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Integrationsdebatte - Wenn die krasse Ausnahme zum allgemeinen Problem wird

Kolumne: Empörung. Die Integrationsdebatte in Deutschland dreht sich immer mehr um Reizbegriffe wie das „Deutsch-Gebot für Migranten“ und Ausnahmeerscheinungen wie die Burka – und bekommt so eine Unwucht. Anstatt Muslime unter Generalverdacht zu stellen, sollten wir uns mit Verallgemeinerungen zurückhalten

Alexander Marguier

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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Über Probleme sollte man dann sprechen, wenn sie sich stellen. Insofern war die Frage, über die gestern Abend bei Anne Will diskutiert wurde, ein bisschen irritierend: „Deutsch-Gebot und Burka-Verbot – wieviel Fremdheit verträgt Deutschland?“ hieß es dort. Da wurden also zwei Sachverhalte zusammengerührt, die in dieser Verkürzung zu dem Schluss führen müssen, die Bundesrepublik werde derzeit von vollverschleierten Frauen vereinnahmt, deren Idiom so unverständlich ist wie ihre Bekleidungsgewohnheiten befremdlich sind.

Die krasse Ausnahme – Burkaträgerinnen in Deutschland – wird so zu einem allgemeinen Phänomen überhöht; gleichzeitig war in dem umstrittenen Leitantrag der CSU keineswegs die Rede von einem „Deutsch-Gebot“ für Migranten in ihrem privaten Umfeld. Vielmehr hieß es dort lediglich: „Wer dauerhaft hier leben will, soll dazu angehalten werden, im öffentlichen Raum und in der Familie Deutsch zu sprechen.“ Dass daraus insbesondere aus den Reihen von SPD und Grünen wider besseres Wissen abgeleitet wurde, die Christsozialen wollten eine Art Sprachpolizei etablieren, deren Ohren gewissermaßen bis ins Wohnzimmer von Familie Bilgin reichen, zeigt einmal mehr, wie irrational wir immer noch mit dem Thema Integration umgehen. Interessanter wäre es ja gewesen, die CSU zu fragen, wie sie sich das mit dem „dazu Anhalten“ (aus dem nach dem Shitstorm inzwischen ein vermeintlich verträglicheres „dazu Motivieren“ geworden ist) eigentlich genau vorstellt. Aber wer will schon konstruktiv sein, wenn stattdessen ein paar billige Pointen gesetzt werden können?

„Burka“, „Deutsch“ und „Fremdheit“ werden zu einer Dachzeile aneinandergereiht


Was Anne Will mit dem Titel ihrer Sendung ebenfalls gezeigt hat: Die Anti-Islam-Demos in Dresden und anderswo haben den Mainstream erreicht – auch wenn ihre Veranstalter und Teilnehmer ständig von sich behaupten, eine dezidierte Anti-Mainstream-Position zu vertreten. Zumal die angeblich gleichgeschaltete Presse allenfalls Verachtung und Ignoranz für diese Art von Happenings übrig habe. Das ist natürlich schon deshalb Blödsinn, weil es ohne die sich großspurig als „Europäische Patrioten gegen die Islamisierung des Abendlandes“ bezeichnende „Pegida“ mit Sicherheit zu keiner Sendung gekommen wäre, in der die drei Reizwörter „Burka“, „Deutsch“ und „Fremdheit“ zu einer einzigen Dachzeile aneinandergereiht wurden, die einen das Schaudern lehren sollte. Da fehlten eigentlich nur noch „IS“, „Scharia-Polizei“ und „Kopf abhacken“.

Dass sich aus alledem bei Anne Will doch noch eine insgesamt unaufgeregte Debatte entwickelte, die eher zielführend als destruktiv war, macht womöglich erst recht deutlich, dass die anwesenden Gäste die Pegida-Proteste zu ernst nehmen, um selbst bloß wieder ein populistisches Süppchen für ihre eigene Klientel darauf zu kochen. Renate Künast von den Grünen ging den CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer zwar anfangs noch erwartungsgemäß hart wegen der umstrittenen Formulierungen im Leitantrag an. Aber das legte sich dann im Lauf der Sendung. Wahrscheinlich merkte Künast, dass dem sich betont sachlich gebenden Scheuer mit den üblichen Unterstellungen – von wegen die CSU fische am ganz rechten Rand –, nicht beizukommen sein würde.

Dem Dresdener Politikwissenschaftler Werner Patzelt war es dann zu verdanken, dass der verquere Streit um das vermeintliche „Deutsch-Gebot“ schon ziemlich bald vom Kopf auf die Füße gestellt wurde: Der CSU, die gern als eine Partei von Dummköpfen vorgeführt werde, habe lediglich darauf aufmerksam machen wollen, dass sprachliche Defizite ein Integrationshindernis seien. Und dass sie dies in einer deutlichen Wortwahl getan habe, so Patzelt, dafür müsse Künast eigentlich sogar dankbar sein: „Lassen Sie halt die CSU die Drecksarbeit machen, um diese Leute [gemeint waren Pegida-Demonstranten und AfD-Anhänger] an eine demokratische Partei zu binden.“

Muslime und „Pegida“-Protestler unter Generalverdacht


Erstaunlich unaufgeregt – wie man sich das für eine solche Sendung zu einem solchen Thema auch wünscht – ging es dann sogar beim Reizbegriff „Burka“ zur Sache. Vera Lengsfeld, die ehemalige DDR-Dissidentin und Islam-Kritikerin, vertrat die nachvollziehbare Position, in einer offenen Gesellschaft müsse man jemandem auch ins Gesicht blicken können. Lamya Kaddor, eine Islamwissenschaftlerin, die selbst erkennbar wenig von der Vollverschleierung hält, plädierte gleichwohl dafür, auch solche Bekleidungsformen sollten „tolerierbar sein“. Womit sie wiederum Rückendeckung vom ansonsten wenig zimperlichen Patzelt erhielt, der ein Burka-Verbot mit einem apodiktischen „Im Zweifel für die Freiheit“ ablehnte. Und Andreas Scheuer, der ach so verfemte Scharfmacher aus Bayern? Gestand eher kleinlaut ein, dass es sich dabei um eine „hochemotionale Frage“ handele, für deren Beantwortung man zunächst einmal „mehr Informationen einholen“ müsse.

Wieviel Fremdheit, um auf den Titel der Sendung zurückzukommen, „verträgt“ Deutschland also? Zumindest wohl doch mehr, als die Redakteure der Sendung mit ihrer reißerischen Aufmachung glauben machen wollten. Wahrscheinlich lag der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt gar nicht mal falsch, als er über die Pegida-Demonstranten sagte, es gehe ihnen letztlich gar nicht um den Islam – „sondern die Leute dort fordern klare und nachvollziehbare Regeln für Einwanderer“.

Sollte das stimmen, wäre es jedenfalls ein großer Fehler, diese Protestler allesamt als faschistoide Spinner abzukanzeln. Genauso wie es falsch ist, in Deutschland lebende Muslime unter Generalverdacht zu stellen. Das bringt uns nämlich nicht weiter. Dabei kommt es jetzt genau darauf an: Dass unsere Gesellschaft weiterkommt und nicht in ständigen Schuldzuweisungen erstarrt.

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