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Gesundheitspolizei - Puritaner entmündigen uns

Kisslers Konter: Auch in schlimmen Zeiten macht der Feldzug gegen den Lebensgenuss keine Pause. Ziel ist die zuckerlose, kalorienarme, alkoholfreie Kost für alle. Dahinter verbirgt sich ein gigantisches Entmündigungsprogramm

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Zucker macht süchtig, Bier dick, Nikotin tötet: Das Regiment der Puritaner, das über uns herrscht, kann das nicht tolerieren. Verbote sollen her, wo der gemeine Menschenverstand partout nicht zum Vernünftigen ausschlagen will. Eine Weile konnte es erscheinen, als seien die dreistesten Vorschläge zur Menschenregulierung angesichts der schlimmen Zeitläufte in der Schublade verschwunden.

Welch großer, welch süßer Irrtum. Die vergangene Woche erinnerte uns bitter daran, dass energisch daran gearbeitet wird, den Homo sapiens zu entmündigen – zu seinem Besten, versteht sich.

Erst vernahmen wir, dass es sich nicht gehört, ein Bier als „bekömmlich“ zu bewerben, und also zu verbieten ist. Eine Brauerei aus Baden-Württemberg wurde per Gerichtsbeschluss ausgebremst; eine Verordnung der Europäischen Gemeinschaft, der zufolge gesundheitsbezogene Angaben über Bier unzulässig seien, ließ dem Ravensburger Landgericht keine Wahl.

Individuelle Lebensfreude als Kollateralschaden
 

Die Hopfenschwaden waren kaum verzogen, da hatten die grün-roten Gesundheitsexperten Renate Künast und Karl Lauterbach ihren Auftritt. Zucker schädige die Volksgesundheit, er sei zu ächten: Das war die Quintessenz aus der Behauptung, der Konsum von Zucker habe „etwas Epidemiehaftes und fatale Folgen für die Gesundheit“ (Künast), Werbung, die gezielt Kinder anspreche, sei zu verbieten (Lauterbach).

Wird es bald keine Anzeigen mehr geben für Schokolade und Eis am Stiel, weil „Zucker der neue Tabak“ (Künast) sei und der Staat die Kinder schützen müsse? Folgt auf das eingeschränkte Werbeverbot das allgemeine Produktionsverbot für Industriezucker, am Ende gar die staatlich verordnete zuckerlose, kalorienarme, alkoholfreie Kost für alle?

Auch der Weingenießer ahnt, was hinter dem strafbewehrten Verbot steckt: Bekömmlich soll sein, was der Staat als unbedenklich einstuft, was ihm möglichst wenig auf der Tasche liegt und den Erhalt der konsumierenden, steuerzahlenden Population maximal planbar sichert. Individuelle Lebensfreude kann nur ein Kollateralschaden sein, höchstens.

Der Bürger als Mündel
 

Dass die Puritaner der Volksumerziehung den genormten Körper im Blick haben wie früher die Lebensreformer und etwas später Autokraten, überrascht nicht. Dass sie mit dem Einzelnen argumentieren, um das Allgemeine zu formieren und den Etat zu entlasten, ebenso wenig.

Verblüffend ist die Behändigkeit, mit der Brüssel und Berlin sich anschicken, die Bürger in immer mehr Bereichen als Mündel zu betrachten.

Ein Werbungsverbot für kindgemäße Produkte bedeutet nichts anderes, als die Pädagogik der Eltern auszuhebeln: Weil diese mit quengelndem Nachwuchs aus staatlicher Sicht offenbar prinzipiell überfordert sind, will der Staat jeden pädagogischen Streitfall aus dem Weg räumen.

Selektion der Wünsche
 

Weil Eltern nicht zugetraut wird, Nein zu sagen, sagt der Staat Nein für uns alle. Er selektiert unsere Wünsche, kanalisiert unsere Begierden und lässt aus dem Blickfeld verschwinden, was unsere Freiheit zu sehr erproben könnte.

Dasselbe Menschenbild erkennt im Konsumenten ein willfähriges Opfer perfider Marketingstrategien, der eigenen Entscheidung beraubt. Ein Etikett mit der Aufschrift „bekömmlich“ führt in dieser Perspektive spornstreichs dazu, Liter um Liter Bier in sich rinnen zu lassen, in der irrigen Auffassung, damit ließe sich jedes Zipperlein kurieren.

Warum zeichnen die Gesundheitsregulatoren ein solch pessimistisches Bild vom Menschen?

Vermutlich benötigen sie für härtere Erziehungsmaßnahmen bald härtere Gängelbänder. Sie arbeiten am lebenslangen Betreuungsobjekt, jenseits des Politischen, jenseits des freien Willens. Darum gilt: Wer den Genuss verteidigt, der verteidigt den Menschen. Sehr zum Wohl!

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