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Netz-Kritik - Die Medien müssen erwachsen werden

Die Redaktionen sehen sich einer noch nie gekannten Welle an Kritik gegenüber. Eine beliebte Reaktion darauf ist die Publikumsschelte. Doch die Medien sollten lieber gelassener werden und erkennen, dass sie sich in einem ganz normalen Wandlungsprozess befinden

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Die Kritik von Journalisten an ihren Lesern, Zuhörern, Zuschauern und Nutzern ist nicht neu. Schon 1931 dichtete Kurt Tucholsky: „O hochverehrtes Publikum, sag mal: Bist du wirklich so dumm?“

Ganz so poetisch liest sich die heutige Rezipienten-Schelte jedoch nicht. In der Süddeutschen Zeitung empörte sich Hans Leyendecker über einige anonyme Kommentatoren im Netz: Die „permanent Übelgelaunten“ seien „scheinbar immun gegen die Idiotie, die sie nicht ohne Kummer bei den anderen diagnostizieren“. Medium-magazin-Chefredakteurin Annette Milz beobachtet: „Propaganda und die neuen Tools im Netz laufen wie unter Drogen“.

Tatsächlich sehen sich Zeitungen und Rundfunkanstalten seit Beginn der Ukrainekrise einem unvergleichlichen Ausmaß an Kritik ausgesetzt. Die Redaktionspostfächer laufen über, in den sozialen Netzwerken ergießt sich die Häme, Moderatoren kommen kaum noch hinterher, die Diskussion im Zaum zu halten. „Mainstream-Medien“ heißt es da, „Manipulateure“ und „Systempresse“. „Ihr lügt doch alle!“, fasste das medium magazin die Stimmung zusammen.

Grassierende „Medienverdrossenheit“


Da kann manch ein Medienvertreter schon mal die Geduld verlieren.

„Verschwörungstheoretiker“, rufen sie beleidigt zurück, „Trolle“. Und schließen die Kommentarspalten.

Die Schlagwörter der Stunde: „Medienverdrossenheit“ und „Glaubwürdigkeitskrise“.

Doch wenn Publikumskritiker die kritische Grundstimmung allzu schablonenartig zusammenfassen, machen sie erstens den gleichen Fehler wie jene, denen sie ihr Verhalten gerade vorwerfen: Sie werfen sie alle in einen Topf. Dabei sollten doch gerade Journalisten abwägen, unterscheiden, objektivieren. Denn genauso, wie es brillanten Qualitätsjournalismus und Gossenschreibe gibt, so gibt es die dialoginteressierten Bürger, die mit Klarnamen für ihre Meinung einstehen, und anonyme Nutzer. Aber selbst diese lassen sich nicht vereinheitlichen: Da gibt es jene, die in der Anonymität Schutz suchen, weil sie vielleicht einer Minderheit angehören, und jene, die Aufmerksamkeit für ihre Thesen suchen. Und es gibt die Gruppe, die – offen oder verdeckt – auf Randale aus ist; sie ist laut. Destruktiv. Trotzdem: „Nicht jeder Kritiker ist ein Verschwörungstheorethiker”, sagte Georg Mascolo zu Recht.

Auch anderswo kennt man den Shitstorm


Zweitens befinden sich die Medien in jenem Prozess, den andere gesellschaftliche Funktionsbereiche längst durchlaufen haben.

In der Politik: Die Parteien kennen schon lange nicht nur das Phänomen, dass sich der Wähler abwendet, sondern ihre Vertreter unter Beschleunigung der sozialen  Medien auch gezielten Kampagnen ausgesetzt sind. Rainer Brüderle musste es in der Sexismus-#Aufschrei-Affäre erfahren; Ex-Bundespräsident Christian Wulff erlebte es genauso wie Susanne Gaschke, die dem Cicero erklärte, man werde in einer solchen Situation „regelrecht durch den Wolf gedreht“. Einige Politiker haben gelernt, sich nicht alles gefallen zu lassen: Sie schreiben ihre eigenen Bücher, versuchen, ein Stück weit die Deutungshoheit zurückzuerlangen.

In den Unternehmen: Die Deutsche Bahn, McDonalds – auch Markenfirmen erleben, wie rasant Netzaktivisten ihr Image beschädigen können. Als die Ing Diba 2012 den Basketballer Dirk Nowitzki in einem Werbespot eine Scheibe Wurst verspeisen ließ, zog sie den Protest von Vegetariern und Veganern auf sich. Sie fluteten die Facebook-Seite der Bank mit bösen Kommentaren. Die Gegenstrategie: Immer mehr Unternehmen bauen ihre PR-Abteilungen aus, betreiben Social-Media-Management.

In den Gewerkschaften: Während des Bahn-Streiks wurde GdL-Chef Claus Weselsky in den sozialen Medien zum Teil massiv beleidigt. Doch kaum ein Nutzer ging so weit wie einige Journalisten: Die Bild veröffentlichte Weselskys Telefonnummer, Focus Online seine Adresse. „Die Print-Medien machen jetzt also das mit dem Internet-Pranger“, twitterte dazu die Netzaktivistin Katharina Nocun.

Eine Branche in der Pubertät


Wann immer in den letzten Jahren irgendwo ein Shitstorm wütete, waren die Medien nicht weit. Mit welchem Recht also beklagt sich die Branche jetzt, selbst Ziel solcher Hetze zu sein?

Die Digitalisierung erwischt die Medien frontal. Obwohl es das Internet schon 20 Jahre gibt, suchen viele Häuser immer noch nach einer Strategie – auch im Umgang mit den neuen, manchmal nicht ganz so angenehmen Dialogformen dort. Wo andere gesellschaftliche Subsysteme, wo Politik, Unternehmen und Gewerkschaften schon viel weiter sind, wo sie Erfahrungen gesammelt und teilweise Gegenstrategien eingeleitet haben, da stecken die Medien noch in ihrer Pubertät. Und diese Phase kann weh tun: Man wächst, irrt, trotzt, fühlt sich gemobbt und gehänselt.

Vielleicht brauchen die Medien einfach ein bisschen mehr Gelassenheit. Ein bisschen mehr Publikumsinteraktion. Kundenorientierung. Und ein bisschen mehr eigene Kritikfähigkeit. Dass es an Letzterem hapert, bestätigt sogar die Wissenschaft: Zwei Drittel der Journalisten werden nie oder fast nie von ihren Kollegen oder Vorgesetzten kritisiert.

Die „Glaubwürdigkeitskrise“ wäre somit nur noch eine Frage der Gewöhnung. In Bezug auf ihre Kritikfähigkeit werden auch die Medien erwachsen werden.

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