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Kleist-Preis-Gewinnerin Monika Rinck - Wo sie auftaucht, wird die Welt poetisch

Die Lyrikerin Monika Rinck ist ein Star der Szene, nun erhält sie auch den mit 20.000 Euro dotierten Kleist-Preis. Dabei steht sie exemplarisch für den Zwang der Dichter zur Vernetzung und zum Exhibitionismus. Wo wird das enden?

Autoreninfo

Sophie Dannenberg, geboren 1971, ist Schriftstellerin und lebt in Berlin. Ihr Debütroman „Das bleiche Herz der Revolution“ setzt sich kritisch mit den 68ern auseinander. Zuletzt erschien ihr Buch „Teufelsberg“

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Der Lieblingstreff von Monika Rinck ist ein Vietnamese in Berlin-Moabit, gleich um die Ecke vom Knast. Der Vietnamese war früher ein Italiener, sie weist auf die Wagenräder, die in der weiß getünchten Decke stecken, zwischen schrillen Asia-Dekos. Das ist schon mal typisch für sie, die skurrilen Details der Welt zu suchen. Es sind dann oft Begriffe, aus der Werbung, der Wissenschaft, dem Straßenverkehr, die sie sammelt und kommentiert, in ihrem www.begriffsstudio.de – „Kapern des Erhabenen“ zum Beispiel oder „die reduzierte Struktur befunkter Spucke“.

Sie lächelt, während sie spricht. Manchmal kommt der Pfälzer Akzent durch, auch wenn sie ihre Heimatstadt Zweibrücken schon lange verlassen hat, um in Bochum und dann in Berlin zu studieren: Religionswissenschaft, Geschichte und Vergleichende Literaturwissenschaft.

Deutsche Gedankenlyrik
 

Sie schätzt die sinnliche Qualität abstrakter Ausdrücke. Die Freiheit auch. „In ein Gedicht kann ich 50 Helikopter schreiben, wenn ich will. Stellen Sie sich mal vor, ein Drehbuchschreiber würde so was machen … Was ist das denn?“, ruft sie plötzlich und zeigt auf den Flachbildschirm am Ende des Raumes. Dort fährt gerade ein Auto senkrecht einen wüstenfarbenen Abgrund runter, in einer langen, langsamen Sequenz. Wo sie auftaucht, wird die Welt poetisch. Ihre Gedichte sind musikalisch, originell und hermetisch. Mal entpuppt sich ein Schaf als Windows-Schnittstelle, mal wird nach einem Taxi für einen Haubentaucher gerufen: „ich kann nicht, ich habe den taucher dabei, taub ist der für deinen hauch. eile, eile, nimm ein anderes taxi. die inversion stürzt, sie stürzt dich hinab, jetzt mach dich damit vertraut! taxi! taxi!“

Aus der Welt der verbindlichen Denksysteme hat die Rinck sich verabschiedet. Nach dem Magister 1998 war sie ein Jahr in Yale, ein Promotionsexposé zu schreiben. Aber in der Bibliothek blieb sie dauernd am Regal mit den Lyrikzeitschriften hängen. Zurück in Deutschland, lud ein Freund sie zum Lyrikkreis ein. „Ich habe aber keine Gedichte“, sagte sie. „Dann schreib halt welche“, war die Antwort.

In der Folge entstand ein viel gelobtes Werk, mit Stipendien und Preisen überhäuft, zuletzt 2013 mit dem Huchel-Preis: „Es machte mich manchmal richtig fertig und ist irgendwie auch bekloppt, dass du dich vor 50 Leute stellst, in Kolumbien in ein Bergdorf, in Bukarest in ein Bauernmuseum, und dieses durchgeknallte Zeugs vorliest, diese deutsche Gedankenlyrik. Da schämte ich mich. Als Reaktion sind die ‚Honigprotokolle‘ entstanden, als Anrufung aus Hohn und Ich.“ Im Gedichtband ringt sie um poetische Selbstbestimmung, begleitet von einem kritischen Chor: „Etwas suchen wir, Frieden vielleicht, die schläfrige Aussaat, vielleicht, dass sie keimt?“

Lyrik als Selbstzweck
 

Die Frage, ob Lyrik, die sich selbst genügt, Daseinsberechtigung hat, lässt sie nicht los. Ihr neuer Band mit Streitschriften, „Risiko und Idiotie“, beschäftigt sich mit dem Risiko der Unverständlichkeit und formuliert die Hoffnung, dass aus der „Idiotie“, der Weltferne dichterischen Schaffens, ein fruchtbares Denken entstehen möge. Immer wieder verlässt Rinck den fußnotensatten Diskurs, beschreibt den Denkvorgang: „Kommen jetzt die Kramgedanken? Keimt es? (…) Wann gelingt es denn, das Denken? Und woher kommt es, wenn es neu ist?“

Die Antwort bleibt offen; die Kostproben des eigenen „idiotischen“ Denkens wagen vor allem das Verschrobene, zu selten das Kühne. Sie hat sich nicht entschieden: Will sie produktiv reflektieren oder unverständliche Spiele spielen? Noch streitet sie nur mit sich selbst. Ob ihr Ansatz brauchbar ist, wird sich zeigen, wenn sie sich echte Gegner zutraut.

Die sind derzeit nicht in Sicht, auch nicht beim ersten Vortrag aus den Texten an der Berliner Volksbühne. Im Publikum: Männer mit Glatze und dicker Brille. Wollmützen, Hoodys, schwarze Jacken. Auf der Bühne ist Monika Rinck eine andere. Die Stimme ist tiefer, älter, die Konsonanten hallen nach. Mit ihren Kolleginnen Ann Cotten und Sabine Scho betreibt sie auch die „Rotten Kinck Schow“, wo etwa das schwarze Quadrat von Malewitsch mit einem Toastbrot nachgebastelt wird.

Falle Subkultur
 

Die aktionsreiche Vernetzung unter Dichtern ist überlebenswichtig, mit dem Schreiben allein verdienen sie nichts. Dichter müssen heute Exhibitionisten sein. So formt sich eine Subkultur, die ihrerseits die Poeten formt, sie zuweilen deformiert. Aus dem Publikum kommen schüchterne Fragen, bemüht philosophisch, man will ja mithalten. Die Wirklichkeit findet in den Abend nicht hinein.

So kommt die Sorge auf, dass die Rinck sich in der Nische ihrer Subkultur verkantet und nicht herausfindet. Denkt man an große Autorinnen wie Sylvia Plath oder Ingeborg Bachmann, wäre etwas von denen der Rinck zu wünschen. Nicht gleich das tragische Leben. Aber das sanfte Wehen des Schreckens, das den lyrischen Eros freilegen könnte.

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