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(picture alliance) „Es kann doch nicht sein, dass die Geschlossenheit der Partei wichtiger ist als ideologische Klarheit.“

Henryk M. Broder - Für eine gute Pointe würde ich zum Islam übertreten

CICERO ONLINE schaut zurück auf ein Jahr voller interessanter, bewegender, nachdenklicher oder einfach schöner Texte. Zum Jahreswechsel präsentieren wir Ihnen noch einmal die meistgelesenen Artikel aus 2011. Im Juli: Er kritisiert, spitzt zu und polemisiert wie kein Zweiter – Henryk M. Broder. Mit Cicero Online spricht er über eine Kloschüssel auf dem Obersalzberg, über Mainstream und über das Phänomen des Antisemitismus in der Linken.

Herr Broder, Sie gelten gemeinhin als Provokateur. Der Feuilletonchef der FAZ – Patrick Bahners – spricht im Zusammenhang mit der Art und Weise wie Sie Kritik üben von einer „Polemik als symbolische Übersprunghandlung  einer zeitgemäßen Liberalität“. Er sieht darin eine Umwertung aller Werte als bewährtes Verfahren der Aphoristik. Und in der Tat ist ihre Polemik doch sehr speziell. Wenn Sie sich beispielsweise in ihrer TV-Sendung als Holocaust-Mahnmal-Stele verkleiden und auf eine Holocaust-Gedenkfeier gehen, schießen Sie da nicht übers Ziel hinaus?

Hat das Patrick Bahners mit diesem Beispiel illustriert?

Nein.

Zu Patrick Bahners sage ich nichts, weil ich das, was er schreibt, nicht verstehe. Und zu Dingen, die ich nicht verstehe, sage ich nichts. Was die Stele angeht: Für eine gute Pointe würde ich zum Islam übertreten. Hamed Abdel-Samad und ich fanden die Idee gut und dann sagten wir, das machen wir. In der Staffel, die wir jetzt gerade drehen, laufen Hamed und ich mit einer Kloschüssel, die wir im Baumarkt gekauft haben, auf den Obersalzberg und stellen die Schüssel dort ab, wo früher die Terrasse des Führers war. Wir fanden das beide sehr lustig. Ob es die Leute lustig finden, ist mir egal.

Kann man von einer Methode Broder sprechen? Das folgende Zitat von Ihnen bringt ihre Art der Zuspitzung und Formulierung auf den Punkt: „Ich halte Toleranz für keine Tugend, sondern für eine Schwäche – und Intoleranz für ein Gebot der Stunde.“

Ich gehe an das, was ich mache, wirklich vollkommen unschuldig heran. Es gibt Sachen, die ich nicht verstehe. Ich versuche dann, mir diese Sachen zu erklären, nähere mich ihnen und schreibe darüber. Wenn Leute darin ein Konzept sehen, ok. Ich glaube aber, ich habe keines.

Sie sagen, Sie haben kein Konzept. Schaue ich mir ihren Blog „Die Achse des Guten“ an, entdecke ich doch eines: Ein Konzept des politisch Inkorrekten.

Sie entdecken ein Konzept, ein anderer ein anderes Konzept. Das ist das Schöne an einem Konzept: Jedem das Seine.

Gegen alles vermeintlich politisch Korrekte und Gutmenschentum zu polemisieren, das ist doch, schaut man sich das Meinungsbild im Internet an, mittlerweile Mainstream.

Kann sein. Wir beabsichtigen mit der Seite „achgut“ nicht gegen oder mit dem Mainstream zu sein. Wir gehen von Fall zu Fall vor. „Achgut“ hat ein sehr weites Spektrum. Von linken Autoren bis zu konservativen Katholiken. Auch da gibt es kein festgelegtes Konzept. Wir sind einfach radikal für den Gedanken der Meinungsfreiheit, der persönlichen Verantwortung und dafür, dass Leute nicht entmündigt werden. Es macht uns riesigen Spaß, Blasen aufzustechen und zu zeigen, dass sie aus lauwarmer Luft bestehen. Das ist schon alles. Wenn das querdenkerisch ist, dann ist es querdenkerisch, und wenn es Mainstream ist, dann ist das Mainstream.

Sehen Sie nicht die Gefahr, dass diese Plattform das politisch Inkorrekte zu einem Dogma erhebt. Also genau das macht, was es den vermeintlich linken Ideologen vorwirft?

Nein, schauen Sie, wir sind ja nicht gegen den Ausstieg aus der Atomenergie, weil alle dafür sind. Meinetwegen soll der Ausstieg aus der Atomkraft vollzogen werden. Mir ist diese Technologie ja auch unheimlich. Ich bin nur dagegen, dass daraus eine pseudo-religiöse Angelegenheit gemacht wird. Ich war kürzlich auf einem Nachhaltigkeitskongress und da hat Bundesumweltminister Röttgen, der nun wirklich die größte Luftblase in diesem Kabinett ist, den Satz gesagt: „Die Regierung braucht die Unterstützung der Gesellschaft.“ Und da ich ja versehentlich in Polen aufgewachsen bin, sind bei mir sofort alle Alarmglocken angegangen. Die Regierung braucht die Unterstützung der Gesellschaft? Ich unterstütze sie, in dem ich sie alle vier Jahre wähle und alle vier Jahre wieder abwähle. Mehr können die von mir nicht verlangen.

Die Regierung ist dafür da, meinen Müll abzuholen, meinen Pass auszustellen und die Polizei zu bezahlen, die meine Sicherheit garantiert. Aber die Aussage, die Regierung will von der Gesellschaft unterstützt werden, ist eine Aufforderung an die Arbeiterbrigaden, wieder auf die Straße zu gehen, um die Fünfjahrespläne des ZK zu unterstützen. Das ist eine unglaubliche Blase und ich bin entsetzt, wenn sie niemandem auffällt, wenn die Leute nicht in Ohnmacht fallen, wenn ein Bundesminister einen solchen Einstiegskanal in eine totalitäre Zukunft aufmacht.

Schaut man sich Debatten im Internet an, die Anfeindungen denen  vermeintliche Gutmenschen ausgeliefert sind, müsste es da heute nicht heißen: Der Mutige ist der politisch Korrekte?

Schauen Sie, Mut ist eine Kategorie, die ich aus meinem Wörterbuch gestrichen habe. Es gibt in diesem Land etwa zwei Dutzend Preise für Mut, Zivilcourage und Toleranz. Das gehört alles aus dem Wörterbuch gestrichen. Hier brauchen Sie Mut, um eine Einladung zu Anne Will abzusagen. Mehr Mut braucht es in diesem Land nicht. Alles was wir machen, erfordert eine Haltung aber keinen Mut. Wenn die Leute sich gegenseitig Medaillen verleihen, dafür dass Sie mutig sind, verlasse ich sofort den Raum. Mutig sind die Demonstranten in Kairo, die sich gegen das Regime stellen. In dieser Gesellschaft brauchen Sie keinen Mut. Mir ist das nur suspekt. Je weniger Mut Sie brauchen, um etwas zu sagen, umso mehr Leute stellen Sie als Mutigen da. Das ist doch vollkommen absurd.

Mut, beziehungsweise eine Haltung, scheint dieser Tage auch der Linken zu fehlen, gegen antisemitischen Antizionismus in den eigenen Reihen vorzugehen. Sie haben bereits in den 70ern als einer der ersten zusammen mit Jean Améry auf Antisemitismus in der Linken verwiesen.

Ja, Améry war damals jemand, den ich gelesen habe. Sartres Aufsatz über die Judenfrage kannte ich jedoch zu dieser Zeit noch nicht. Hätte ich diese Schrift gekannt, hätte ich meine Version wahrscheinlich nicht geschrieben, weil Sartre das schon alles vorweggenommen und viel besser beschrieben hatte. Vieles von damals finden wir heute aber nach wie vor in der Linken. Beispielsweise halten sich große Teile der Linken per se für bessere Menschen, die für Antisemitismus nicht anfällig sind.

Ich hatte eine Debatte in den 70er Jahren mit Gerhard Zwerenz, der damals wie heute behauptete, Linke können keine Antisemiten sein. Das ist so, als wenn ich sagen würde, Juden schlagen ihre Frauen nicht, Katholiken saufen sich nicht die Hucke voll und Protestanten lügen nicht. Das ist vollkommen absurd. Aber das ist die Art, wie sich damals und heute die Linke selbst immunisiert hat.

Was hat sich seither geändert?

Ich beschrieb damals in meinem Buch „Der ewige Antisemit“ in den 80ern marginale Phänomene, von denen ich nicht mal glaubte, dass sie sich in die Mitte der Gesellschaft bewegen würden. Die Kritik an diesem Buch zielte dann auch genau darauf ab. Es wurde kritisiert, dass  ich marginale Phänomene beschreibe und sie überbewerte. Mit dem Blick zurück kann ich nur sagen: Ich habe sie noch unterschätzt.  Alles was damals marginal war, ist heute Mainstream, verkleidet sich aber nur anders.

Dahinter steckt die Erkenntnis, dass der Antisemitismus natürlich einem Wandel unterliegt. Es unterliegt alles einem Wandel. Frauen- und Fremdenfeindlichkeit heute hat eine andere Ausprägung als sie zur Zeit von Otto Weininger hatte. Die Linke aber, die sonst versucht dynamisch zu sein, beharrt darauf, dass der Antisemitismus darin besteht, dass man Juden und Jüdinnen diskriminiert. Die Weiterleitung, der Sprung zu Israel, zu Juden, die sich als Zionisten organisiert haben, zu Juden, die nicht nur eine Religion sein wollen, sondern sich national definieren, diesen Sprung schafft die Linke nicht.

Die Linke verschafft sich ein gutes Gewissen, indem sie immer noch gegen Auschwitz demonstriert, zugleich aber eine Einstaatenlösung favorisiert, die de facto die Vernichtung Israels bedeutet. Linksparteimitglied Christine Buchholz hat vor kurzem ganz klar gesagt, Boykottaufrufe und die Forderung nach einer Einstaatenlösung seien kein Antisemitismus. Dabei sind genau das die Kernbestandteile des modernen Antisemitismus.

Werfen wir einen Blick auf die Kritisierten: Gregor Gysi versucht es mit parteiinterner Autorität und initiierte einen Fraktionsbeschluss. Klaus Ernst hingegen schießt gegen die Kritiker zurück. Beispielsweise rät er dem Präsidenten des Zentralrates der Juden Dieter Graumann, nach dessen Kritik an der Linken, die „Niederungen der Parteipolitik zu verlassen“.

Ernst ist ein ehrlicher Dummkopf. Gysi ist ein hochintelligenter Heuchler, denn er weiß es besser. Ich habe mehrere Unterhaltungen mit ihm gehabt, wo er genau das artikuliert hat, was ihm heute vorgeworfen wird, eben dass es Antisemitismus in der Linken gibt. Aber um diesen maroden Laden zusammenzuhalten, will er davon nicht abrücken. Es ist erklärbar, warum gerade die Linkspartei heute zu einem Zentrum antisemitischer Argumentation geworden ist. Sie ist keine antisemitische Partei per se, weil es genug Leute gibt, die diese Meinungen nicht teilen. Aber sie hat eine zum Teil antisemitische Programmatik. Und das ist kein Zufall.

Das kommt von zweierlei: Erstens kommt es bei einer Partei, die zwischen sieben und elf Prozent hin und herpendelt auf jedes Prozent an. Und ein oder zwei Prozent Antisemiten, die sich angezogen fühlen, können für eine so kleine Partei entscheidend sein. Größere Parteien können damit rigider umgehen. Zweitens ist die Linkspartei die Verkörperung des pathologisch gesunden Gewissens. Sie sind Antifaschisten in einem Land, in dem es keinen Faschismus gibt. Sie sind heute gegen die Nazis, obwohl die Nazis heute nur noch als Kostümnazis irgendwo hinter Rostock auftreten.

Die Leute in der Linkspartei haben vergessen, dass niemand so schnell zu Nazis übergelaufen ist, wie die Kommunisten. Heute rot, morgen braun. Es ist das klassische antisemitische Motiv der 20er, 30er Jahre. Damals war der Antisemitismus der Kitt, der die Parteien zusammenhielt, sozusagen der kleinste gemeinsame Nenner. Das hat die Linke auch versucht. Einen Spagat zwischen links und rechts über das Mittel des Antisemitismus.

Jetzt muss aber doch der Linken zugutegehalten werden, dass die größten Kritiker aus der Partei selbst kommen. Angefangen mit Dietmar Bartsch, der die Vorwürfe sehr ernst nimmt, oder Bodo Ramelow, der noch einen Schritt weitergeht und die Anerkennung des israelischen Existenzrecht in das Grundsatzprogramm aufnehmen will. Ganz zu schweigen von der BAK-Shalom, ein Arbeitskreis innerhalb der Linken, der sich massiv gegen Antizionismus zur Wehr setzt.

Die größten Kritiker aus der Partei äußern sich immer dann, wenn es gar nicht mehr anders geht. Das ist der Versuch einer Schadensbegrenzung. Ich habe nicht den geringsten Zweifel an der Integrität von Ramelow, Kipping, Pau oder anderen. Nur habe ich manchmal den Verdacht, sie spielen das Spiel „good cop, bad cop“. Der eine Vernehmer ist der Brutale und der andere bringt Tee und Plätzchen. Das ist eine Form der Arbeitsteilung innerhalb der Partei.

Das Zweite ist: Wenn sie so integer sind, was machen sie dann noch in dieser Partei? Warum schwindeln sie sich ständig etwas zurecht, um in der Partei bleiben zu können. Es kann doch nicht sein, dass die Geschlossenheit der Partei wichtiger ist als ideologische Klarheit. Deswegen glaube ich nicht, dass man denen etwas zugutehalten muss. Sie versuchen sich aus einer Situation zu retten, in die sich selber gebracht haben.

Der antisemitische Antizionismus ist über die Sowjetunion, beziehungsweise über den Marxismus-Leninismus stalinistischer Prägung, über die Ostblockstaaten in die Neue Linke nach Westdeutschland gelangt. Heute kommen jedoch die größten Israel-Kritiker in der Linkspartei aus dem Westen. Wie erklären Sie das?

Ich habe keine Erklärung. Antisemitismus ist ein irres Phänomen. Es gab einen amerikanischen Richter, der ist mal gefragt worden, ob er Pornographie definieren könnte. Er antwortete: “No I can’t, but I know it, when I see it.“ Und genau das gilt auch für den Antisemitismus. 

Sehen Sie nicht die Gefahr, dass die fokussierte Diskussion über Antisemitismus in der Linken den Antisemitismus der bürgerlichen Parteien überdeckt?

Nein. Der Antisemitismus ist im Prinzip in dieser Gesellschaft vorhanden aber nicht gesellschaftsfähig. Das ist der große entscheidende Fortschritt zu früher. Mit einer antisemitischen Bemerkung stellen sie sich außerhalb des Konsens. Es gibt natürlich trotzdem weiter Antisemitismus. Der linke Antisemitismus ist deshalb so schlimm, weil er so herzig daher kommt, weil er sich seiner selbst nicht bewusst ist und weil er nicht anerkennen will, dass man das antisemitische Potential par ordre de mufti nicht aus der Luft schaffen kann. Und nachdem sich das antisemitische Potential heute nicht mehr auf den einzelnen Juden konzentrieren kann, konzentriert es sich auf das jüdische Kollektiv. Und wenn die Leute dann sagen, es sei Israelkritik, dann ist das ein weiterer Etikettenschwindel. Denn Israelkritik ist vollkommen legitim. Jeder kann, darf und soll…

… und kaum ein anderer Staat wird ja so offen und häufig kritisiert wie Israel.

Ja, Israelkritik muss weder richtig, noch begründet sein. Aber ich darf natürlich genauso die Motive der Israelkritiker hinterfragen. Ich darf fragen, warum sagt Ihr nichts zu Syrien, warum fällt Euch zu Gaddafi nichts ein? Was ist mit Nordkorea? Dieses Kaprizieren auf Juden und jetzt auf Israel ist ein typisches antisemitisches Motiv. Ich halte den linken Antisemitismus für viel schlimmer, ich würde nicht sagen gefährlicher, aber schlimmer, weil er erstens mit einem guten Gewissen daherkommt und sich zweitens politisch verbrämt hat.

Kritik verhält sich immer nach dem Verhalten des Kritisierten. In dem Fall aber hat die "Kritik" eine ganz andere Struktur. Egal was Israel macht, es macht es falsch. Das ist übrigens auch eine Analogie zum klassischen Antisemitismus. Waren die Juden reich, waren sie Ausbeuter, waren sie arm, waren sie Schmarotzer. Waren sie intelligent, waren sie überheblich. Waren sie dumm, waren sie Parasiten. Das heißt, aus der Sicht des Antisemiten kann der Jude nichts richtig machen. Und aus der Sicht des Antizionisten kann Israel nichts richtig machen. Hält es Gaza besetzt, ist es besetzt. Räumt es Gaza, dann ist es nur ein Trick, um die Besetzung mit anderen Mitteln aufrecht zu erhalten. Deshalb ist der linke Antizionismus eine vollkommen verlogene Geschichte, während der klassische bürgerliche Antisemitismus à la Möllemann und Hohmann doch relativ überschaubar ist. Da funktionieren auch die gesellschaftlichen Mechanismen komischerweise viel schneller, als beim linken Antisemitismus.

Herr Broder, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Timo Stein.

 

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