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Der erste Jesuit im Papstamt - Wofür steht der Orden?

Franziskus ist der erste Jesuit im Papstamt. Die katholische Ordensgemeinschaft Gesellschaft Jesu ist eine wichtige Stütze der katholischen Kirche. Doch wofür genau steht sie? Außerdem: Was hat es mit der lateinamerikanischen Befreiungstheologie auf sich?

Autoreninfo

Martin Gehlen ist Journalist und berichtet aus der arabischen Welt.

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Vor fast fünf Jahrhunderten schwor Ordensstifter Ignatius von Loyola dem Papsttum speziellen Gehorsam. Jetzt bekleidet erstmals ein Jesuit das höchste Amt der katholischen Kirche. Am 15. August 1534 von einem Freundeskreis um den ehemaligen baskischen Ritter in Paris gegründet, entwickelt sich der Jesuitenorden mit seiner Spiritualität und Disziplin sowie seinem anspruchvollen Bildungsideal rasch zu einem Rückgrat der Kirche. Er war wichtigster Träger der Gegenreformation und Motor der katholischen Mission in Asien, Indien und Amerika.

Denn Ignatius war als Zeitgenosse Martin Luthers der erste Kirchenmann der Neuzeit, der die durch die Reformation aufgekommene Individualität produktiv in die katholische Kirche einzubinden verstand.

Seine Meditationsübungen fördern in der Suche nach Glauben die Innenschau des Einzelnen, seine Kräfte des Herzens jenseits des Rationalen. Der Mensch soll in seine tiefsten Schichten hineintauchen, auf seine Reaktionen achten und die Herkunft aufsteigender Stimmungen deuten lernen. Erst wenn sich in diesem Prozess keine innere Klarheit einstellt, kommt die Vernunft ins Spiel.

Dann sollten die Erfahrungen durch ruhige Überlegung oder Gespräche mit anderen überprüft werden. Durch diesen Spannungsbogen zwischen innen und außen, Subjektivität und Rückkopplung an andere spielten die Jesuiten beim Weg der Kirche in die Moderne geistesgeschichtlich eine Schlüsselrolle. In den Ordensregeln ist diese totale Freisetzung des Einzelnen für seine subjektiv-gläubige Innenschau dann auch untrennbar gekoppelt mit einem bedingungslosen Gehorsam gegenüber Ordensleitung und Papst.

Mit dieser spirituellen Prägung verstehen sich die Jesuiten als Vorposten der Kirche in der Gesellschaft. Sie tragen keine Ordenskleidung und behalten ihre bürgerlichen Namen. Ihre Mitglieder leben allein oder in kleineren Gemeinschaften. In der Seelsorge arbeiten sie oft ganz bewusst auf sich gestellt – in Schulen und Universitäten, in der Begleitung von Exerzitien, bei der Sozial- und Flüchtlingsarbeit sowie im interreligiösen Dialog. Die meisten Ordensangehörigen haben eine weltliche Ausbildung und obendrein ein Studium der Theologie. Und genauso, wie sie in ihren Meditationsübungen allen Winkeln des Seelenlebens nachspüren, sollen sie auch in der sozialen Realität in jenen Winkeln präsent sein, in die die Gemeindepastoral in der Regel nicht hinreicht – so das Ideal des Ordens. Weltweit gehören ihm momentan 17630 Jesuiten an. Vor 25 Jahren waren es noch doppelt so viele, das Durchschnittsalter liegt heute bei 58 Jahren. In 125 Ländern sind Jesuiten tätig. Ihre Zentrale mit dem Ordensgeneral an der Spitze steht in Rom – nur einige hundert Meter vom Petersplatz entfernt.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, was es mit der Befreiungstheologie auf sich hat

Befreiungstheologie: Priester im Widerstand

Die Befreiungstheologie entstand in den siebziger Jahren in Lateinamerika, der Begriff geht zurück auf ein Buch des peruanischen Theologen Gustavo Gutierrez von 1971. Vom Vatikan wurde diese neue Richtung unter dem Pontifikat von Johannes Paul II. und seinem damaligen Glaubenspräfekten Joseph Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt XVI., von Anfang an kompromisslos bekämpft. Heute, vier Jahrzehnte später, haben praktisch alle prominenten Theologen resigniert, wurden als Professoren von den kirchlichen Hochschulen entfernt oder sind wie Leonardo Boff aus dem Priesteramt ausgeschieden.

Die brasilianischen Diözesen von Sao Paolo und Recife der beiden Vorreiterbischöfe Paulo Evaristo Arns und Don Helder Camara wurden mit erzkonservativen Nachfolgern besetzt. Die Befreiungstheologie versteht sich als „Stimme der Armen“ und will zu deren Befreiung aus Ausbeutung, Entrechtung und Unterdrückung beitragen. Sie vertritt das Konzept der „sozialen Sünde“ und damit dezidiert den Standpunkt, dass es für die Kirche bei schweren Missständen nicht reicht, an das individuelle moralische Gewissen der Mächtigen und Reichen zu appellieren. Zudem stellten sich die Befreiungstheologen offen gegen die damals in Südamerika verbreiteten diktatorischen Regime, was zahlreiche Geistliche das Leben kostete. Bekanntestes Opfer war Oscar Romero, der 1980 ermordete Erzbischof von El Salvador.

Der neue Papst Jorge Mario Bergoglio verstand sich zwar als „Bischof der Armen“, zur Befreiungstheologie aber hielt er Distanz. Trotzdem forderte er mehr soziale Gerechtigkeit, legte sich mit den neoliberalen Eliten in Wirtschaft und Politik an und geißelte deren Korruption und Verschwendung. An Wochenenden sah man ihn oft zu Besuch bei Gemeinden in den Elendssiedlungen von Buenos Aires. Eine politische Rolle für Priester lehnte er ab.

Die Befreiungstheologie dagegen versteht Erlösung als Zentralbegriff der christlichen Botschaft nicht allein spirituell, sondern als sozialpolitisch-revolutionäre Umwälzung. Das Heil, das die Bibel verkündet, wurde nicht allein auf das Jenseits bezogen, sondern auch auf die konkrete soziale Realität im Diesseits. Konkret schwebte vielen Anhängern eine sozialistische Wirtschaftsordnung vor, durchwirkt mit zahlreichen basisdemokratischen Elementen.

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