- "Ich bin ein Suchtmensch"
Ein Gespräch mit dem Opern- und Theaterregisseur Hans Neuenfels. Übers Trinken, über Sexualität und das Fremdgehen in einer Theaterehe, über Klaus Maria Brandauer, Probenarbeit und Verbitterung
Herr Neuenfels, 1950 schrieben Sie in Ihr Tagebuch: „Ich
bin neun und neugierig und heiße Neuenfels.“ Warum führt ein
neunjähriger Junge Tagebuch?
Ich habe früh eine Grundverstörung gespürt. Meine Familie war sehr
katholisch, und obwohl ich Messdiener war, verschwand bei mir die
Intensität des Glaubens. Ich litt unter unerklärlichen
Angstzuständen und heftigsten Stimmungswechseln, die von
vollständiger Lähmung bis zu höchster Nervosität reichten. Schon
mit sieben Jahren hatte ich angefangen zu monologisieren. Da ich
kein eigenes Zimmer hatte, verschwand ich im Keller und blieb dort
sehr lange auf der Toilette sitzen. Da hatte ich endlich Ruhe, und
die Akustik war gut. Ich sprach Stunden vor mich her. Manchmal
schrieb ich auf der Toilette auch kleine Statements oder
Erzählungen.[gallery:100 Jahre Max Frisch - Eine Ausstellung]
Peter Handke meint, seine Akne habe ihn zum
Schriftsteller gemacht. John Updike nennt als Grund seine
Schuppenflechte. Auch Sie hatten ein Hautproblem.
Meine ersten Gedichte waren von der Akne im wahrsten Sinne des
Wortes gezeichnet. Die hatten Titel wie „Schorf der Gesichte“ oder
„Der Eiter“. Es war quälend, und ich fühlte mich aussätzig,
ausgesetzt. Wenn ich Eigenblutspritzen gegen die Akne bekam, ging
das immer schief, und es kam ein komisches Kribbeln im Körper. Ich
nannte meine Hautgeschichte nicht Akne juvenilis, sondern Akne
vulgaris.
Statt mit pubertärer Wut gegen ihre Eltern anzurennen,
haben Sie oft über sie weinen müssen. Warum?
Sie waren überfordert mit mir. Ich wusste, dass ihre ratlosen
Bemühungen, mich auf den rechten Weg zu bringen, mein Abgrund sein
würden und war deshalb trotzig bis zur Ignoranz. Unsere
sonntäglichen Mittagsgespräche endeten meist in einem großen Chaos.
Wenn mein Vater nicht mehr konnte vor Wut, nahm er ganz überlegt
die wenigen Kartoffeln aus der Schüssel und warf sie nach mir.
Meine Mutter musste dann die ganze Matsche wieder aufkehren. Als
die beiden Schleierschwänze, die ich in einer Salatschüssel hielt,
sich gegenseitig die Flossen abbissen, öffnete er eine zweite
Flasche Bier und murmelte in die Richtung meiner Mutter: „Selbst
die Tiere werden bei ihm zu Selbstmördern.“
„Die Sexualität“, schreiben Sie in Ihrer Autobiografie,
„warf sich als eine schuldbeladene Plane über mich bis zum
Würgen.“
Es herrschte der morastige Katholizismus des Niederrheins, für den
alles unterhalb der Gürtellinie ein Igittphänomen war. Die Mädchen,
die wir kannten, taten mit uns nicht, was wir so gerne wollten. Man
kam nicht ran. In Krefeld gab es eine schlimme Straße, Mühlenstraße
hieß die. Da habe ich mich einmal mit einer jungen Prostituierten
vergnügt. So weit musste man schon gehen. Es war ein unerhörtes
Erlebnis für mich, an Kläglichkeit und an Befreiung gleichzeitig.
Eigentlich war es ein Verzweiflungsakt. Aber dass es überhaupt
stattfand, hat mir etwas gebracht, auch mit der katholischen Reue
im Nacken.
Wie alt waren Sie damals?
15 oder 16.
War es Ihr erster Sex?
Ja, es war das erste Mal, und es war auch für längere Zeit das
einzige Mal. Das war ganz schlimm.
Mit 17 veröffentlichten Sie einen Gedichtband mit dem
düsteren Titel „Ovar und Opium“. Wie sahen Sie damals
aus?
Ich hatte lange Haare, und meine nackten Füße steckten in Sandalen,
auch wenn es kalt war. Weil mein Onkel eine Samtfirma hatte, trug
ich schlabberige Samthosen, die mir eine Schneiderin gemacht hatte.
Darüber einen alten, dunkelblauen Rollkragenpullover und einen
Regenmantel, den ich meinem Großvater abgeluchst hatte. Nur bei
Familienfeiern hatte ich die Sachen an, die meine Eltern
wünschten.[gallery:100 Jahre Max Frisch - Eine Ausstellung]
Wie reagierte Ihr Vater auf Ihr poetisches
Äußeres?
Wir fuhren morgens mit derselben Bahn von Krefeld nach Düsseldorf,
wo mein Vater Oberregierungsrat war. Es gab zwischen uns ein
stillschweigendes Agreement. Damit wir nicht in Verbindung gebracht
wurden, stieg er vorne ein und ich hinten. Nach einem
Dreivierteljahr sagte der Schaffner zu mir: „Vorne sitzt ein Herr,
der auch Neuenfels heißt.“ Es machte ihn vollkommen fassungslos,
als ich sagte, dass das mein Vater sei.
Was ließ Sie vom Dichter zum Theaterregisseur
werden?
Als ich an der Folkwangschule studierte, wohnte ich in einem
kleinen Fachwerkhaus in Essen-Werden. Es stellte sich heraus, dass
meine Vermieterin Prostituierte war. In der Nähe war Militär
stationiert, und die Herren Soldaten kamen dann öfters rüber. Aus
der Waschküche hörte ich eines Abends ein großes Getue und Geröhre.
Als ich heimlich durch die Tür lugte, sah ich zwei Kunden. Sie
wuschen sich und erzählten dabei, was sie gerade so alles mit der
Dame getrieben hatten und wurden dabei immer erregter. Das
gegenseitige Hochheizen führte dazu, dass sie voreinander
onanierten. Dieses Moment des Gepacktseins war so
natürlich-tierisch und animierend, dass es mich als Voyeur
ebenfalls überfiel. Damals habe ich begriffen, dass es meine
Berufung ist, interpretierend am Schicksal von Figuren und
Lebensweisen teilzunehmen. Betrachten und Nacherleben kann genauso
kräftig sein wie das Tun. Ich kann an Hamlet oder Medea so
teilnehmen wie an diesen beiden Soldaten in der Waschküche. Das
werden plötzlich meine Figuren, und die will ich knacken. Weil mich
das gänzlich erfüllt, bin ich ein sehr bedürfnisloser Mensch, der
keine Dinge wie einen Jaguar braucht.
Was Sie brauchen, sind Lord-Zigaretten und
Alkohol.
Ich bin ein Suchtmensch, und die Zeit um 1960 war geprägt vom
Nikotin. Die Zigarette war das Utensil der europäischen
Künstlerschaft. Der Opernsänger Jonas Kaufmann hat mir mal erzählt,
dass in Asien Nikotinsucht als Mundeinsamkeit gilt. Man braucht
Gift, um getröstet zu werden, dass diese Queröffnung da so allein
und nutzlos im Gesicht rumhängt.
Was trinken Sie bei der Arbeit?
Ich habe nie Schnaps oder solche Sachen getrunken, meistens Wein
oder sehr viel Bier, weil es gleichzeitig beruhigt. Das ist dann
wie ein wohliger Mantel um einen, und man ist trotzdem noch
aufnahmefähig. Bei Wodka bin ich sofort weg vom Fenster. Ich
erinnere mich an eine Begegnung mit dem russischen Dichter Jewgeni
Jewtuschenko und Klaus Maria Brandauer. Die beiden konnten scharfe
Sachen ab. Nachdem er zwei Flaschen Wodka ausgetrunken hatte, lief
Jewtuschenko am nächsten Morgen frisch fröhlich um den See herum.
Wenn er zu Freunden nach Sibirien fuhr, waren die eine Woche lang
total blau. Das waren richtiggehende Trinkkuren, nur eben nicht mit
Wasser.[gallery:100 Jahre Max Frisch - Eine Ausstellung]
Haben Sie mal überlegt, mit dem Trinken
aufzuhören?
Besser wäre es, weil durch den Alkohol sehr viel Zeit draufgeht.
Andererseits hat er eine bewusstseinserweiternde und beglückende
Wirkung. Die Flachversteher werden jetzt auflachen, aber ohne
Alkohol hätte ich viele Höhepunkte nicht erlebt. Durch eine kalte
Analyse kommst du nicht auf Dinge. Du musst dich anders aufreißen
als über den Intellekt. Sonst bleibt es bei einem Beruf. Alkohol
lässt auch Nähe entstehen zwischen Menschen und schafft eine höhere
Intimität der Gedanken. Gleichzeitig negiert er die Zeit – und es
ist sehr schön, die Zeit zu vergessen.
Steht bei Ihnen die Flasche auf dem
Regiepult?
Nein. Bei Opernproben mit großen Chören habe ich manchmal eine
Flasche Wein taktvoll unten am Regiepult stehen, also nicht
ostentativ, aber auch nicht geschummelt. Um den Laden zur nächsten
Szene rüberzutragen, fülle ich dann manchmal ein Glas.
Sie sind seit 49 Jahren mit der Schauspielerin Elisabeth
Trissenaar verheiratet, die rund 70 Rollen unter Ihrer Regie
gespielt hat. Eine Künstlerehe, die seit fast einem halben
Jahrhundert Bestand hat: Wie geht das?
Das gemeinsame Fremdgehen im Theater hat uns objektiviert. Wenn wir
nach unheimlichen Krächen auf die Probe kamen, mussten wir in den
ersten 20 Minuten erst mal einen Ton finden – verdeckt, damit die
Kollegen nicht merkten, dass wir kurz vor der Trennung standen.
Nach 25 Minuten war der Streit dann weg. Die Bühne hatte uns
gereinigt.
Ihre Frau schrie einmal bei einer Probe: „Nichts
verstehst du, du Idiot! Mit einem Schwein bin ich verheiratet, mit
einem Schwein!“
Das war bei „Medea“. Ich hatte ihr vorgeschlagen, dass die Medea
einen ihrer beiden Söhne dem Kreon zum Vögeln gibt. In Griechenland
herrschte ja Päderastie. Da war es aus bei ihr. Da ist sie
explodiert. Dieses Gelände mochte sie als Mutter nicht.
Gab es Trennungen?
Ja. Die längste dauerte fast ein Dreivierteljahr. Wir waren beide
ausgezogen, mit allem Drum und Dran, weil wir nicht weiterwussten.
Sie hatte vornehmlich mich über. Das liegt genau 20 Jahre zurück.
Als wir uns wiederbegegneten, waren wir zwei ausgemergelte und
verwundete Gespenster. Da begann die Knochenarbeit der Seelen. Wir
werden niemals wissen, ob wir füreinander der größte Fluch oder das
größte Glück sind. Wir wissen aber, dass wir inoperabel sind wie
siamesische Zwillinge. Wir wettern, dass wir zusammen sind, und
sind selig, dass es bis heute so ist.[gallery:100 Jahre Max Frisch
- Eine Ausstellung]
Der Schriftsteller Daniel Kehlmann, Sohn eines
Theaterregisseurs, sagt, Schauspieler seien durch einen „Mangel an
charakterlicher Substanz“ geprägt. Richtig?
Die wirklich großen Begabungen müssen einen starken Charakter
haben, denn wenn Sie als Schauspieler keine Haltung haben,
verpuffen Sie auf der Bühne. Es gibt da ganz unglückliche Wege wie
beim genialen Oskar Werner. Ich habe den noch erlebt, mittrinkend
im Apostelkeller in Wien. Man sah richtig, wie seine Haltung sich
in einer diffusen Verzehrung auflöste. Das ist die große Gefahr in
diesem Beruf.
Viele große Regisseure und Schauspieler sterben einsam
und verbittert. Freundschaften scheinen im Bühnenmilieu nicht zu
halten.
Das ist absurd richtig. Man ist eine Scheinfamilie mit einer
Scheinintimität, die sich jeweils für eine Produktion gründet. Die
nächste Produktion läutet dann wieder eine andere Zeit ein.
Sie sagen, im Theatermilieu herrschten Angst, Neid und
Eifersucht.
Meine „Medea“ an der Wiener Burg bekam bei der Premiere hymnischen
Applaus, und das Fernsehen zeigte direkt nach den Abendnachrichten
einen Film mit den Beteiligten, in dem auch ich etwas sagte. Am
nächsten Morgen hatte ich einen Termin beim Intendanten Claus
Peymann. Als er verschoben werden sollte, bin ich einfach rein zu
ihm. Ich hatte ein Bier in der Hand, und Peymann schrie: „Wie
kannst du morgens sturzbetrunken in mein Büro kommen?“ Ich sagte:
„Entschuldigung, ich trinke ein Bier gegen meinen Kater.“ Dann
fragte ich leutselig im Schimmer meines vorabendlichen Triumphes,
was ich denn als Nächstes bei ihm inszeniere. Darauf sagte er:
„Nichts! Mir gehört Wien!“
Es gab in Ihrer Karriere auch Phasen, in denen Sie kaum
Engagements bekamen.
Ja. Das kann bei Leuten mit wenig Substanz bis zu einer
Verkrüppelung durch Zynismus führen. In diesem Beruf keinen Erfolg
zu haben, ist tödlich.
Sie schreiben über 47 Jahre Probenarbeit: „Ich
erniedrige die anderen. Ich fürchte, die Herrschaft zu verlieren.
Ich unterdrücke. Ich verliere den Faden. Ich isoliere mich. Ich
leide. Ich trinke. Ich bemitleide mich. Ich kann nicht mehr
schlafen. Ich nehme Tabletten. Ich wache auf und liege in meinem
Erbrochenen. Ich krieche zur Dusche. Ich ekele mich. Ich zittere.
Da klopft es. Jemand sagt: ‚Guten Morgen! Die Probe beginnt.‘ Wie
glücklich bin ich und schreie mit schwacher Stimme: ‚Ich komme
gleich! Bitte warte auf mich, bitte, bitte!‘“ Wie haben Sie fast
150 Inszenierungen durchgestanden?
Na ja, Ausbrüche und an die Psychopathie reichende
Exzentrikerekstasen gehören eben zum manischen Zustand, der den
Beruf ausmacht. Manchmal gerate ich in ganz entscheidenden
Situationen in eine Verstörung, wo die Dinge weichen. Das ist für
mich der schlimmste Zustand. Ich spüre nichts und weiß gar nicht,
was das Ganze soll – was ich soll, was die anderen sollen, was das
Werk soll. Ich hänge vollkommen in der Luft, wie in einer
abgeschlossenen Blase. Und dann versuche ich, dagegen anzukämpfen,
um wieder irgendwas zu spüren. Da kann es sein, dass ich was trinke
oder mich über ein unendlich unwesentliches Detail hochrackere, um
wieder in Form zu kommen.[gallery:100 Jahre Max Frisch - Eine
Ausstellung]
Sie wurden dreimal geohrfeigt.
Ich habe der Mutter von Maria Schell mal gesagt, dass sie ihren
Text zu sehr schleppt. Beim zehnten Mal rastete sie aus und knallte
mir ein paar. Ich fand das ganz verständlich. Ich fiel nur halt
fünf Meter tief in den leeren Orchestergraben und brach mir das
Handgelenk. Die zweite Ohrfeige war so heftig, dass es nur so
knallte. Sie kam von Götz Friedrich, dem wunderbaren Leiter der
Deutschen Oper in Berlin. Als ich seine Disposition runtermachte,
konnte er den arroganten Tonfall meiner Ausführungen nicht ertragen
und schlug ganz schnell zu. Die dritte Ohrfeige war die von
Bernhard Minetti. Die war ganz natürlich. Ich wollte ihm,
ausgerechnet ihm, einige Zeilen seines Textes streichen. Der war da
schon Ende 80. Er schaute mich kurz sprachlos an und schmierte mir
dann eine. Die saß auch. Das war eine richtig gute Theaterohrfeige
erster Klasse.
Warum haben Sie sich mit Ihrem langjährigen Freund Klaus
Maria Brandauer verkracht?
Als wir an der Wiener Burg „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“
probierten, klafften unsere Vorstellungen immer weiter auseinander.
Wir waren bis dahin richtig toll befreundet, aber da ging nichts
mehr zwischen uns. Peymann hat uns dann erst mal alle schreiend
wegen Unfähigkeit entlassen. Es hieß, der Regisseur sei ein
vollkommen verkorkster Suffkopp, der überhaupt nichts mehr zustande
bringe. Wir sind trotz der Entlassung geblieben und 14 Tage
rumspaziert durch Wien. Und dann rief mich der österreichische
Bundeskanzler Franz Vranitzky an und sagte: „Ich möchte Sie bitten,
die Proben wieder aufzunehmen. Wir wollen nämlich alle Herrn
Brandauer in der Rolle sehen.“ Erst hat Klaus noch ein bisschen
rumgekaspert und bösartige Sottisen losgelassen, aber die
Aufführung wurde ein Riesenerfolg. Er strengte sich wahnsinnig an,
unser Verhältnis allerdings war leider nicht mehr zu kitten.
Hausverbote, Schimpfkanonaden, Saalschlachten, Zuschauer
in Weißglut, die mit Programmheften nach Ihnen werfen: Solche
Exaltationen gehörten jahrelang zu Ihrem Nimbus als Regisseur.
Macht es Sie nicht depressiv, dass das Theater heute eine
marginalisierte Kunstform ist, die kaum noch jemanden
kümmert?
Die energetische Ausstrahlung des Theaters hat rapide abgenommen.
Die Oper hat momentan mehr Chancen, Publikum zu haben, weil sie
mehr Emotionen freilegt. Wir gieren ja nach Emotionen, weil wir im
Leben zu wenig kriegen. Die Sprache schafft es meist nur noch im
Roman, unsere Fantasie zu besamen. Dabei ist auch das Publikum in
der Oper oft ein Wahnsinnsproblem. In der Münchner Staatsoper guckt
ein Großteil des Publikums überhaupt nicht mehr auf die Bühne.
Dabei ist jede Aufführung ausverkauft. Da herrscht die massivste
Demonstration von gesunder Gleichgültigkeit, die man sich
vorstellen kann.[gallery:100 Jahre Max Frisch - Eine
Ausstellung]
Der irische Dichter Brendan Behan ließ bei einer Lesung
einmal seinen Penis aus der Hose hängen, um zu beweisen, dass
selbst das beste Gedicht nicht gehört wird, wenn einem der Penis
aus der Hose hängt. Ist das ein schlüssiges Argument gegen
Nacktheit auf Theaterbühnen?
Nein. Behan hat ja nur eine Blöffsekunde geschaffen und keine
andere Welt. Nehmen Sie Susanne Lothar in Zadeks „Lulu“. Als sie
den ganzen Abend nackt durchspielte, wurde ihr Körper zu einer
anrührenden Chiffre für Kreatürlichkeit und Ausgesetztheit. Sie war
die Eva, bevor sie in den Apfel biss. Da war Nacktheit toll.
Die Inszenierungen verbrauchter Regisseure nennen Sie
„fettes Gewatschel“. Woran werden Sie, der 70-Jährige, merken, dass
es Zeit ist abzutreten?
Begabung bei Schauspielern und Sängern erotisiert mich immer noch
und macht mich schamlos neugierig. Aber die Biologie wird einen
irgendwann zur Nabelschau zwingen – und dann ist es aus. Ich werde
abtreten, wenn mein Blutdruck mir wichtiger ist als ein Vers von
Kleist.
Das Gespräch führte Sven Michaelsen
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