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Gründung einer Regenbogenfamilie - Ein Kind in trauter Dreisamkeit

Unser Autor ist schwul und wünscht sich ein Kind. Er probiert es erst einmal zu dritt. Erste Erfahrungen im Gründen einer Regenbogenfamilie

Autoreninfo

Sören Kittel lebt als freier Journalist derzeit zwischen Berlin und Seoul und schreibt für Zeitungen und Magazine.

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Wenn ich irgendwann, vielleicht in 15 Jahren, einmal mit meinem Kind spazieren gehe und gefragt werde, wie alles angefangen hat, dann werde ich wohl erst herumdrucksen: „Eine lange Geschichte.“ Aber wenn dieser Sohn oder diese Tochter nach mir kommt und nicht lockerlässt, werde ich eine Bank suchen und erzählen müssen, wie kompliziert diese Monate waren, in denen ich Vater werden wollte.

Begonnen hat es mit einer E-Mail im Herbst 2013. Sie erreichte mich in einer seltsamen Phase, die wohl viele in der Lebensmitte durchmachen: Langzeitpartner weg, Firma verkauft und der Vermieter will die Wohnung luxussanieren. In ihrer E-Mail schrieben zwei Freundinnen von mir mit ihrem charmanten, leicht verschwurbelten Humor: „Eigentlich wollten wir Dich mit Käsekuchen in einen Zuckerschock versetzen …“, aber sie haben nicht mehr warten wollen und fragen jetzt doch auf diesem Weg, ob ich Vater werden möchte. „Das ist jetzt kein offizieller Baby-Antrag“, schreiben sie noch, „aber das Angebot für Familiensondierungsgespräche.“ Sie suchten mehr als einen Samenspender und weniger als einen Zusammen-Wohnen-Vollzeitvater. Ich solle „eine Rolle im Leben der Kinder spielen“. Ähnlich diffuse Vorstellungen hätte ich auch, schrieb ich zurück. Und: Wir sollten uns treffen.

In den nächsten Wochen sprach ich mit Freunden darüber, und schon das war ein bisschen wie Weihnachten. Plötzlich war da so eine Hoffnung in den Tagen, dass alles anders werden könnte und Verantwortung ins Leben kommt. Dass es Sinn macht, in einer Großstadt wie Berlin zu leben, wo so etwas nicht komplett ungewöhnlich ist. Doch mir wurde auch klar: Es gibt keine wirklichen Vorbilder für diese Art der Familie. Es gibt den Film „The Kids Are All Right“ mit Julianne Moore als lesbischer Mutter, die sich später doch in den Hetero-Vater verliebt, und es gibt das Buch „Kindsköpfe“ von Kriss Rudolph, der über zwei schwule Väter schreibt.

Ein neuer Lebensstoundtrack
 

Im Internet steht etwas mehr, unter anderem der wunderbare Blog des Niederländers Geer Oskam, der im März dieses Jahres Vater einer Tochter wurde. Unter der Überschrift „Two Girls a boy and a cup“ schreibt der 29-Jährige über die Zeit der Vorfreude, über den ersten Herzton, die rührende Unsicherheit der Ärzte („Oh! Wir sind so altmodisch und haben nur zwei Stühle!“) oder des eigenen Vaters („Sind die Damen jetzt meine Schwiegertöchter?“). Er schreibt über den Tag der Geburt – und über den Moment der Zeugung. Das ist auch peinlich. Werde ich irgendwann in einem Zimmer liegen und versuchen, einen Plastikbecher zu treffen, während auf meinem Mobiltelefon brasilianische Pornos laufen? Entsteht so Leben? Ist das nicht alles total irre, was wir da tun? 

Die ersten Treffen mit den „Müttern“ verliefen ruhig. Wir konnten ungezwungen über unsere Kindheit (behütet und recht frei) und unser Elternbild (demokratisch, aber nicht antiautoritär) reden. Wir arbeiteten alle drei mehr oder weniger „in den Medien“ und trugen auch noch ähnliche Kastenbrillen. Ich hatte in dieser Zeit gerade Bedarf an neuer Musik und bekam ein paar Alben von einer der Mütter überspielt: Softer Rock mit Herz und guten Texten von Lykke Li, Mumford & Sons, Feist und natürlich die Lesben-Ikone Tanita Tikaram. Mir gefiel der neue Soundtrack in meinem Leben. Ich kann sagen: Wir hatten gute Abende, bei Tee und Rotwein. Inspiration für die ersten ernsten Elterngespräche holten wir uns auch im Regenbogen-Familienzentrum in Berlin-Schöneberg. 

Das Regenbogen-Familienzentrum ist der einzige offizielle Ort seiner Art in Deutschland. Es gibt Krabbelgruppen und Kleinkinder-Treffs und seit neuestem: eine Schwangerengruppe. Weil es so langsam eben doch genug schwangere Lesben gibt in Berlin. Am ersten Montag im Monat treffen sich „Homosexuelle mit Kinderwunsch“. Mal kommen 15 Leute in den Raum in Schöneberg, mal fast 40. Sie sitzen im Kreis und die fast zenbuddhistisch-entspannte Gruppenleiterin Constanze Körner fordert sie auf, ihre Geschichte zu erzählen. Sie selbst zieht mit ihrer Frau und einem homosexuellen Mann fünf Kinder groß: drei leibliche aus einer früheren Ehe und zwei von ihrer Frau und einem schwulen Mann. Sie erzählt so ungezwungen und so authentisch von ihrem gar nicht so ungewöhnlichen Familienleben, dass es kein Wunder ist, dass ihr Zentrum 2013 mit dem Preis „Ort der Ideen“ der Bundesregierung ausgezeichnet wurde.

Wunschkinder der ersten Generation Regenbogenfamilien
 

In die Kinderwunschgruppe gingen meine beiden Mütter und ich nicht nur, um die rechtlichen Fragen zu besprechen und die gemeinsamen Ängste. Wir taten das auch, um zu sehen, welche Vorstellungen andere Paare hatten.

Eine junge Frau legt die Hand auf das Knie ihrer schweigsamen Frau und sagt: „Meine Freundin und ich, wir haben schon alles geplant. Wir haben den Vater schon, der geht dann mal mit dem Kleinen einmal im Monat in den Zoo oder so. Beim nächsten Eisprung legen wir los. Wenn der Kleine fragt, wer der Papa ist, sagen wir: Der Andy, aus dem Zoo, weißt du noch?“

Eine andere sagt: „Ich bin hetero und ich bin nur mitgekommen, weil ich einfach so langsam gern Kinder bekommen möchte und mir das auch mit einem schwulen Mann vorstellen kann. Ich war bei spermaspender.de und familyship.de, aber bisher ohne Glück.“

Und so geht es die ganzen 90 Minuten um dieses „Glück“. Constanze Körner beantwortet Fragen geduldig, auch die ungewöhnlichsten. Sie sagt, sie habe alles schon einmal gehört. In fast jeder Sitzung sagt Constanze Körner zwei Sätze, die Mut machen. Der eine ist: „Alle Kinder, die hier entstehen, sind Wunschkinder.“ Und der andere klingt noch etwas größer: „Wir sind die erste Generation Regenbogenfamilien, wir stehen noch ganz am Anfang.“ Uns dreien hat sie geraten, es doch mit einem gemeinsamen Wochenende auf dem Land zu probieren.

Ein paar Wochen später also, noch im Winter, sitze ich bei den beiden Müttern und wir suchen auf dem iPad nach guten Orten in Brandenburg für das gemeinsame Wochenende. Als mir kalt wird und ich um eine Wolldecke bitte, sagt eine der beiden: „Nimm doch ein Stück von meiner, wir werden ja vielleicht bald noch viel mehr miteinander teilen.“ Sie hat das nicht ganz so anzüglich formuliert, aber es stimmte natürlich – wir steuerten auf eine Familie zu. Müssten wir dazu nicht eigentlich öfter telefonieren? „Hey, mein Tag war heute verrückt, wie sieht’s bei euch aus?“ Stattdessen verabredeten wir uns auch nach Wochen noch zu Abenden fest. 

Nach einem Theaterabend bringe ich die beiden noch zur U-Bahn, ich merke, dass etwas in der Luft liegt. Eine der beiden Mütter sagt kurz vorm Einsteigen in die U-Bahn: „Denkst du eigentlich auch manchmal, dass das total irre ist, was wir hier machen? Kompletter Wahnsinn? Ein Kind zu dritt?“

Gesagt habe ich wohl so etwas wie „Ja klar, wir drei Verrückten … Aber entstehen nicht Kinder bei Heteros manchmal unter noch seltsameren Umständen?“ Ich wollte diese Zweifel nicht, aber im Grunde hatte ich die gleichen. Es ist eben doch ein Riesenschritt, nur vergleichbar mit einer Hochzeit: Ich als schwuler Mann zeuge ein Kind mit zwei lesbischen Freundinnen, vielleicht sogar zwei Kinder, und zusammen sind wir eine richtige Regenbogenfamilie.

Die Details für unser buntes Familienleben wollen wir an dem Wochenende auf einem Bauernhof in Brandenburg vereinbaren. Wer sieht das Kind wie oft? Welche Schulbildung? Impfung? Das wollen wir aufschreiben. Eine Art Eltern-Manifest, das vor Gericht zwar keine Bedeutung hat, aber uns doch Sicherheit geben soll. Als die Türen schließen und die U-Bahn wegfährt, überlege ich, warum es so schwierig ist, einen gemeinsamen Termin zu finden. Ein schlechtes Zeichen? Wie soll das erst werden, wenn es um viel mehr geht?

Regenbogenfamilie, der Begriff steht seit 2009 im Duden. In den Niederlanden sind sie schon ein wenig im Alltag etabliert. Den ersten schwulen Vater lernte ich in Amsterdam im Jahr 2000 kennen. Gerade erst vor wenigen Wochen hat mir ein niederländischer Freund bei einem Berlinbesuch die Ultraschallfotos seines Sohnes gezeigt. „Mann, sieht der noch hässlich aus“, sagt er in typisch niederländischem Understatement. Da lachte er, der 29 Jahre alte Fastvater. Er wird das Kind zur Adoption freigeben, damit die zweite Mutter es adoptieren kann. So haben wir das auch geplant.

Pragmatisch in den Neuanfang
 

Dann kommt er doch, dieser eine Abend, der beginnt wie der erste. Ich sitze am Tisch mit den beiden Müttern, ausgerechnet kurz vor Ostern, wenn sich alles nach Aufbruch anfühlt. Küken, bunte Eier, Wiedergeburt. Es lief softer Pop-Rock und ich hatte ein Häschen aus Schokolade mitgebracht. Bio-Schokolade, man will ja alles richtig machen. Und dann frage ich nach dem Wochenende in Brandenburg, wir hatten ja endlich ein Datum. Eine der beiden unterbrach mich: „Ja, darüber wollten wir noch einmal mit dir reden …“ „Wir sind noch nicht so weit“, das ist einer der Sätze, die folgen, „es liegt nicht an dir“ und: „Vielleicht passt es auch einfach nicht so.“ Wir beschlossen schließlich, weiter „Freunde zu bleiben“. Aber auf dem Heimweg war mir auch klar: Das war ein „Schlussmachen“.

Anfang Juni war ich noch einmal beim Regenbogen-Familientreff, es war der letzte für diesen Sommer. Constanze Körner macht Ferien mit ihrer Großfamilie. Dieses Mal saßen 22 Frauen da, nur sechs Männer. Ich musste erzählen, warum ich dieses Mal allein gekommen war, nicht mehr zu dritt. Das war unangenehm, aber ging vorbei. Gegenüber im Stuhlkreis saßen zwei Frauen, die mich abwechselnd angrinsten, oder hatte ich mir das eingebildet? Ich hatte in der Vorstellungsrunde nur erfahren, dass sie 40 und 34 Jahre alt waren. Sie waren zum ersten Mal da. Bei der Verabschiedung sagte eine der beiden: „Einen schönen Sommer.“ Zwei Tage später hatte ich eine E-Mail im Postkasten, weitergeleitet von Constanze Körner: „Ich glaube, die beiden meinen Dich“, schrieb sie. In der Betreffzeile stand „Vater gesucht“. Ein bisschen irre ist das alles schon, dachte ich, und hab sofort geantwortet.

Meine Tochter oder mein Sohn will dann sicher wissen, wie es weitergeht. Es beginnt im Grunde wie das erste Mal, nur dass es funkt. Es ist eine Mischung aus großem Vertrauen, viel Vorbereitung, auch einem gewissen Pragmatismus und dem Wunsch danach, es einfach zu probieren. „Bis September zumindest bist du noch nicht entstanden“, würde ich sagen, das kann ich dem Kind dann erklären. In meinem Leben ist im Herbst 2014 zumindest vieles stabiler geworden: neue Arbeit, neue Wohnung, sogar eine neue Liebe. „Wir haben viel über dich gesprochen, auch wenn es dich noch nicht gab“, werde ich sagen. Und: „Der Sommer 2014 war fantastisch.“

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