Ich bin ein unbegabter Träumer

Im Oktober bekommt Péter Esterházy den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Lesen Sie im Cicero ein Gespräch mit dem ungarischen Schriftsteller über Widerstand in der Diktatur, Ironie als Sprache und Dichterlesungen vor fremdem Publikum

Lauter Schlüsselsätze eines mehrfachen Preisträgers: „Es ist elend schwer zu lügen, wenn man die Wahrheit nicht kennt.“ Oder: „Die Sprache vom Fleck bewegen heißt so viel, wie eine Revolution vom Zaun brechen.“ Oder: „Vatertum ist Parodie.“ Aber auch: „In Prag kann man wirklich gut Bier trinken.“ Und: „Auf die Frage, was eine Fußballmannschaft zusammenhält, antwortet ein alberner Witz, einerseits der Alkohol, andererseits der unverbrüchliche Hass gegen den Trainer. Das. Das und nicht mehr war Mitteleuropa.“ Schließlich: „Der Schriftsteller soll nicht in Volk und Nation, sondern in Subjekt und Prädikat denken.“

Der Schriftsteller, dem diese Sätze eingefallen sind, heißt Péter Esterházy, wurde am 14. April 1950 in eine der feinsten Familien Ungarns geboren und ist der Träger des diesjährigen Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. Der Preis wird im Oktober in der Frankfurter Paulskirche verliehen, jetzt ist es Sommer, Esterházy steht auf einem Podium im dicht gefüllten Vorlesungssaal der ehrwürdigen Stadtbibliothek von Florenz und nimmt Beifall entgegen. Er hat gerade eine kleine Ansprache und eine nicht allzu lange Lesung gehalten. Das Ganze in bestem Ungarisch, ohne Dolmetscher, und niemand im Saal, außer dem zufällig vorbeigekommenen Musikerfreund András Schiff hat auch nur ein Wort verstanden. Schon bei gängigeren Fremdsprachen sind viele Italiener überfordert, hier in der Biblioteca Comunale Centrale nimmt das Publikum den Vortrag als modernistische Musikeinlage.

„Es war gut, dass András Schiff dabei war, so wusste ich, dass ich immerhin wenigstens einen sehr, sehr guten Zuhörer habe, also einen harten Kern.“

Esterházy ist ein Meister der Aufklärung durch jene Technik, die in der Seelenheilkunde „paradoxe Intervention“ genannt wird: Dichterlesungen in durch Literatur bereits geheiligten Hallen sind heutzutage eine Parodie auf Dichterlesungen, die nur durch eine andere Parodie aufgebrochen werden kann: In diesem Fall durch den authentischen Vortrag in einer Sprache, die niemand versteht. Eine poetische und eine politische Erfahrung.

„Ich dachte, das wird ein herrliches Gefühl, ich dachte, das wird gleich – nach dem tiefen Sinne des Wortes – komisch. Aber es verhielt sich nicht ganz so. Am Anfang ist es natürlich schön, besonders schön, frei zu sprechen und nicht aus einer mir fremden Sprache abzulesen, denn das ist eine Art von Macht. Gar nicht verstanden zu werden, das ist beinahe dasselbe wie wenn jemand ein großer hypnotischer Redner ist. Wie… Adolf oder so. Also eben in diese Leere zu sprechen, in diese erwartungsvolle, hoffnungsfrohe Leere, ist bereits an und für sich ein schönes Gefühl.“

Wenn Esterházy redet, geschieht das mit einer sanften, melodiösen, an den Klang einer Oboe erinnernden Stimme, die den Zuhörer zwingt, sich genau zu konzentrieren. So spricht eine Autorität, die gewohnt ist, dass man ihr beständige Aufmerksamkeit schenkt, nicht zuletzt, weil alle Ironiesignale so überraschend, alle Schwenks in der Beweisführung so unvermutet gesetzt sind. Der Tonfall ist von leichter Schwermut, doch Schwermut des Tonfalls ist die Eigenschaft aller ungarischen Literaten, ganz besonders wenn sie Umlaute erzeugen.

„Wenn man danach aus seinem Manuskript liest, hat man vor diesem fremden Auditorium nicht die Wahl, sich selbst misszuverstehen, nämlich diese Nicht-Reaktion der Zuhörer als eine abwertende Reaktion zu deuten. Diese Stille war am Anfang ungeheuer reich und auf meiner Seite (‚time is on my side‘ – wie Mick Jagger das so schön formuliert), und mit der Zeit wird diese Stille immer schwerer und schwerer und lästiger und ja, dann… Ich hatte einmal eine Lesung in Hannover, ich nenne es die Hannoversche Erfahrung, dort habe ich einen meiner Ansicht nach lustigen Text vorgelesen: Doch im Saal kein Mucks, nichts, nur lauter unbewegte Tweed-Sakkos.“

Auch die Damen?

„Ganz besonders die Damen. Und da stieg in mir der Trotz auf, das ist ja auch kein schlechtes Gefühl, dieses: ‚Na gut, das werde ich jetzt, koste es was es wolle, bis zum Ende lesen und ihr werdet dableiben, ihr habt auch keine Wahl.‘ Habe also mit einem gewissen Hass gelesen, das tut einer Lesung nicht ganz schlecht… Und nachher war es natürlich ganz interessant zu erfahren, wie verschieden die kulturellen Reflexe sind, denn die Tweed-Sakkos behaupteten, sie hätten sich so richtig köstlich amüsiert – nur, ich kannte eben nicht das Übersetzungsprogramm für ihre Reaktionen. Hier in Florenz hatte ich diese Ausrede nicht und damit auch nicht die Hoffnung. Deswegen war es für uns alle eine besondere Lesung.“

Wenn man einen Auftritt in einer Florentiner Bibliothek im Sommer 2004 vergleicht mit einem Auftritt im Ungarn der Jahre vor 1989, was sind da die Gemeinsamkeiten?

„Man könnte sagen, es war das absolute Gegenteil. Die Lesungen vor 1989 waren allerdings auf ihre eigene Weise auch sehr komisch. Obwohl, der wichtige Zeitraum waren nicht die Jahre kurz vor 89, sondern lag vor 80, in den Siebzigern und ein wenig auch noch danach. Aber vor 80 habe ich nie gelesen, weil, ich erinnere mich, ich habe das verachtet, solche Dummheit, solche konservativen Gesten, der falsche Heroismus, die Leute können doch selber lesen…wozu? Wozu? Ich habe damit viele gute Leute beleidigt, doch ich habe ganz ehrlich und unschuldig nur gesagt, was ich gedacht habe…“

Der Dichter fragt „wozu?“ und fährt sich dabei durch die prächtigen silbernen Locken, als würde er gleich aus ihnen die Antwort herauskämmen.

„Aber gut, so Anfang der 80er waren diese Lesungen natürlich nicht nur doppel- sondern tripelbödig, und sie enthielten immer eine kleine, doch scharfe politische Provokation, einen spät nachzündenden, anfangs unverständlichen Witz…ich weiß nicht was. Später, darum ist dieses Datum der Spätachtziger nicht so gut, später wurde alles so eindeutig, dass es schon nichts mehr bedeutete. Da war diese poetische Situation zu vollgesteckt, zu eindeutig oder umgekehrt zu erschöpft, zu leer. Früher, in den 70ern gab es diesen herrlichen Ulk, etwa in den Parodien auf unsere historischen Romane über die Türken, die stets so zu lesen waren, dass, Türken hier, Türken dort, jeder wusste, dass damit die Sowjets gemeint waren.“

Und was wurde aus den Türken?

„In den Spätachtzigern sehnte man sich nach einem Roman über die Sowjets, in dem man ganz genau wusste, der meint endlich einmal nicht die Russen, das sind vielmehr sehr schlaue Anspielungen auf die türkische Zeit. Endlich wieder echte Türken. Das Spiel mit den Anspielungen hatte sich einfach totgelaufen.“

Eine weitere Eigenart von Esterházys Sprachstil ist seine milde Didaktik, sein Bemühen, die eigene Sicht auf die Dinge wie eine logische Sequenz erscheinen zu lassen, logisch auf jeden Fall aus der Sicht des Erzählers: ein wenig Sokrates vom Diwan, ein wenig Diogenes aus dem Fass. Das mag dem Umstand geschuldet sein, dass Esterházy fünf Jahre lang Mathematik studiert und dann vier Jahre in einem Beruf gearbeitet hat, den seine Biografie als „Systemorganisator am Institut für Datenverarbeitung im Ministerium für Hütten- und Maschinenbauindustrie“ angibt. Im Deutsch der frühen DDR hätte statt des „am“ und „im“ und der zwei „für“ gewiss nur der schlichte Genitiv gestanden, doch auch in der umständlicheren Formulierung erkennen wir, dass der Dichter hier selber dem Biografen Pate gestanden hat. Die Mathematiker zählten im sozialistischen Ungarn übrigens nicht zu den Speerspitzen des politischen Aufbegehrens.

Tilman Spengler ist Sinologe, Journalist und Schriftsteller. Seit 1965 ist er Mitherausgeber der Zeitschrift Kursbuch

„Ich gehörte nicht zu den so genannten Dissidenten, ein wenig auch aus persönlichen Gründen. Jedenfalls gehörte ich nicht zu den Kreisen um Györy Konrád, György Dalos und ihren Freunden. Ich stand ein wenig außerhalb. Auch deswegen, weil ich Mathematik studiert habe, das heißt, ich war auf der so genannten ‚falschen‘ Universität und auch ein bisschen jünger als die. Und in der Tat war ich auch apolitisch im praktischen Sinn. Ich gehe einfach nicht gern auf der Straße marschieren oder Aufmärsche besuchen. Wenn ich mich kämpferisch bewegte, dann lieber auf dem Fußballfeld.“

Früher, sehr lange her ist das noch nicht, gehörte Esterházy zu den gesuchtesten Fußballspielern, wenn es bei einem literarischen Kongress darum ging, eine Mannschaft von Dichtern aufzustellen. Noch früher kämpfte er für den Club Csillaghegyi Munkás Torna Egylet, einem Verein der Budapester Vorstadt, der es allerdings nie in die höchste Liga des Landes brachte. Heute zieht Esterházy das eine Bein leicht nach, kein heiteres Spiel mit dem Gedanken der Dekadenz in einem Geschlecht, das seinen Stammbaum bis auf Noah zurückführt, sondern schlicht schmerzender Verschleiß.

„Nun ist aber das Angenehme an einer gut fundierten Diktatur, dass man in der Tat keine Chancen hat, dem Übel zu entgehen. Man braucht auch nicht so genau über Gründe nachzudenken. Das ist ganz merkwürdig, man sieht es tatsächlich so, dass alles Übel von der Diktatur kommt. Also, ein schlechter Geschlechtsakt hat auch mit Moskau zu tun. Das rechtfertigt also vieles an Aufbegehren, denn alles ist System und nicht – um mal ein österreichisches Wort zu benutzen – Schlamperei. Und noch ein Faktor. Wenn die Diktatur noch stark genug ist, dann denkt man nicht, dass man deswegen eine Form von Widerstand leistet, damit diese Diktatur verschwindet, das liegt als Ziel viel zu fern. Das Aufbegehren ist schlicht eine Art von Überleben. Das ist auch nicht ungefährlich, also, dass man vergisst, dass man lebt, und man überlebt nur.“

Und wie wurde der Widerstand, das Aufbegehren in einer Diktatur konkret? Politisch als Bedrohung ernst zu nehmen?

„Darauf komme ich noch. Dieses Überleben ist natürlich auch eine Kulturvision. Eine Seifenblase. Man pflegt diesen wirklich erhabenen, schönen Gedanken, „bewahrt“ ihn für die besseren Zeiten. Was selbstverständlich erst Jahrhunderte später…, aber wir haben uns immerhin bemüht. Denn es gibt ein schönes Gesicht der Kultur, das wir vielleicht jetzt noch nicht sehen, weil, das, was ich jetzt sehe, ist ja wirklich kaum zum Aushalten, und überhaupt ist alles wie hinter einem Schleier, diesem schleimigen Schleier der kommunistischen Macht. Die hinterlässt ihren Schleim auf der Kultur, auf allem, womit wir zu tun haben, und das ist wirklich gemein und bösartig und kleinkariert von der Partei. Aber es gibt eine wahre Kultur, eine richtige, schöne, erhabene, und mit unserer Arbeit, mit unserer tagtäglichen kleinen Arbeit dienen wir diesem Großen. Um so zu denken, muss man nicht dumm sein oder areflexiv.“

Dumm oder areflexiv wie wer?

„Ich habe auch so gedacht. Man muss vielleicht auch gar nicht selber denken: Es wurde gedacht in mir. Später dann, nach 1986, als die Dissidenten-Gruppen immer zahlreicher wurden, war es ein sehr wichtiger Punkt, dass eben nicht nur jener „harte Kern“ um György Konrád, diesen gesellschaftlichen und kulturellen Konsens aufgekündigt hat, auch die Flucht abschnitt in die Werte der schönen Literatur, der schönen Musik, etc. Jetzt musste sich der empfundene, der spürbare Dissens verbreiten. Wie breit gefächert diese Vorstellungen waren, hat man am Anfang nicht gesehen, man konnte wohl auch nicht sehen, was dann nach 1990 im Nu zum Vorschein kam, diese verschiedenen Vorstellungen von Demokratie, von Kultur, von all den so genannten Visionen, die jetzt so grob auseinander gebrochen sind.“

Nach der Lesung in der Biblioteca Comunale Centrale, wir befinden uns jetzt beim Abendessen auf einem Hügel vor Florenz, in einem Schloss aus dem 16. Jahrhundert, plaudert der Schriftsteller mit einer der gastgebenden Gräfinnen. Es geht um alte Familie, um Latifundien und um Verantwortung, Themen, die Esterházy nicht fremd sind. Würden alle Esterházys alle Titel auf alle Ländereien reklamieren, die ihnen im Laufe der europäischen Geschichte zufielen, müsste in Brüssel ein eigenes Katasteramt zur Neubestimmung von Mitteleuropa seinen Dienst aufnehmen. Die Gräfin quittiert mit fröhlichem Lachen den Ausspruch des Schriftstellers: „Boden zurücknehmen ist aber spießig.“ Zwei Plätze neben ihm unterhält sich ein freundlicher älterer Herr sehr angeregt mit seiner Serviette.

„Ich bekomme immer so kleine Pickel, wenn ich das Wort ‚Verantwortung der Literatur‘ höre, weil ich das eben schon so oft und meist auch so gut begründet gehört habe. Die Literatur als Freiheitskämpfer! Die Literatur als moralische Aufgabe, weil wir kein legitimes Parlament haben, weil wir immer unter dem Joch von Türken, Habsburgern, Russen, meinetwegen auch Esterházys gestanden haben. Natürlich ist der Gedanke nicht aus Dummheit geboren, sondern aus echter Not. Aber in den siebziger oder achtziger Jahren hingen die Lügen so dicht, so geballt in unserem Land, dass die Rolle des Schriftstellers als Aufklärer schon einigermaßen lächerlich wirkte. Also, ich komme auf die Türken zurück, hier haben wir gedacht, wir müssen die Rolle aufgeben und zurückkehren zu der trivialen Einsicht, dass ein Text eben nur ein Text ist, punktum. Leider haben unsere Bücher nicht ganz mitgemacht und dann doch ganz brav ihre moralische Rolle gespielt. Unter einer Diktatur geht das offenbar nicht anders.“

Vor wenigem scheint Esterházy mehr Furcht zu haben als vor dem Erstarren in hohlen Posen, vor der Lächerlichkeit einer leeren Geste. Umgekehrt gesagt: Ein beständiger Erneuerungszwang ist mindestens Stachel, wenn nicht wesentlicher Bestandteil seines künstlerischen Schaffens. Ein weiteres wichtiges Element ist jene Eigenschaft, die man altmodisch mit „Stil“ oder mit „Geschmack“ bezeichnet. Oder mit dem Wort „Haltung“. Antisemitismus, zum Beispiel, eine im Ungarn vor und nach dem Jahr 1989 grassierende Leidenschaft, findet der Schriftsteller nicht nur auf Grund der bekannten historischen Schreckensfälle grauenvoll. Ihn überkommt das Würgen schon „angesichts der verschwitzten Argumente, der Parolen der zusammengekniffenen Augen, der pöbeligen Stiernackigkeit auf dünnsten Körpern.“ Der Dichter Abwehrzauber – wie im Kampf gegen die Diktatur – ist die Sprache, ist die Ironie über den Wortwitz hinaus.

„Meine Haltung war einfach eine klassische sprachkritische Haltung. Man könnte das apolitisch nennen, wenn das einen Sinn hätte, aber es hat keinen. Denn in einer Diktatur kann man nicht apolitisch sein. Letztendlich ging unsere so genannte Revolte um das Lachen. Für eine Diktatur ist es schon schwierig genug, wenn man über sie lacht. Wenn man aber in einer Diktatur lacht, ist das für die Herrschenden lebensgefährlich. Denn es bedeutet, dass ihre Stunden gezählt sind.“

Der Sturz der ungarischen Diktatur liegt ein Jahrzehnt zurück, als Esterházy mit dem Buch „Harmonia Caelestis“ sein bisheriges Hauptwerk veröffentlicht. Neun Jahre hat er daran gearbeitet und sein Vater Mátyás ist die Hauptfigur. Der Vater als konkrete und als archetypische Erscheinung, der Vater aller Väter und Söhne der Esterházys, eine menschliche, dabei natürlich auch gottähnliche Gestalt, dem sein Sohn Peter das Leben und die Sprache und die Haltung verdankt.

„Ich habe eine wirklich schöne Vater-Szene in meiner Erinnerung, eines der schönsten und wärmsten Erlebnisse. Dazu muss ich vorausschicken, dass ich noch heute nur sehr langsam tippen kann. Mein Vater hingegen, der als Übersetzer arbeitete, konnte das irrsinnig schnell. Ich schrieb damals an meinem „Produktionsroman“, dort gibt es eine Szene, in der ein Meister auftaucht, der zufällig Péter Esterházy heißt und der einem Notar namens Eckermann über sein Leben berichtet. In jener Szene erzählt der Meister von seinem Vater, dieser sei so belesen wie ein Lexikon, sagt er, aber ein Lexikon auf vier Beinen, weil er immer so besoffen ist. So lautet die Stelle und damit zurück zur Anekdote, das heißt in die Wirklichkeit. Ich musste das Manuskript ganz schnell in einer Zeitung abliefern, also habe ich meinen Vater gebeten, für mich zu tippen, und ich habe diktiert. Diktierte also: ‚Der Meister Esterházy sagte, sein Vater sei wie ein auf vier Beinen laufendes Lexikon …‘, worauf sich mein Vater kurz aufrichtete und laut räusperte. Er hat sich nur geräuspert und dann weitergetippt.

„Hmhm“, sagt Péter Esterházy und schaut dem Klang seines Räusperns hinterher. „Hmhm oder Hmhmmm“. Vielleicht hört ihm in diesem Moment Graf Mátyás zu.

„Mir war gar nicht aufgefallen, dass ich eine riesige Frechheit begangen hatte, doch hier zeigte sich die Großzügigkeit oder Genialität meines Vaters, dass er nur einfach mit diesem ‚Hmhm‘ auf die Pikanterie hinwies. Er machte keine Szene, tippte, als ob gerade fast gar nichts gewesen wäre. Dabei hatte ich nach dem ‚Hmhm‘ auch noch wie ein Obersturmbannführer ‚weiter!‘ gerufen.“

Als im Jahr 2000 das Buch „Harmonia Caelestis“ erscheint, jene apotheotische Verklärung, ironische Analyse, trunkene Dekonstruktion einer europäischen Vaterfigur, ist sich die Kritik einig, dass Esterházy ein Meisterwerk vorgelegt hat, wie es in der Literaturgeschichte des vergangenen Jahrhunderts nur ganz wenigen gelungen ist. Die meisten Wogen der Begeisterung sind noch auf dem Weg nach Budapest, als der Schriftsteller einen Anruf jener Behörde erhält, die in Ungarn kurz das „Historische Amt“ genannt wird. Dort führt man die Akten über Mitarbeiter des früheren Geheimdienstes, dort kennt man demnach auch den Namen des früheren Mitarbeiters Mátyás Esterházy. Hätte der Schriftsteller Péter Esterházy nach einem zynischen Schluss für sein Opus magnum gesucht, er hätte keine bessere Konstellation finden können. Da Esterházy aber nicht nur Schriftsteller ist, hat er sein sofort nach jener Mitteilung des Geheimdienstes verfasstes Protokoll dieser Erfahrung („Verbesserte Auflage“) in einem Ton verfasst, der sich deutlich von der „Harmonia Caelestis“ absetzt. Eine Harmonie braucht ihre Zeit. Träumt er manchmal von seinem Vater? „Ich bin ein unbegabter Träumer, also ich träume kaum. Von meinem Vater habe ich nie schlecht geträumt.“

Und was möchte er in seiner Laudatio in der Frankfurter Paulskirche hören?

„Eine optimale Laudation hat einmal ein Saxophonist auf mich gehalten. Er hat halt nur sein Instrument gespielt. Da war kein Satz, den ich übel genommen oder der mir nicht gefallen hätte.“

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