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Esoteriker und Impfgegner - Immun gegen die Wissenschaft

Kolumne: Grauzone. Die Lehrerin schwingt das Pendel, der Manager rennt zum Guru, der IT-Fachmann liest Bücher über morphische Felder. Das alles spielt sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts ab, über 250 Jahre nach Beginn der Aufklärung. Und es betrifft zumeist Angehörige bildungsnaher Gesellschaftsgruppen

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Kritik ist der Anfang aller Aufklärung. Deshalb sind wir so stolz auf unser kritisches Bewusstsein. Und deshalb schulen wir das kritische Denken unserer Kinder.

Doch Aufklärung ist eben nicht nur Kritik. Aufklärung bedeutet immer auch Bejahung, Bekenntnis und Zustimmung: zur wissenschaftlichen Rationalität etwa, zu den Methoden der Naturwissenschaften, zu einem wissenschaftlich fundierten Weltbild. Eine Aufklärung, die sich in Kritik erschöpfen würde, wäre keine Aufklärung, sondern lediglich eine andere Form von Borniertheit.

Irrsinn im Namen der Aufklärung
 

Aufklärung pendelt daher immer zwischen zwei Polen. Einerseits muss sie an dem Erklärungsanspruch wissenschaftlicher Rationalität festhalten, ohne dabei in Dogmatismus zu verfallen. Zugleich muss sie kritische Distanz wahren, ohne dabei zu einem blinden Kritizismus zu verkommen. Aufklärung ist ein kompliziertes Geschäft.

Und so ist es kein Wunder, dass unter dem Fähnchen der Aufklärung allerlei Irrsinn segelt: Da gibt es etwa die allseits beliebten Verschwörungstheoretiker, die hinter allem, was ihnen erklärungswürdig erscheint, eine allgewaltige Macht vermuten: den Mossad, die CIA, die Banken, die Rüstungslobby, die Pharmaindustrie – am besten alle zusammen.

Noch verbreiteter als der Glaube an die dunklen Machenschaften obskurer Mächte sind jedoch pseudowissenschaftliche Überzeugungen. Da ist man sich sicher, dass Außerirdische Einfluss auf unserem Planeten nehmen, dass Nahtoderlebnisse ein Leben nach dem Tod beweisen, da glaubt man an Telepathie und Präkognition. Naturheilkunde, Homöopathie und alternative Medizin erfreuen sich größter Beliebtheit. Man schwört auf die Heilkraft von Magnetbändchen und Heilsteinen, fürchtet sich vor Elektrosmog und Erdstrahlen, und angeblich seriöse Konzerne richten Feng-Shui-Büros ein, um die Energien im Raum besser zu lenken.

Das alles spielt sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts und über 250 Jahre nach Beginn der Aufklärung ab. Und bezeichnenderweise sind es zumeist Angehörige bildungsnaher Gesellschaftsgruppen, die diesem Unsinn anhängen. Da schwingt die Lehrerin das Pendel, der Manager rennt zu seinem Guru, der IT-Fachmann liest Bücher über morphische Felder und der Ingenieur bekämpft seine Krebserkrankung mit einer Misteltherapie.

Überzogene Skepsis gegenüber Autoritäten
 

Woher dieser Irrsinn? Wie kommt es, dass halbwegs gebildete Menschen diesen Humbug ernst nehmen? Und woher die verbreitete Skepsis, ja Feindschaft gegenüber den Wissenschaften?

Eine nahe liegende Erklärung: Sehnsucht nach Wärme und Geborgenheit. Die Realität, so wie sie die Wissenschaften zeichnet, ist kühl, seelenlos und abweisend. Wie viel wärmer hingegen ist da die re-spiritualisierte Welt der Esoterik, mit ihren Energien, Strömen und Kräutern, dem „alten Wissen,“ das so viel Geborgenheit verspricht.

Eine weitere Möglichkeit: Das Konzept von Wissenschaftlichkeit selbst ist in Verruf geraten - insbesondere bei vielen sich kritisch wähnenden Akademikern. Viele Studenten geisteswissenschaftlicher Fächer verlassen die Universität mit der diffusen Überzeugung, Diskurse seien letztlich relativ und Ansprüche auf wissenschaftliche Wahrheit ohnehin nur Ausdruck eines eurozentrischen Machtstrebens.

Hinzu kommt: Die funktionale Ausdifferenzierung unserer Arbeitswelt hat ein hoch spezialisiertes Expertentum hervorgebracht. Gerade die alltägliche Erfahrung, ein anerkannter Spezialist zu sein, erweckt in vielen Menschen das Gefühl einer umfassenden Kompetenz. Zusammen mit dem antiautoritären Zeitgeist führt das zu einer überzogenen Skepsis gegenüber Autoritäten aus anderen Wissensgebieten: insbesondere gegenüber Ärzten und Naturwissenschaftlern.

Das Hauptmotiv für den modernen Aberglauben liegt allerdings woanders. Das wird insbesondere an der tief sitzenden Impfskepsis deutlich, die in dieser Woche Berlin fast 70 neue Masernfälle bescherte – 637 in dieser Saison insgesamt.

Die Impfgegner
 

Die Argumenten der Impfgegner lassen sich in zwei Gruppen einteilen: Da sind zunächst die Einwände, die sich erst gar nicht die Mühe machen, Wissenschaftlichkeit zu suggerieren: an den Impfungen würde sowie nur die Pharmaindustrie verdienen, und außerdem seien Krankheiten wichtig für die natürliche Entwicklung des Kindes.

Diese Mischung aus Kapitalismuskritik, Wissenschaftsfeindlichkeit und Naturkitsch zeigt, dass es hier nicht um eine wissenschaftliche Einschätzung geht, sondern um ein Lebensgefühl, eine Ersatzreligion.

Und auch die scheinbar wissenschaftlich daherkommenden Argumente sind im Kern quasireligiös: Etwa die Behauptung, Impfungen würden Autismus verursachen oder Multiple Sklerose. Würden diese Einwände auf wissenschaftlichen Überlegungen beruhen, könnte man sie leicht aus dem Weg räumen. Das kann man aber nicht, im Gegenteil.

Eindrucksvoll gezeigt haben das die beiden Politologen Brendan Nyhan und Jason Reifler. Denen gelang es mithilfe wissenschaftlicher Argumente zunächst, Impfgegner davon zu überzeugen, dass ihre Ansichten falsch sind. Doch diese Einsicht führte nicht dazu, dass die Impfgegner ihre Haltung aufgaben. Sie radikalisierte sich häufig sogar noch.

Mit anderen Worten: Vielen Impfgegner geht es nicht um rationale Argumente. Es geht ihnen um die Verteidigung ihrer Weltsicht. Und diese Weltsicht ist vollkommen immun gegen jeden wissenschaftlichen Einwand, sie ist ein Glaube, eine Religion. Denn Religionen sind nun einmal nicht evidenzbasiert.

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