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Generation Y - Wie Gutmenschen die Demokratie gefährden

Sie ist links, selbstgefällig, groß-bebrillt – die Generation Y. Gierig und arrogant zersetzen die Gutmenschen die Demokratie. Oder etwa nicht? Eine Replik auf Wolfgang Boks Generationenbild

Autoreninfo

Timo Stein lebt und schreibt in Berlin. Er war von 2011 bis 2016 Redakteur bei Cicero.

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Er trinkt nie. Flüssigkeit nimmt er über die Nahrung auf. 3-0-0-1/1-0-0-3 seine Zahnstellung. Zwei Nagezähne und drei Backenzähne pro Gebissbogen: Der gemeine Nacktmull. Der in unterirdischen Bauten in den Halbwüsten Ostafrikas beheimatete Mull hat sich perfekt an seine Umgebung angepasst: Wendig, nackt, mit konischer Kopfform, aufgrund fehlender Substanz P nahezu ohne Schmerzempfinden, ausgerüstet mit unabhängig voneinander beweglichen Schneidezähnen. Der Mull, ein wahrer Meister der Überlebenskunst, der ganz nebenbei in jedem Ranking der hässlichsten Tiere aller Zeiten seinen Platz im oberen Drittel sicher hat.

In seiner Anpassungsfähigkeit ähnelt der Nacktmull der sogenannten Generation Y, jener Generation superangepasster Ypsters im Alter von 30+, die ebenfalls wendig, schmerzfrei, groß bebrillt und stromlinienförmig den hiesigen Arbeitsmarkt stürmen. Der Vergleich hinkt? Wirkt konstruiert? Stimmt.

Gestatten: Die Nacktmull-Methode. Alles hängt irgendwie mit allem zusammen. Prinzip Holzschnitt. Technik: Pauschalieren. Kündigen Sie Fußnoten an, um dann feinfühlig den Holzhammer hervorzuholen. Um Gottes Willen, schwingen Sie! Bemühen Sie die Lieblingstechniken angewandter Hobbysoziologie.

Haben Sie dieses Prinzip erst einmal verinnerlicht, dann lassen sich ganze Generationen wunderbar in Schubladen packen. Dann erfahren wir, dass wir es mit einer 30-Plus-Generation zu tun haben, die eher selbstgefällig durchs Leben geht, ihren herablassenden Blick gerne hinter überdimensionierten Sonnenbrillen verbirgt und überhaupt dem egoistischen Trieb simpler Ich-Bezogenheit folgt. Ihr Motto: „Schummle dich durchs Leben und schleime dich nach oben.“

Aha. Solche Generalisierungen stehen in der Regel der Realität so nahe wie Peer Steinbrück der Kanzlerschaft und sind bereits schon aufgrund der ihnen zugrunde liegenden heuristischen Ausrichtung zum Scheitern verurteilt.

Generalisierung, die Konflikte erst konstruieren, sind das eigentliche Problem: Am beliebtesten sind vermeintliche Gegensatzpaare wie alt vs. jung – alle Jahre wieder bei der Rentendiskussion zu bewundern – oder auch die viel beschworene Dichotomie Fahrradfahrer vs. Autofahrer. Statt zur Kenntnis zu nehmen, dass es schlechte und gute Verkehrsteilnehmer auf beiden Seiten gibt, werden den Autofahren bzw. Radfahrern kollektive Verhaltensweisen zugeschrieben. Es werden künstliche Identitäten, Feindbilder,  geschaffen, um sie gleichsam voneinander abzugrenzen und Gräben zu ziehen. So entsteht eine Sollbruchstelle der Vorurteile.

Den Autoren solch irrwitziger Zerrbilder möchte man zurufen: Generation Y? Generation Schwachsinn! Ein solches Bild einer vermeintlich durch die Bank weg verwöhnten Generation kann nur zeichnen, wer Meister darin ist, die selbst gebastelte Weltschablone unter keinen Umständen der Wirklichkeit anzupassen. Alles ganz ideologiefrei versteht sich. Mit dem immer wiederkehrenden Muster: Schwarz-Weiß wird die Welt verwaltet.

Die Realität sieht dann doch ein bisschen anders aus: Wer über die selbstherrliche Generation Y spricht, darf über die Generation Prekär – Praktikum, Nebenjob, unbefristet, raus – nicht schweigen.

Oder um im Holzschnitt zu bleiben: Liebe Pauschalautoren und Neo-Konservative da draußen, vergessen Sie doch bitte eines nicht: Kein Ypsie ohne Mama oder Papa Ypsie, ohne Y-Eltern sozusagen. Und während die Alten in ihren Landhäusern sitzen, ihr Vermögen verwalten, Ressentiments aneinanderreihen, um Schimpf-Artikel über die vermeintlich unpolitische Generation zu verfassen, muss sich der Nachwuchs im modernen Selbstausbeutungssystem zwischen flachen Hierarchien und Home-Office zurechtfinden.

Aber Achtung, es wird noch schlimmer: Der Autor dieser Zeilen trägt sogar ein doppeltes Generationenmal. Er gehört nicht nur der selbstgefälligen Generation Y an, sondern auch der sogenannten Journalisten-Generation G (Greenpeace, Gender, Gerechtigkeit). In zwei Worten: der Generation Gutmensch. Ach du grüne Neune. Das Etikett im politischen Subdiskurs, das Kainsmal unter den Brandmalen. Der rhetorische Todesstoß, um den Adressaten netztypisch zu etikettieren und dem Sender eine gänzlich ideologiefreie Unfehlbarkeit zu attestieren.

Bei Wolfgang Bok klingt das dann so: „Genau an dieser Distanz fehlt es. In den Verlagshäusern und Rundfunkanstalten werden derzeit die Alt- und Jung-68er von der Generation Greenpeace abgelöst. Sie ist mit der ständigen Apokalypse aufgewachsen. Der grüne Alarmismus ist ihnen in Fleisch und Blut übergegangen. Das ist viel schlimmer als eine Gleichschaltung, wie man sie aus autoritären Staaten kennt.“

Mmh. Viel schlimmer also. Nahezu demokratiezersetzend. Die Generation G, innerhalb der Generation Y, richtet generös die Welt zugrunde. Und während wir arrogant und impertinent die Demokratie beim Worte nehmen, steht unterm Strich: Links, unverschämt, groß bebrillt und niemand mehr da, der auf die Stimme des Volkes hört. Nur abgehobene, transzendal-flankierte Öko-Idioten.

Aber zurück zum Lurch. Verzeihung, Mull. Nacktmull. Wussten Sie eigentlich, dass der als Endemit lebende Mull eusozial lebt, das heißt, dass er einer hoch spezialisierten Arbeitsteilung nachgeht, die an das Lebensalter des einzelnen Individuums gebunden ist? Das wiederum ist unter Säugern sehr selten und setzt ein hohes Maß an Altruismus voraus. ALTRUISMUS. Noch so ein Schreckgespenst. Auch das noch. Der Mull, er ist ein Gutmull. Insofern ähneln sich die Mulls und die Ypsies dann doch irgendwie.

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