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Euro- und Flüchtlingskrise - Der steinige Weg zu einem vereinten Europa

Angela Merkel machte den Euro einst zum Lackmustest einer europäischen Schicksalsgemeinschaft. Die Flüchtlingsfrage aber zeigt, dass es dieser Gemeinschaft vor allem an Solidarität fehlt. Europa bleibt eine unvollendete Erzählung mit immer ungewisserem Ausgang

Alexander Marguier

Autoreninfo

Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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„Scheitert der Euro, dann scheitert Europa.“ Dieser Satz ist noch in guter Erinnerung, obwohl es schon mehr als fünf Jahre her ist, dass Angela Merkel ihn aussprach. Es war, genauer gesagt, am Mittwoch, dem 19. Mai 2010 während einer Bundestagssitzung, die sich den „Maßnahmen zur Stabilisierung des Euro“ und damit einem „Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus“ widmete. Der Bundeskanzlerin wurde damals vorgeworfen, sie reduziere die europäische Idee auf eine Gemeinschaftswährung, obwohl Merkel damals auch Folgendes sagte: „Es geht um viel mehr als um eine Währung. Die Währungsunion ist eine Schicksalsgemeinschaft. Es geht deshalb um nicht mehr und nicht weniger als um die Bewahrung und Bewährung der europäischen Idee.“

Euro als Lackmustest für Europa
 

Nun könnte man argumentieren, dass auch mit dieser – weitergefassten – Aussage die Zukunft unseres Kontinents in Abhängigkeit an das Überleben eines Zahlungsmittels mit dem gleichen Namen gesetzt wurde. Aber wer die Rede der Bundeskanzlerin heute noch einmal nachliest, der wird schnell merken: Es ging ihr auch vor fünf Jahren schon um mehr als nur um den Euro. Denn sie ahnte: Wenn die Mitgliedstaaten nicht einmal die Kraft aufbringen, ihre Gemeinschaftswährung am Leben zu erhalten, dann werden sie bei allen nach- oder vorgeordneten Fragen ebenfalls scheitern: der Euro als Lackmustest für Europa. Dies so unverblümt auszusprechen, war eine Wette mit sehr hohem Einsatz – insbesondere für eine Frau vom Naturell Angela Merkels, die bekanntlich ungern alles auf eine Karte setzt.

Im Spätsommer des Jahres 2015 existiert der Euro immer noch. Manche werden sagen: Das ändert nichts an seinem Scheitern. Allerdings sind zwischenzeitlich mit Lettland, Estland und Litauen drei weitere Länder der Eurozone beigetreten, die nicht im Ruf stehen, eine Lebensart des Fünfe-gerade-sein-lassens zu pflegen. Im Gegenteil. Man könnte also mit gutem Grund festhalten, dass die gemeinschaftliche Währung seit Merkels berühmtem Diktum „nördlicher“ geworden sei. Und zwar nicht nur geographisch, sondern durchaus auch im Sinne einer „neuen Stabilitätskultur“, wie sie von der deutschen Bundeskanzlerin am 19. Mai 2010 übrigens wortwörtlich eingefordert wurde. Sie hat sich damit weitgehend durchgesetzt. Ob das ausreichen wird, um nicht nur den Euro am Leben zu erhalten, sondern um auch Europa endlich wieder Wachstumsperspektiven zu eröffnen, ist dabei die große Frage. In fünf Jahren wissen wir es genauer.

Flüchtlingsfrage legt fehlende Solidarität offen
 

Was wir aber heute schon mit Gewissheit sagen können: Europa kann sogar dann scheitern, wenn der Euro bleibt. Es wäre nämlich ein großes Missverständnis, die Worte Angela Merkels dahin zu interpretieren, dass nur die Gemeinschaftswährung gerettet werden bräuchte, damit auch unser Kontinent auf der sicheren Seite des Weltgeschehens stehe – zumal Europa ja bekanntlich nicht nur aus EU und Eurozone besteht, sondern eben auch aus „failed states“ wie dem Kosovo, Bosnien-Herzegowina, Albanien oder der Ukraine. Solange darüber gestritten werden kann, ob solche Länder in unserer Nachbarschaft überhaupt als „sichere Herkunftsstaaten“ zu gelten haben oder nicht, bleibt die vielbeschworene europäische Erfolgsgeschichte eine unvollendete Erzählung mit immer ungewisserem Ausgang.

Fakt ist: Der Euro wurde mit viel Geld und noch mehr Aufwand bis auf weiteres stabilisiert. Und trotzdem erscheint Europa als Lebensraum heute instabiler denn je. Wie weit es mit der europäischen Solidarität her ist, zeigt sich jeden Tag aufs Neue beim Umgang der einzelnen Länder mit den Flüchtlingsströmen. Es kann nicht sein, dass sich Polen, Briten oder Balten ihrer Verantwortung entziehen. Oder besser gesagt: Es kann offenbar eben doch sein. Und so lange das so sein kann, ohne dass es so sein dürfte, ist es mit der europäischen Idee nicht weit her. Von einem Scheitern muss man deshalb zwar noch nicht gleich sprechen. Aber der Euro allein ist eben auch nicht konstitutiv für die von Angela Merkel ausgerufene „Schicksalsgemeinschaft“.

„Der Weg nach einem vereinten Europa hat sich in den letzten zwölf Monaten als besonders steinig, schwer und mühevoll gezeigt. Aber das darf uns nicht enttäuschen und wird uns nicht enttäuschen, denn alle Wege zu wirklich großen Zielen sind schwer. Wir wollen uns nicht irre machen lassen, sondern unerschüttert und unerschütterlich weitergehen, immer näher miteinander in Einklang kommen, die Missverständnisse aufklären und beseitigen, auf allen Seiten Opfer bringen unter dem größeren Gesichtspunkt eines europäischen Ganzen.“ So sprach kein anderer als Konrad Adenauer, als ihm am 27. Mai 1954 in Aachen der Karlspreis verliehen wurde. Mehr als 61 Jahre ist das jetzt her, fast ein ganzes Lebensalter. Und dennoch so gültig wie am ersten Tag.

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