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Joachim Gern

Luise Helm - Sie ist die deutsche Stimme von Scarlett Johansson

Sie könnten auch Cousinen sein: Luise Helm ist die Synchronstimme von Hollywood-Star Scarlett Johansson. In ihrem jüngsten Kinofilm „Her“ spielte Helm die Hauptrolle, war aber nie zu sehen. Wie ist es, wenn Aussehen nichts und Stimme alles ist? Ein Porträt

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Bergmann, Lena

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Niemals schließt Luise Helm beim Synchronisieren die Augen. Sie darf keine Geste verpassen, muss jede Sekunde an der Schauspielerin dran sein. Sie muss Bewegungen studieren, Gestus und Lippen im Blick haben. Nur so kann sie die Emotionen verstehen, die Anspannung spüren. Und natürlich muss sie immer wieder die Stimme hören, der sie ein Leben im Deutschen verleihen wird. „Ich krieche in diese Körper hinein“, sagt Luise Helm.

Die gebürtige Ostberlinerin, 31 Jahre alt, ist Schauspielerin. „Das Synchronisieren“, sagt sie, „ist nur eine Facette des Berufs, genau wie das Hörbuch-Sprechen.“ Wenn Luise Helm im Studio vor dem Mikrofon steht „in einem unheimlich abstrakten Raum mit geringem Bewegungsradius“, überträgt sie das, was die Darstellerin auf der Leinwand erlebt, präzise in die deutsche Sprache: Einatmer auf Einatmer, Ausatmer auf Ausatmer, Lacher auf Lacher.

[video:Deutscher Trailer: „Her“]

Seit Woody Allens „Matchpoint“ aus dem Jahr 2005 ist sie die deutsche Synchronstimme von Scarlett Johansson. Johanssons Stimme ist nicht irgendeine Stimme. Aus ihr klingt die fröhliche, opulente Sexyness der amerikanischen Blondine, wie man sie seit Marylin Monroe auf der Leinwand nicht mehr gesehen hat. Johanssons Stimme ist ein tiefes Hauchen, frivol und doch herzlich und mädchenhaft. „Auch Scarlett klingt nicht immer gleich“, sagt Helm, die wie deren zensierte, jüngere Version aussieht. Sie könnte eine deutsche Cousine sein.

Verliebt in ein Betriebssystem


Ob die Person rennt, schwimmt oder Sex hat: All das muss Luise Helm in ihre Stimme legen. Wenn die Darstellerin liegt, spricht auch Helm ihren Text liegend, wenn sie sitzt, spielt Luise Helm im Sitzen. Und wenn die Filmfigur außer Atem ist, rennt sie auf der Stelle, „weil die Stimme dann ganz anders aus dem Körper kommt.“ Doch was ist, wenn die Hauptfigur, wie in „Her“, nicht zu sehen ist? Wenn ihr das Körperliche fehlt, in das man hineinkriechen kann? Wenn die Rolle nur aus Stimme besteht?

Einen ganzen Film von einer Stimme tragen zu lassen, war die kühne Idee von Regisseur Spike Jonze, der für „Her“ mit dem Oskar für das beste Originaldrehbuch prämiert wurde. Sein in der frühen Zukunft verorteter Protagonist Theodore Twombly, gespielt von Joaquin Phoenix, ist ein von der Liebe desillusionierter und von der Scheidung gebeutelter Texter für Liebesbriefe. Einsam und emotional unterstimuliert verliebt er sich in „Samantha“, das neue Betriebssystem seines Rechners.

Dies klingt gruselig, erscheint in diesem Film jedoch verstörend natürlich. Samantha hat eine komplexe Persönlichkeit, ist neugierig und intuitiv, hat Humor und erotische Fantasien. Im Smartphone in der Brusttasche begleitet sie Twombly durch den Tag, abends säuselt sie ihm vom Nachttisch aus Sanftheiten ins Ohr.

Die Stimme spiegelt die Persönlichkeit, das akustische Erscheinungsbild ist ähnlich bedeutend wie das optische. Die Menschen kleiden, schminken und parfümieren sich, die ganze Schönheitsindustrie basiert darauf. Aber wenn die Stimme als unangenehm wahrgenommen wird, nutzt das wenig. Umgekehrt kann die Stimme eine ganze Persönlichkeit transportieren – das lehrt dieser Film.

Wie schwierig es war, eine Schauspielerin zu finden, deren Stimme Samantha diese Präsenz verleihen konnte, zeigt die Tatsache, dass der Regisseur seine ursprüngliche Besetzung nach dem Dreh des Filmes durch Johansson ersetzte. Die Produktionsfirma Warner Brothers wollte auch bei der deutschen Synchronisation sichergehen. Obwohl Helm die deutsche Stimme von Johansson ist, musste sie sich für „Her“ gegen andere Vorsprecherinnen durchsetzen.

In Mikrofone hat Helm gesprochen, bevor sie lesen konnte. Als sie fünf Jahre alt war, nahm sie der Vater, ebenfalls Synchronsprecher, mit ins Studio. „Wenn eine Kinderstimme gesucht wurde, war ich dran.“ Seit sie zehn ist, steht sie auch vor der Kamera, obwohl sie keine Ausbildung absolvierte. Als Schauspielerin wird sie noch heute oft als junges Mädchen gecastet. Großen Respekt hat sie sich als Sprecherin erarbeitet.

„How would you touch me?“


Bescheiden erklärt sie dies mit über 25 Jahren Erfahrung. „Es geht um Rhythmus und Melodie – da bin ich ganz gut drin“, sagt sie. Die Synchronisierung von „Her“ hat sie sitzend gespielt. „Es besteht permanent Nähe und Intimität zwischen den beiden“, sagt sie. So stand das Mikrofon auch näher an ihrem Mund als sonst. „Weil es kein Gesicht gab, das ich hätte lesen können, war ich mehr bei mir selbst“, so erklärt es Helm.

Ein Satz aus „Her“ ist ihr extrem wichtig. Nachdem Theodore bekennt: „I wish I could touch you“, fragt Samantha zurück: „How would you touch me?“ Das sei der Moment, in dem die Maschine erstmals ein Bedürfnis artikuliere und menschlich werde. „Wie würdest du mich berühren? Wie würdest du mich berühren? Wie würdest du mich berühren?“ Im Interview spricht Luise Helm den Satz dreimal. Je nach Betonung klingt er mal verführerisch, mal distanziert, mal unsicher, mal überwiegt die Neugierde, mal der Schalk. Jetzt hat sie die Augen geschlossen.

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