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Steffen Jänicke

Michael Nast - „Ich bin der Prototyp der Generation Beziehungsunfähig“

Der Berliner Autor Michael Nast beschreibt in seinem neuen Buch eine Generation von Dauersingles und Selbstverliebten. Im Interview spricht der 40-Jährige über Dating-Apps, Ego-Probleme und Kommunikationsarmut

Autoreninfo

Scholz, Claudia

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Michael Nast wuchs in Ost-Berlin auf. Er gründete zwei Plattenlabel, fing eine Buchhändlerlehre an und brach sie wieder ab. Bis 2006 arbeitete er als Grafikdesigner und Art Direktor in verschiedenen Kölner Werbeagenturen. Diese Karriere beendete er, um sich ganz dem Schreiben zu widmen. 2009 erschien sein erstes Buch „Der bessere Berliner“, 2014 sein Buch „Ist das Liebe oder kann das weg?“. Letztes Jahr wurde seine Online-Kolumne „Generation Beziehungsunfähig“ millionenfach angeklickt. Mit seinem gleichnamigen Buch geht der 40-Jährige nun auf Lesereise.

Wir treffen uns in der Berliner Single-Hochburg Prenzlauer Berg in einem Lokal, das aussieht wie das prototypische Hipster-Café mit gepflegten, bärtigen Männern, die frischen Minztee trinken, und hübschen Frauen, die aussehen, als würden sie in einem angesagten Start-up arbeiten. Michael Nast trinkt Milchkaffee.

Herr Nast, sind Sie immer noch Single?
Ja. Seit fast 16 Monaten. Erschreckenderweise. Meine längste Beziehung in Berlin hielt knapp drei Jahre. Länger hat es nie geklappt.

Da sind Sie in Berlin nicht allein. Laut Statistik leben hier die meisten Singles. Woran liegt das wohl?
Es gibt in Berlin zu viel Auswahl, hier leben so viele Menschen, so viele potenzielle Partner. Und wenn mal eine Beziehung nicht klappt, hat man ja noch genug Alternativen. Durch diese Einstellung geht die Ernsthaftigkeit, mit der man an Beziehungen herangeht, verloren.

Diese Ernsthaftigkeit fehlt auch den Protagonisten in Ihrem neuen Buch. Sie beschreiben eine Generation von Dauersingles, Selbstverliebten und ewig Unentschlossenen. Doch wer genau ist mit dieser „Generation Beziehungsunfähig“ gemeint?
Ich wollte keine genaue Generation definieren, ich habe eher eine Stimmung beschrieben. Eine Haltung, von der ich annahm, dass sie eine überschaubare Gruppe von Menschen von Mitte zwanzig bis Mitte dreißig betrifft, die in Großstädten leben. Junge Erwachsene, die vielleicht in den Medien arbeiten. Aber die Resonanz der Leute auf mein Buch reichte tatsächlich von 17- bis 45-Jährigen. Leute vom Land und aus den Städten schrieben mir: Du beschreibst unser Leben. Die enorme Resonanz zeigte mir, dass ich da offensichtlich eine neue deutsche Befindlichkeit beschrieben habe.

Was macht diese Generation genau aus?
Es ist eine Generation von Leuten, die nach Perfektion streben. Sie haben ein Idealbild von ihrem Leben und rennen ständig Idealen hinterher. Wenn sie die nicht erreichen, lassen sie ab von dem, was sie sich vorgenommen haben, fangen Neues an oder geben auf.

Aber ist das Perfektionsstreben nicht nur eine Ausrede für „Loser“? Genauso wie das Gerede von der „Work-Life-Balance“? Ältere Leute würden diese Haltung als Gemütlichkeit oder Unfähigkeit bezeichnen, hart zu arbeiten.
Das ist eine Ausrede, keine Frage. Die jungen Leute sind ja heute gar nicht mehr belastbar, halten es nicht lange in einem Beruf aus. Gleichzeitig wollen sie sich alle selbst verwirklichen und nur das machen, was ihnen Spaß macht. Ihr Arbeitsverständnis ist rudimentär.

Die Eigenschaften, die Sie der „Generation Beziehungsunfähig“ zuordnen, sind unter anderem Entscheidungsschwäche, Selbstverliebtheit, Unreife. Diese Eigenschaften charakterisierten aber auch die jungen Erwachsenen früherer Generationen. Was unterscheidet denn nun wirklich die heutige „Generation Beziehungsunfähig“ von den anderen?
Natürlich sind das keine neuen Eigenschaften, aber so überhöht, so verhärtet und in dieser Masse ist das neu. Die Eigenschaften erscheinen mir in dieser Generation verstärkt. Die Leute halten sich sogar auf Facebook oder Instagram selbst für beziehungsunfähig, was ja schon erschreckend ist. Auch hat man sich früher in relativ überschaubaren Kreisen bewegt. Heute steht einem potenziell die ganze Welt offen. Das macht die heutige Generation viel unverbindlicher.

Wodurch entsteht die Unfähigkeit zu längeren Beziehungen oder überhaupt Beziehungen bei dieser Gruppe junger Erwachsener?
Das Ego steht an erster Stelle. Man ist auf der Suche nach dem perfekten Partner und der perfekten Beziehung, die es es ja so nicht gibt. Man ist auf seinem Weg und will nicht durch eventuelle Beziehungsprobleme belastet oder gestört werden. Die Leute sind auch nicht bereit, sich verletzen zu lassen, aber beziehungsfähig zu sein, heißt auch leidensfähig zu sein. Wenn in einer Beziehung zwei Egos sozusagen parallel nebeneinander laufen, also eigentlich keine gemeinsame Entwicklung geschieht, ist das ja auf Dauer zum Scheitern verurteilt.

Zählen Sie sich zur „Generation Beziehungsunfähig“?
Ich bin der Prototyp dieser Generation. Für mich hat meine Arbeit einen hohen Stellenwert. Mir war immer wichtig, mich selbst zu verwirklichen. Ich fühle mich immer noch nicht alt genug, eine eigene Familie zu gründen, und ich denke zu sehr in Idealbildern, ob es um meine Partnerin geht, meine Arbeit oder das Leben, das ich mir vorstelle. Und es ist schon wahr, dass ich mich als Individuum über alles andere stelle. Alles nicht unbedingt die besten Voraussetzungen, eine funktionierende Beziehung zu führen. Meine letzte Beziehung ist unter anderem auch aus diesen Gründen zerbrochen. 

Der Soziologe Tilman Alert schrieb im Buch „Soziologie der kleinen Dinge“: „Wer jung ist, wer über WhatsApp, über den technologisch suggerierten Dauerkontakt mit allen verfügt und sich von daher an jedem Ort wähnt, erfährt das Leben als eine anstrengende Aggregation von Optionen, die vorgeschlagen und verworfen werden, allabendlich zugespitzt in der Last sich zu verabreden.“
Die Leute gehen tatsächlich nicht mehr ans Telefon, schreiben nur noch Nachrichten. Verabredungen zu treffen fällt zunehmend schwer, da sich bis kurz vorher niemand festlegen will. Du kommunizierst mit deinen Freunden auf WhatsApp und Facebook, sitzt aber dabei immer zu Hause alleine in deinem Zimmer. Überall herrscht Distanz. Direkte Konfrontation und Kommunikation wird vermieden. Wir werden sehen, wohin das bei der Generation Z, also den um 2000 Geborenen, führt, die gar nichts anderes mehr kennt.

Also ist das Überangebot der sozialen Medien Schuld an der Verarmung von Gefühlen und Kommunikation der 17- bis 35-Jährigen?
Durch die sozialen Medien oder Dating-Apps ist uns so bewusst wie keiner Generation zuvor, wie viele potenzielle Partner es da draußen gibt. Da orientiert man sich schneller neu, wenn Probleme auftauchen. Man ist unverbindlicher geworden, vorsichtiger, distanzierter und feinfühliger.

Wäre die totale Reduktion der medialen Möglichkeiten eine Lösung?
Ich glaube eher, wir müssen noch etwas abwarten. Momentan ist das alles noch so neu, aufregend und wie ein Rausch. Die jungen Leute müssen im Grunde erst mal lernen, maßvoll mit den sozialen Medien umzugehen.

Haben Sie denn auch mal die bekannte Dating-App Tinder benutzt?
Genau eine Woche.

Und was hat das mit Ihrem Flirtverhalten gemacht?
Ich habe festgestellt, dass es nichts für mich ist. Ich kannte auch zu viele Berliner, die bei der App waren, die Anonymität fehlte. Aber ich chatte auch ungern, um jemanden kennenzulernen. Ein Gespräch sollte sich natürlich ergeben, zum Beispiel auf einer Privatparty. Begegnungen sind mir lieber, aber ich merke auch bei mir eine gewisse Unverbindlichkeit. Ich sage oft kurzfristig ab. Ich bin auch gar nicht mehr in der Lage, mich zum Beispiel am Montag für den darauffolgenden Freitag zu verabreden. Weil ich mich frage: Bin ich am Freitag überhaupt in der Stimmung dazu? Ich bin tatsächlich sehr spontan geworden.

Ein Kapitel Ihres Buches heißt „Dreißig ist das neue Zwanzig“, was man auch deuten könnte als: Die Leute werden immer später erwachsen. Mit Mitte 30 oder sogar 40 fühlen sich viele immer noch nicht alt genug für eine eigene Familie. Warum?
Weil viele feige sind oder Perfektionisten. Man will den richtigen Rahmen schaffen, für Frau und Kind zum Beispiel. Es muss schon alles passen. Finanziell und überhaupt.

Herr Nast, werden Sie in 25 Jahren dann das Buch „Generation Altersarmut“ schreiben?
Das wird noch mal ein großes Problem für die heutige Jugend werden. Die festen Jobstrukturen lösen sich gerade auf. Die Leute starten immer später in sozialversicherungspflichtige Jobs, viele schlagen sich ewig als selbstständige Kreative durch. Jeder kämpft zunehmend für sich allein, jeder ist seine eigene Firma.

Und sehen Sie sich in zehn Jahren glücklich verheiratet, mit Kind und Haus? Oder ist der Job wichtiger?
In den Idealbildern, die man so hat, sehe ich mich natürlich in einer glücklichen Beziehung und auch als Vater. Der Wunsch ist da. Ich bin allerdings kein verzweifelter Single, der verkrampft den Zustand einer Beziehung oder Familie erreichen will. Wenn man sich verliebt, werden sowieso viele Regeln außer Kraft gesetzt.

Danke für das Gespräch.

 

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Michael Nast, Generation Beziehungsunfähig, Edel Books, 240 Seiten, 14,95 Euro. Erschienen am 15. Februar 2016

 

 

 

 

 

 

 

Das Interview führte Claudia Scholz.

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