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Cicero

Frau Fried fragt sich … - … ob wir unsere Kinder zu egoistischen Strebern erziehen

Früher durfte man träumen und Soziologie studieren. Heute studiert man Wirtschaft und träumt allenfalls vom großen Geld. Die stromlinienförmige Generation Lebenslauf wird das Klima in diesem Land verändern

Autoreninfo

Amelie Fried ist Schriftstellerin und Fernsehmoderatorin. Für Cicero schreibt sie über Männer, Frauen und was das Leben sonst noch an Fragen aufwirft

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Früher war es einfacher, jung zu sein. Da freuten sich Eltern, wenn ihre Kinder überhaupt einen Schulabschluss machten, bevor sie in einer Landkommune mit dem Anbau von Marihuana begannen oder gleich nach Indien aufbrachen. Eine abgeschlossene Lehre galt als Erfolg, ein Soziologiestudium noch als anerkannter Ausbildungsweg zum krisenfesten Beruf des Taxifahrers. Irgendwie hatten alle das Zutrauen, dass über kurz oder lang etwas aus dem jungen Menschen werden würde, der seinen Weg ins Leben suchte.

Heute ist alles anders. Wer mit Anfang 20 nicht ein Spitzen-Abi, ein Auslandsjahr, jede Menge Praktika, die Kenntnis von mindestens drei Fremdsprachen und mörderischen Ehrgeiz hat, kann einpacken. Junge Erwachsene, die nach der Schule keinen präzisen Plan ihres beruflichen Werdegangs haben, gelten als Loser, und ihre Eltern diskutieren in Selbsthilfegruppen am Gartengrill, was sie bei der Erziehung falsch gemacht haben. Mit 17 Abi, mit 21 Bachelor, mit 23 Master, dann ab ins Berufsleben – dieser absurde Zeitplan wird mehr und mehr zur Normalität. Wenn’s gut läuft, kommt zwischen Abi und Studium noch ein soziales Jahr dazu, das ist für viele dann das vorerst letzte Ausscheren vor der Zielgeraden. Suchen, träumen, ausprobieren, all das ist nicht mehr vorgesehen.

Gefühlte 90 Prozent der Jugendlichen studieren heute Wirtschaftsfächer. Erfolgreich zu sein und viel Geld zu verdienen, ist ihnen das Wichtigste, und das geben sie sogar offen zu. Studien- oder Ausbildungsgänge, die nicht diesem Ziel dienen, werden mitleidig belächelt. Als ich kürzlich in größerer Runde erzählte, meine Tochter wolle soziale Arbeit studieren, fragte eine Dame aus besseren Kreisen mit gekräuselten Lippen: „Ist das denn dotiert?“ Ob diese Berufswahl meine Tochter erfüllt, weil sie lieber etwas Sinnstiftendes tun als viel Geld verdienen will, ob sie etwas für andere Menschen leisten kann – all das schien der Dame nicht von Interesse.

Mir machen diese stromlinienförmigen, angepassten, super zielstrebigen Jugendlichen, die mit Anfang 20 wissen, wo sie mit Ende 30 sein wollen und übereifrig die (tatsächlichen oder vermeintlichen) Erwartungen der Eltern erfüllen, Angst. Denn von denen werden wir in ein paar Jahren regiert. Und in einem sozialen Klima, das von ihnen geprägt wird, möchte ich nicht gern alt und hilfsbedürftig sein.

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