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(picture alliance) Gezielt, böswillig und voller Freude traten die Jugendlichen der Musikindustrie in den Hintern

Filmemacher Tom Bohn - „Es ist an der Zeit, demütig zu sein“

Statt laut nach einem härteren Urheberrecht zu rufen, sollten die Künstler sich wieder mehr für ihr Publikum interessieren, schreibt Tom Bohn. Der Autor, Regisseur und Produzent trat vor einem Jahr der Piratenpartei bei. In einem Beitrag für Cicero Online mahnt Bohn mehr Bescheidenheit an

Das Internet gibt es seit knapp zwanzig Jahren, die mit ihm verbundenen Möglichkeiten werden seit mindestens zehn Jahren öffentlich diskutiert, seit sechs Jahren gibt es die Piratenpartei. Die Beschwerden einiger Urheber und Künstler hingegen nehmen wir erst seit zwei Monaten wahr.

Jeder, der sich nur ansatzweise im Web auskennt, fragt sich irritiert, was das späte Lamentieren soll. „Haben deine Kollegen zehn Jahre lang geschlafen?“ fragte mich ein Parteifreund ungläubig beim letzten Piratentreffen.

Geschlafen haben nicht nur wir Künstler und Kreativen, sondern auch die Verwertungsindustrie. Wie sagt man so schön: „Sehenden Auges in die Katastrophe“? Denn zu sehen gab es viel in den letzten zwei Jahrzehnten.

Vor etwas mehr als zehn Jahren hat das Internet die Musikindustrie durchgeschüttelt, weil viele damalige Musikmanager den Mechanismus der Tauschbörsen völlig unterschätzt haben. Da wurde die bei den Endverbrauchern sehr beliebte Tauschbörse Napster rigoros ausgeknipst, anstatt sie vorsichtig als alternatives Geschäftsmodell in die Verwertungskette zu integrieren. Und dann wurde sich gewundert, dass es auf einmal zehn neue Tauschbörsen gab, die so illegal operierten, dass man sie nicht mehr ausschalten konnte.

Was dann folgte, sah jeder: Der jugendliche Verbraucher trat die Musikindustrie in den Hintern. Gezielt, böswillig und voller Freude. Teilweise zu Recht, wie ich finde, denn ich kann mich nur zu gut daran erinnern, wie auch ich als Verbraucher regelmäßig abgegriffen wurde.

Schon damals gab es beim Film Medienmanager, die wussten: „Wenn wir nicht aufpassen, sind wir die Nächsten“. Leider waren es nicht genug. Und es gab bei vielen Filmschaffenden die Befürchtung: „Wir gehen da genauso baden wie die Kollegen der Musikindustrie!“ Genau so ist es gekommen. Unsere Branche steht heute fassungslos mitten in der digitalen Revolution und beginnt zu ahnen, dass in fünf Jahren wenig noch so sein wird wie heute.

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In einer unfassbaren Fehleinschätzung der Lage wurden noch vor drei Jahren die meist jugendlichen Filesharer gezielt kriminalisiert. Die damals in den Kinos ausgestrahlten Spots und aufgehängten Plakate mit Knast-Atmo haben zwar Angst und Schrecken verbreitet, allerdings eher unter den Kreativen, die sich auf einmal in einer sehr seltsamen Beziehung zu ihrem potenziellen Publikum wiederfanden.

Dann wurde von Medienindustrie und Politik heimlich an der ACTA-Gesetzgebung herum-geschraubt, die einen weltweiten Befreiungsschlag einläuten sollte. Gegen was eigentlich? Gegen die Zukunft? Seitdem die Proteste der Straße zu groß werden, wird ACTA hinterfragt. „Hinterfragen“ in der Politik heißt: Es wird wohl auf Eis gelegt. Nächster Versuch: Künstler an die Front. Das Motto: „Empört Euch!“ Gibt es unter meinen Kollegen wirklich einen Einzigen, der glaubt, dass diese von der Industrie initiierte Nummer von unserem Publikum nicht durchschaut wird?

Seite 2: Was können wir Kreativen tun, um uns und unsere Arbeiten auch zukünftig zu schützen?

Ich habe mich in den letzten Tagen oft gefragt, wie die Lage beim Urheberrecht heute aussehen würde, wenn sich die Kreativen bereits vor fünf Jahren zu Wort gemeldet hätten. Wenn es diese unsägliche Kriminalisierungskampagne nicht gegeben hätte und ACTA vielleicht der Name eines neuen Ordners aus dem Hause Leitz geworden wäre. Wenn Spots gedreht und breitenwirksam gezeigt worden wären, die die Urheber ruhig und sachlich zu Wort hätten kommen lassen. Wenn man sich nicht dem heute leider üblichen Alarmismus, sondern den Fakten verschrieben hätte. Wenn man bei unserem Publikum angeklopft und von Anfang an ein paar Dinge gerade gerückt hätte. Höflich, aber bestimmt. Der nun angestrebte Dialog mit dem Publikum wäre längst in Gang gekommen und würde Früchte tragen.

Heute steht unsere Branche vor einer ungeheuren Herausforderung, die strategisches, modernes Denken erfordert. Das Aufzählen von angeblichen Ungerechtigkeiten verschleiert da nur den Blick in die Zukunft.

Was können wir Kreativen tun, um uns und unsere Arbeiten auch zukünftig zu schützen? Wie finden wir wieder Akzeptanz bei unserem Publikum? Wie verbitten wir uns erfolgreich den Diebstahl unseres geistigen Eigentums? Wie können wir das Urheberrecht fit für die Zukunft machen? Diese Fragen gilt es konstruktiv zu beantworten. Und zwar in Zusammenarbeit mit der uns zunehmend unbekannten Größe, die uns letztendlich am Leben erhält: dem Publikum.

Zunächst einmal, so denke ich, sollte man Abschied nehmen. Und zwar von der Vorstellung, dass es in den Medien für uns Etablierte auch in Zukunft viel Geld zu verdienen gibt. Das wird in der Regel nicht möglich sein. Man wird also in Zukunft mehr und weitläufiger schreiben, produzieren und inszenieren müssen, um das Geld zu verdienen, was man gestern noch für ein Projekt bekam. Das ist nicht nur die Schuld von Filesharern. Es ist auch ein Zeichen der strukturellen Krise, in der wir uns einerseits durch die Digitalisierung und andererseits durch gravierendes Missmanagement im TV-Bereich befinden.

Was weiter ins Auge fällt: das moderne Publikum lässt sich nicht länger bevormunden, sondern es will überzeugt werden. Und zwar als erstes von unserer Fähigkeit, es gut und anspruchsvoll zu unterhalten. Nur wenn wir Letzteres geschafft haben, sollten wir mit ihm über unsere eigenen Bedürfnisse reden: zum Beispiel über das Urheberrecht. [gallery:Fabrik der Illusionen – 100 Jahre Babelsberg]

Haben wir erst einmal akzeptiert, dass es in unserer Branche zu massiven Veränderungen kommen wird, beantwortet sich die Frage nach der Zukunft des Urheberrechts fast von alleine. Wir werden lernen müssen, dass es dem Publikum völlig egal ist, wann und wo das Urheberrecht greift. Hauptsache, es steht im Einklang mit seinen (des Publikums) grundsätzlichen Bedürfnissen.

Das heißt: Erfüllen wir die Wünsche unseres Publikums nach unreglementiertem Zugriff auf kreative Inhalte, wird es unseren Wunsch nach angemessener Bezahlung erfüllen. Unreglementiert heißt nicht: umsonst. Sondern es heißt: frei von lobbyistischen und finanzpolitischen Blockaden.

Als ein Beispiel für solch eine Blockade mag hier das Kinoauswertungsfenster gelten, dessen Existenz meiner Meinung nach der Grund für den Großteil des illegalen File-Sharings ist. Wer heute noch meint, das an das Internet gewöhnte Publikum mit solchen Spirenzchen bevormunden zu können, wird sich wohl damit abfinden müssen, dass andere sein Geld verdienen. Der Zuschauer hat sich daran gewöhnt, im Internet jederzeit und überall auf Inhalte zurückgreifen zu können. Wer will ihm plausibel machen, dass er erst sechs Monate (!) nach einem Kinostart einen Film legal online abrufen kann?

Seite 3: Der Kunde ist König

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Wenn wir bereit sind, die Wünsche unseres Publikums ernst zu nehmen, gilt es präzise zu erforschen, wie diese überhaupt aussehen. Dazu gehört vor allem das Sehverhalten. Wer schaut wann Filme im Web und wer tummelt sich warum auf den illegalen Plattformen? Ist es wirklich die Gratiskultur oder ist es auch ein innerer Protest gegen die Strukturen unserer Branche? Geht es um die generelle Verfügbarkeit von Inhalten oder ist es eher der Wunsch, sein eigener Programmchef zu sein? Was ist dem Publikum eine zentrale Plattform wert? Wer geht wann ins Kino und warum tut er das? Wie sieht das optimale Kino aus? Wie viel Geld darf eine Kinokarte maximal kosten und was will man parallel zum Filme Schauen machen? Zu Abend Essen? Mails checken? Twittern? Ist 3D wirklich beim Zuschauer angekommen oder fügt er sich nur einem ihm eigentlich lästigem Trend?

Bei jeder noch so kleinen Landtagswahl sind ARD und ZDF in der Lage, erstaunlich präzise Voraussagen zu Prozentpunkten, Mehrheitsverhältnissen und Wählerwanderungen zu machen. Man kann erfassen, welche Themen von welchen Bürgern für wichtig und welche für nebensächlich gehalten werden. In immer kürzeren Abständen erfahren wir durch Umfragen, was bei uns im Land diskutiert wird, wie die Trends aussehen und wie die Mehrheitsverhältnisse liegen.

Mir kann doch kein Mensch erzählen, dass es für die Filmbranche unmöglich sein soll, sich ebenfalls ein solch smartes Instrument zuzulegen. Die Zahlen gehören regelmäßig veröffentlicht und für jedermann zugänglich gemacht: Für die Förderer, die Autoren, die Produzenten, Regisseure, die Contentindustrie, die Schauspieler ... auch für unser Publikum. Einfach jedem, der sich dafür interessiert.

Hat man die Zahlen ausgewertet, kann man gezielt da ansetzen, wo dem Verbraucher der Schuh drückt. Weiß man zum Beispiel genau, dass es die generelle Verfügbarkeit von Content ist, die für den Zuschauer wichtig ist, kann man argumentativ denjenigen Kollegen begegnen, die dies bisher nicht geglaubt haben. Und endlich (!) eine zentrale Plattform aufbauen.

Ist es bei anderen der generelle Wunsch nach einer Gratiskultur, kann man eine genau auf diese Zielgruppe zugeschnittene Aufklärungskampagne starten. Sind es die roten Teppiche und das alberne Stargeplänkel, was den Zuschauer nervt, kann man über ein dezenteres Auf-treten nachdenken. Liegt der deutsche Film mit seinen Themen daneben oder ist es eher die biedere, fernsehtaugliche Machart, die den Kinozuschauer stört?

Wir müssen präzisere Informationen über diejenigen sammeln, für die wir arbeiten. Und zwar nicht nur einmal im Jahr, sondern regelmäßig, Woche für Woche. Der Kunde ist König. Gut zu wissen, wie er tickt. Verstehen wir erst einmal die Sprache, die unser König spricht, wird es einfach sein, mit ihm zu reden. Wir werden auf offenere Ohren stoßen, wenn wir auf unsere eigenen Bedürfnisse hinweisen.

Von unserem Publikum wird das Aufbegehren der Autoren und Kreativen nur als Geschrei der Privilegierten wahrgenommen und meist hämisch kommentiert. Ich glaube nicht, dass es deswegen in den letzten zwei Monaten nur einen illegalen Download weniger gegeben hat – im Gegenteil.

Es ist jetzt an der Zeit, demütig zu sein, Fehler einzugestehen und mit dem Publikum zusammen einen Neuanfang zu wagen. Das wird viel Zeit, Geld und Nerven kosten, aber es bietet zumindest wieder eine Erfolg versprechende Perspektive.

Wir alle haben in der Vergangenheit gepatzt, haben technische Entwicklungen verschlafen oder verdrängt und uns durch einen zu technokratischen Fernseh- und Fördermechanismus von unserem Publikum entfernen lassen. Wir haben die Fehler gemacht. Das gilt es einzusehen und endlich die Konsequenzen daraus zu ziehen.

Frei nach Kennedy: „Frage Dich nicht, was Dein Publikum für Dich tun sollte, sondern frage Dich, was Du für Dein Publikum tun kannst!“ Dann erst tut Dein Publikum auch wieder etwas für Dich.

Fotos: picture alliance, Happ (Bohn)

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