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(picture alliance) Die Musik in Warteschleifen erinnert an Rausschmeißer-Lieder in der Disko

Service-Wüste Deutschland - Gefangen in der Warteschleife

Der Service in Deutschland wird angeblich besser, zumindest geht das aus einer aktuellen Studie hervor. Wer einmal in der Warteschleife festhing, kann das nicht glauben. Es gilt: Je größer das Unternehmen, desto unflexibler die Lösung

„Servicewüste Deutschland“ – war das nicht so ein Aufreger-Schlagwort aus den neunziger Jahren? Ungefähr wie „Waldsterben“ in den Achtzigern? Dem deutschen Wald geht es mittlerweile ja wieder ganz gut, zumindest aus Sicht der (zugegebenermaßen forstwissenschaftlich eher nicht so bewanderten) Spaziergängerin. Nur die berühmte Servicewüste hat sich trotz der vielen Bewässerungsversuche vergangener Jahre leider immer noch nicht in einen blühenden Garten verwandelt. Was dagegen blüht, ist etwas ganz anderes, nämlich die mediale Auseinandersetzung mit verunsicherten, enttäuschten und deshalb nachhaltig verärgerten Kunden: Jede halbwegs gut sortierte Bahnhofsbuchhandlung räumt ganze Regalmeter für Verbrauchermagazine frei; öffentliches wie privates Fernsehen unterstützen ihre Zuschauer im Kampf „David gegen Goliath“ – kleiner Mann gegen großes Unternehmen – in zahlreichen Formaten, die meist an Biederkeit kaum zu übertreffen sind. Und die Buchbranche erheitert den Leser mit Selbsterfahrungsberichten aus der Warteschleife.

Erst im August erschien beispielsweise das 230-Seiten-Werk des Spiegel-Online-Kolumnisten Tom König „Ich bin ein Kunde - holt mich hier raus“ mit dem vielsagenden Untertitel „Irrwitziges aus der Servicewelt“. Man könnte fast sagen, die Kundenunzufriedenheit der Deutschen feiert seit einiger Zeit ein furioses Comeback. Aber damit ist es wie bei Rockstars, die nach zehn Jahren der Nichtbeachtung plötzlich wieder einen Nummer-1-Hit landen: Wer sie danach fragt, wo sie denn die ganze Zeit über gesteckt hätten, bekommt meistens die Antwort: „Ich war doch nie weg!“

Nicht nur die Medien, sogar die Unternehmen selbst beschäftigen sich deshalb zunehmend (wieder?) fieberhaft mit dem Thema „Kundenzufriedenheit“. 200 Jahre nach dem erstmaligen Erscheinen von Grimms „Kinder- und Hausmärchen“ muss heuer offenbar auch jenes Märchen neu erzählt werden, wonach nicht der Frosch zum Prinzen wird, sondern jeder Kunde ein König ist. Oder wie es in den nicht minder ernstzunehmenden BWL-Seminaren in metaphorisch weniger ambitionierter Sprache heißt: Im heiß umkämpften Markt muss der Verbraucher nicht nur gebunden, sondern überhaupt erst einmal gewonnen werden. Apropos: Kann sich eigentlich noch jemand an Marcell D’Avis erinnern, der vor drei Jahren als „Leiter für Kundenzufriedenheit“ beim Internetprovider „1und1“ aus Montabaur zum Gesicht einer groß angelegten Imagekampagne wurde? Im Märchen heißt der Schlusssatz ja immer: Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute…

Aber ganz ernsthaft: Wir leben in Deutschland, und da gibt es für jedes Problem zwar nicht unbedingt eine Lösung, jedoch zumindest eine Studie. So wie den „Kundenmonitor Deutschland 2012“, der den Unternehmen erstaunlicherweise steigende Zufriedenheitswerte attestiert. O-Ton: „Viele Unternehmen haben in den letzten Monaten offenbar nicht nachgelassen, ihre Servicequalität weiter auszubauen – zum sichtlichen Nutzen der Verbraucher." Herzlichen Glückwunsch, freut uns sehr! Leider entspricht dieser Befund nicht im Allergeringsten meiner eigenen Erfahrung.

Seite 2: Die Musik der Warteschleife als Rausschmeißer-Lieder

In meinem grauen Alltag als Endverbraucherin sieht es nämlich so aus: Je größer das Unternehmen, desto weniger Flexibilität und individuelle Beratung – Regel Nummer eins. Regel Nummer zwei: Die Musik in den telefonischen Warteschleifen erfüllt exakt jene Funktion, die Diskothekenbesitzer mit „Rausschmeißer-Liedern“ verfolgen; wer diesen Sound länger als drei Minuten am Stück auf sich wirken lässt, riskiert bleibende Schäden an Ohr und Seele. Robustere Naturen werden am Ende dieses akustischen Spießrutenlaufs vielleicht sogar mit einem „Service“-Mitarbeiter aus Fleisch und Blut verbunden. Wobei sich dann immer gleich die Frage stellt, ob diese Person irgendwo aus Deutschland zu einem spricht, oder nicht eher aus einem bengalischen Call-Center. Ist ja letztlich auch egal, denn weitergeholfen wird einem so oder so nicht. Allenfalls wird man weiterverbunden.

So zum Beispiel bei „Air Berlin“. Diese grundsätzlich sehr sympathische Airline (Fluggäste bekommen nach der Landung von den Stewardessen ein Schokoladenherz überreicht!) hat es unlängst hingekriegt, meine Buchung komplett zu verbaseln – trotz Reservierungsnummer, und obwohl das Geld für den Flug längst von meinem Konto abgebucht war. Ein – übrigens sehr freundlicher – Kundenberater konnte schließlich weiterhelfen: indem er mir den gleichen Flug einfach noch einmal verkaufte, allerdings zum knapp dreifachen Preis des ursprünglichen. Auf spätere Nachfrage hieß es dann, man möge seine Beschwerde bitte schriftlich einreichen. Habe ich natürlich gleich getan. Auf eine Antwort warte ich noch immer. Ist aber auch erst vier Wochen her.

Eine ähnliche Strategie zur Steigerung der Kundenzufriedenheit, nur weniger freundlich, verfolgt die Deutsche Post: Ein Päckchen, das immerhin schon einmal, leider in meiner Abwesenheit, die Haustür erreicht hat, ist seit mehreren Wochen im schwarz-gelben Nirwana verschollen. Nach mehreren erfolglosen Gängen zur örtlichen Filiale und – je nach Tagesform – mehr oder weniger ruppigen Zurechtweisungen durch das anwesende Personal kam schließlich die Aufforderung, eine schriftliche Eingabe zu formulieren.

Die Antwort darauf kam überraschend prompt in Form eines Briefs, der (neben immerhin vier Rechtschreibfehlern allein in den ersten zwei Sätzen), die Mitteilung enthielt, man möge doch am besten beim Absender nachfragen, ob das Päckchen wieder zurück gekommen sei. Prinzipiell eine gute Idee – vorausgesetzt man weiß, wer denn der Absender war. Der Briefverkehr wurde von Seiten des Unternehmens Deutsche Post mittlerweile übrigens eingestellt. Ist wahrscheinlich für alle Beteiligten auch besser so.

Ach ja, gestern habe ich bei der Deutschen Bahn eine Sitzplatzreservierung für ein Kinderabteil im Zug nach Hamburg vom Computer aus vorgenommen. Und jetzt raten Sie mal,… Aber egal, ich will Sie nicht langweilen. Nach Hamburg fahre ich trotzdem. Allerdings mit dem Auto.

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