Fotografie - Fehlfarbige Filmhelden regieren diese Welt

Stefanie Schneiders Foto-Band "Stranger than Paradise"

«I’ve come to look for America» – so besangen Simon and Garfunkel einst eine Busreise durch den Kontinent. Auch wenn uns die Einreisebeamten einen anderen Eindruck vermitteln: Die USA wollen erobert werden. Die Essener Folkwang-Schülerin Stefanie Schneider ist in den neunziger Jahren wie viele Fotografinnen und Fotografen vor und nach ihr mit der Kamera nach Kalifornien gekommen, um Bilder zu sammeln, die sie schon kannte. Leuchtende Motelzeichen, öde Wüstenlandschaften, hübsche junge Leute in verwahrlosten Vororten. Es ist der Lockruf der Kinobilder, der immer wieder solche Reisen motiviert. Die Erfahrung, dass man diese Bilder tatsächlich begehen kann, ja, dass man unwillkürlich Kino spielt in den realen Kulissen, ist leicht zu machen. Schwer ist es dagegen, von diesem fotografisch so abgegrasten Land noch ein neues Bild zu schießen.

Stefanie Schneider beginnt mit einem technischen Trick. Sie benutzt abgelaufene Polaroidfilme, eine originär amerikanische Erfindung, die neu gekauft leider eine teure Angelegen­heit ist. Von der digitalen Konkurrenz an Schnelligkeit längst übertrof­fen, ist das Sofort­bild eine sterbende Kunstform. Das verdorbene Material allerdings hat eine besondere Eigenschaft: Es kann das Heute ins Ges­tern verwandeln. So entstehen rätselhafte, undatierbare Dokumente. Die Patina der Fehlfarben erinnert an vergilbte Urlaubsfotos und mehr noch an schlecht konservierte Hollywoodfilme vergangener Jahrzehnte. Dieser Look allein macht natürlich noch kein Foto.

Stefanie Schneider inszeniert imaginäre Filme. Die Titel der Serien ihrer auf Großformate kopierten Polaroid-Positive stiehlt sie aus der Liste ihrer Lieblingsfilme: «Red Desert», «Zabriskie Point» oder «The Last Picture Show». Zwar bleiben die meisten der Bilder dem Genre des Road Movie verbunden, einmal meint man sogar Ridley Scotts tragischem Ausbrecherinnenpaar Thelma und Louise wieder zu begegnen. Den Stil der Filme aber kopiert die Fotografin nie. Jim Jarmuschs «Stranger than Paradise», nach dem ihre aktueller Fotoband benannt ist, ist in hartem Schwarzweiß aufgenommen. Schneiders milchig-blasse Mischfarben sind dagegen sanft wie ein nicht ganz nüchterner Tagtraum.

Zwei Jahrzehnte vor ihr hat sich Wim Wenders auf ähnliche Reisen begeben. Lange taten sich die Amerikaner schwer, seine Sicht auf ihre eigene Mythologie zu akzeptieren. Heute verehren sie ihn wie einen Propheten. Stefanie Schneider muss eine kontaktfreudigere Reisende gewesen sein. Jedenfalls lernte sie bereits 1996 einen künfti­gen Hollywood-Regisseur kennen: Marc Forster, der ursprünglich aus Ulm stammt, gilt seit seinem mit dem Goldenen Bären ausgezeichne­ten Melodram «Monster’s Ball» als ein Erneuerer des emotionalen Kinos. Für seinen aktuellen Film «Stay» lud er Stefanie Schneider ein, das visuelle Design zu gestalten. Die Bilder der gelernten Cutterin sind aber auch ganz direkt in den Film geflossen: So fertigte sie alle Fotos der von Naomi Watts gespielten Kunstdozentin an, die sich in einem Labyrinth aus Zeit und Raum wiederfindet. Es ist eine Reise zwischen Leben und Tod, auf die sie ihr todessehnsüchtiger Gefährte Ewan McGregor einlädt. Diese Reiseroute haben Schneiders zerlaufende Emulsionen schon lange eingeschlagen. Dass sie mit ihrer Arbeit nun nicht mehr dem Kino folgt, sondern das Kino ihr, ist dabei eine schöne Pointe. Sind doch beide Medien oft verdächtigt worden, auf ihre Weise dem Tod über die Schulter zu schauen.   

 

Stefanie Schneider
Stranger than Paradise
Hatje Cantz, Ostfildern-Ruit 2006. 199 S., 35 €

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