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Bayerische Staatsoper

„Die Frau ohne Schatten“ - Zuckrig bis obszön

An der Bayerischen Staatsoper München hat der neue Generalmusikdirektor Kirill Petrenko sein Debüt gegeben. „Die Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss bietet schönen, schwungvollen Klang, kommt zuweilen aber schrill daher

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Hugo von Hofmannsthals Erzählung „Die Frau ohne Schatten“ ist praktisch unlesbar. Die Geschichte wiederzugeben ist unmöglich, doch die Oper, die daraus entstand, unsterblich. Richard Strauss glückte ein Meisterwerk der Musiktheatergeschichte, trotz oder wegen der abenteuerlichen Vorlage dieses lupenreinen Stücks Ästhetizismus, das von Hofmannsthal zwischen 1912 und 1919 niederschrieb. Es war jetzt der ideale Stoff für einen ganz der Kunst gewidmeten Abend an der Bayerischen Staatsoper München, zugleich das Antrittsdirigat des neuen Generalmusikdirektors Kirill Petrenko, der nach Kent Naganos glücklosem, unscharfem Intermezzo bereits zwischen den Akten wie ein verlorener Sohn beklatscht wurde. Die Rückkehr des schönen, schwungvollen Klangs zu feiern, schien tout München entschlossen.

Bekömmlich wie ein Eimer Schlagsahne


Die titelgebende Dame führt ein tränenreiches Dasein im Palast des „Kaisers der südöstlichen Inseln“. Feentochter selbst, von Geisterkönig Keikobald gezeugt, erjagte sie der menschliche Kaiser. Woraufhin sie die Fähigkeit verlor, sich in jedes beliebige Tierchen zu verwandeln. Aus Trotz, aus Schickung, aus Bedeutungshuberei büßte sie auch die Fähigkeit ein, Kinder zu gebären, wofür symbolisch der Verlust des Schattens steht. Und Symbol ist hier fast alles, weshalb die Erzählung so genießbar und so bekömmlich wird wie ein Eimer Schlagsahne, mit Zucker übergossen, in Honig gewendet, mit Sirup abgeschmeckt. Von Hofmannsthal schichtet ein „Blatt aus geglätteter Schwanenhaut“ auf „kristallene Tränen“, „sieben Fischlein“ bitten „triefäugige Vetteln“ zum Stelldichein. Dazwischen nistet große Poesie. „‚Sich an die Menschen hängen‘, murmelte die Amme, ‚heißt sich ausgießen in ein durchlöchertes Fass‘.“ Die Amme ist böse.

Am Ende wird es in München obszön. Nein, voyeuristische Affekte werden nicht bedient. Wie schon in seinem Münchner „Eugen Onegin“ von 2007 zeigt sich der polnische Regisseur Krzysztof Warlikowski als Meister der Raumbeherrschung (Bühne und Kostüme: Malgorzate Szczesniak). Er setzt klare Schwerpunkte, trennt scharf die Haupt- von den Nebenaktionen, choreografiert (gemeinsam mit Claude Bardouil) jedes Gewusel präzise und versagt uns keine stille Zweisamkeit. Wenn nach dem majestätisch aufragenden Choral „Geheiligt sei eurer Liebe Werk!“ sanfteste Streicher den Färber Barak liebkosen, ehe sie selbst sich ins Nächtliche verpuppen; wenn Harfe, Geige, Klarinette später einander leise umtanzen – dann setzt Warlikowski gegen so viel Intimität kein inszenatorisches Kraftmeiertum, flüchtet sich nicht in Ironie oder Persiflage, sondern verhilft der Musik zu ihrem Recht. Sie darf regieren.

Traumschön sind die sparsam eingesetzten und desto wirkungsvolleren filmischen Projektionen Denis Guéguins geraten, die mit einem Ausschnitt aus Alain Resnais Film „Letztes Jahr in Marienbad“ von 1961 beginnen und in den Ekstasen juveniler Pop-Art enden, mit lächelndem Buddha, kantig drohendem King Kong und überlebensgroßem Sigmund Freud – Ikonen einer im Zweiten Weltkrieg versunkenen neuen Welt. Der Bühnenraum ist, je nach geöffneter Flügelwand, eine Art „Zauberberg“-Sanatorium mit Hospital und Ballsaal, oder aber dessen untergeschossige Wäscherei, wo das Ehepaar Barak der schmutzigen Tücher und Tischdecken waltet. Hier – bei Hofmannsthal: das „Haus des Färbers, ein kahler Raum, Werkstatt und Wohnung in einem“ – soll die Kaiserin einen Schatten und also die Schwangerschaft erhalten. Obwohl oder weil auch die Färberin bisher kinderlos war. Es gelingt irgendwie. Die aus dem Bühnenhimmel herab drohende „Stimme des Falken“ unkt vergebens: „Die Frau wirft keinen Schatten, der Kaiser muss versteinen!“

Dem Blech fehlt hier und da die Balance


Musikalisch am meisten herausgefordert sind die Kaiserin (Adrianne Pieczonka) und die Färberin (Elena Pankratova), was beide trotz ihres jeweiligen Akzents bravourös meistern. Pieczonka wird zur Königin der ungemein schnell die Klangfarbe und das Tempo wechselnden Silbenläufe. Die Amme der ganz in weiß gekleideten, einen Miss-Marple-Gedächtnis-Dutt tragenden Deborah Polaski fiel da ab, wurde schnell schrill, schien am Anfang indisponiert. Herausragend dennoch ihr grimmiges Duett im dritten Akt mit dem Geisterboten (Sebastian Holecek), der die Böse bändigt. Der Kaiser selbst ist bei Johan Botha von tenoraler Schönheit, kräftigem Schmelz, wie es sein soll, aber auch von eingeschränkter Darstellungsfreude. Botha singt und steht und sitzt, spielt kaum. Im Gegensatz zum umjubelten Wolfgang Koch, dessen Barak ein rührender Proletarier ist, ein Arbeiter der Hand mit einem Herz aus Wachs. Und Kirill Petrenko? Der Mann aus Sibirien lässt das Tier im Riesenorchestergraben ebenso energisch los, wie er ein ums andere Mal beharrlich verweilt beim Pianissimo der Träume. Vielleicht fehlte dem Blech hier und da die Balance, doch heikler ist bei Strauss keine Instrumentengruppe. Wimmern und wummern soll sie, Jericho soll fallen und dann ein neuer Stern geboren werden.

Am Ende geht die „Saat des Lebens“ auf. Krzysztof Warlikowski schickt Dutzend und Aberdutzende Kinder auf die Bühne. Sie stehen erst schüchtern, drohend, raumbesitzend da, ehe sie spielen, tanzen, sich die Hand reichen, Schatten an die Wand werfen, sodass für die beiden glücklichen Paare nur ein spätbürgerlicher Eichentisch vorne rechts an der Rampe übrig bleibt, wo Sekt gereicht und huldvoll zugeprostet wird. Kinder in obszön großer Zahl – Deutschland hat die geringste Geburtenrate Europas – übernehmen das Kommando. Zurückgedrängt sind die Erwachsenen, während das C-Dur-Gebirge sich zu immer neuen Gipfeln auftürmt, „Brüder, Vertraute!“. Eine phantastische Allegorie, die schaudern macht und jubilieren, ein Bild des sich verjüngenden Menschengeschlechts am Vorabend neuer europäischer Katastrophen, für die kein Sanatorium mehr bereitstand. Wer hier so kindlich feixt, sollte bald auf das Schlachtfeld geschickt werden. Oder ist es, ganz überzeitlich, der reine Fruchtbarkeitskult, die Mutterideologie? Papperlapapp. „Hören ist Versteh‘n“, sagt die Amme einmal. Und wo sie recht hat, hat sie recht.

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