nach Sibirien zu Oma und Tante. Die Tochter eines deutschen Journalisten und einer russischen Germanistin wurde 1943 in Moskau geboren. Kurz nach Kriegsende übersiedelte die Familie nach Berlin, im DDR-Alltag war die Sowjetunion allgegenwärtig: Losungen, Filme, Sportler.

Wie aber ist Russland heute? 2009 fliegt die Tochter ins Land ihrer Mutter – „eine Reise, die ich oft genug abbrechen wollte (...), und die ich sofort wiederholen möchte.“ Frühling in Moskau, Winter in Kasan, Sommer auf der Datscha – in drei Anläufen, drei Kapiteln konfrontiert sie ihre Erinnerungen mit der heutigen Wirklichkeit. In einer wunderbar klaren Sprache entsteht so eine reizvolle Mischung aus Reisetagebuch, Essay und poetischer Prosa. Autobiografisches verknüpft Vergangenheit und Gegenwart, Vertrautes und Fremdes prallen aufeinander.

Antworten müssen gelebt werden


Auf den Moskauer Straßen ärgert sich die Reisende über bröckelnde Fassaden, im russischen Fernsehen über eine Show, in der aus einer Frau „ein Weibchen gemacht“ wird. Sie fürchtet sich vor Düsenjägern, die durch den Moskauer Himmel donnern. Sie wundert sich über die Titelzeile einer im Treppenhaus liegenden aktuellen Prawda: „Erklärung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei“. Ein verletzter Fuß fesselt sie zeitweise an die Wohnung, und nach ihrer Rückkehr ins „Puppenhaus“ Berlin bekennt sie beschämt: „Ich hatte nichts erreicht, nichts erlebt, nichts gesehen.“

Doch sie bricht wieder auf. Steigt in Kasan an der Wolga bei minus zwanzig Grad in einen ungeheizten Bus, löffelt Weißkäse und ist beim Anblick der berühmten Ikone der Gottesmutter von Kasan seltsam berührt. Beim dritten Russlandbesuch dann ist sie Gast auf einer Datscha – ein Idyll mit Sommerwind, Himbeeren und indigoblauen Libellen.

Wer mit Liebmann die „Drei Schritte nach Russland“ geht, erlebt, wie Angst und Ärger einer neuen Liebe weichen. Und der Erkenntnis, dass Antworten nicht einfach gegeben, sondern gelebt werden müssen. Wer sind die Russen? Was bleibt übrig nach dem Absturz als Weltmacht? „Wie werden sie damit fertig? Das war meine Frage gewesen. Die Antwort ist kurz: gar nicht.“

 

Irina Liebmann: Drei Schritte nach Russland, Berlin Verlag, Berlin 2013. 160 S., 16,99 €

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