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Eröffnung Berlinale 2016 - Heil dem Kino

Mit der Komödie „Hail Caesar“ der Coen-Brüder wurde die diesjährige Berlinale eröffnet. Der unterhaltsame Film mit George Clooney und Scarlett Johansson ist perfekter Proviant für alle kommenden Beiträge. Er zeigt Kino als eine große Kunst der Umwege

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Die Berlinale des Jahres 2016 eröffnet mit Jesus am Kruzifix und einer Hand, die den Rosenkranz umklammert: Mit diesen beiden Einstellungen beginnt die Selbstfeier des Kinos, zu der die Brüder Ethan und Joel Coen einen fulminanten Beitrag beisteuern. Fast schon traditionell ist der Eröffnungsfilm dem Augenfutter vorbehalten, so war es 2014 mit Wes Andersons „Grand Budapest Hotel“, 2015 mit Isabel Coixets „Nobody wants the night“. Nun also außer Konkurrenz „Hail Caesar“, eine vorab eher mäkelig besprochene und in den USA medioker besuchte Einkehr der Traumfabrik zu sich selbst. Die Coens erzählen die fiktive Geschichte der 1950 angesiedelten Dreharbeiten zu einem Jesus- und Sandalenfilm, dem titelgebenden „Hail Caesar“, „Heil dem Caesar“.

Die anfangs betenden Hände gehören dem 1963 verstorbenen Studiomanager Eddie Mannix (Josh Brolin), einem praktizierenden Katholiken, der sein Auge ruhen lässt über den Gerechten und Ungerechten der „Capitol Pictures“. Subtil nicht immer, aber konsequent deklinieren die Coens die Nachbarschaft von Kino und Religion durch. Da gibt es Liebe und Verrat, Treue und Untreue, gibt es jene, die ihr Licht auf den Scheffel stellen, und solche, die gar keins haben. Etwa im Fall des von Alden Ehrenreich wunderbar gespielten Cowboydarstellers Hobie Doyle, eines zerebral gering begabten Pferdenarren, der auf Wunsch des im Hintergrund als Deus Absconditus die Fäden ziehenden und darum bilderlos bleibenden Filmmoguls Schenck in einem Tanzfilm besetzt wird. Quälend lang bemüht Regisseur Laurence Laurentz (Ralph Fiennes) sich darum, dem geistigen Haubentaucher mit dem Stahlkinn einen schlichten Satz wie „Das ist alles nicht so einfach“ beizubringen, ohne dass die Lade kippt oder die Lippe nölt. Erfolglos.

Hollywood ist ein Zirkus
 

Selten wurde in einem Film derart häufig auf Armbanduhren geschaut: Hollywood, das ist auch ein Stundenplan für Kinder. Ist ein Zirkus für Menschen, die sich bezahlen lassen, damit sie nicht erwachsen werden. Auch der Hauptdarsteller des Films im Film, Baird Whitlock (George Clooney), ist ein liebenswerter Schlichtling, der keine Geschichte kennt, sondern nur Anekdoten und Lappalien. Gerade er gibt dann im „Hail Caesar“ den auf Golgatha zu Christus bekehrten römischen Tribun Autolochus Antoninus – eine Szene, die Pathos, Kitsch und Ernst unentwirrbar verknäult. Bis ein „Schnitt!“, wie immer ein „Schnitt!“, die Rolle vernichtet und die Person hervorzwingt. Für Augenblicke nur.

Natürlich gibt es zu viele Zutaten im filmischen Ratatouille der Coens. Die eher unlustig geratene Verschwörung kommunistischer Drehbuchautoren, die um einen besseren Schnitt für sich ringen, zieht sich pointenschwach in die Länge. Gleiches gilt von der aufwendigst choreografierten Gesangsnummer mit steppenden Matrosen um Channing Tatum in der Hafenbar. Ja, ja, in den 50er Jahren sang und tanzte man gerne in Hollywood. Es ist ein ebenso funktionierendes wie patriarchalisches Produktionssystem, in dem Frauen der Aufhübschung (Scarlett Johanssen) oder dem Krawall dienen (Tilda Swinton in urkomischer Zwillingsrolle als Klatsch- und Gesellschaftsjournalistin, was immer der Unterschied sein mag.)

Künftig werden wir nur noch über Rollen berichten
 

Dennoch liefert „Hail Caesar“ den denkbar besten Proviant für alles, was kommen mag auf der 66. Berlinale. Aus zwei Gründen: Johanssen spricht als derbes Goldköpfchen DeeAnna Moran, ein schwimmender Esther-Williams-Verschnitt, gegenüber einem Juristen mit dem Spezialgebiet halbseidener Identitätserfindungen die allen Filmen, auch den ernstesten, zugrundeliegende Fiktion aus: „Ihre Rolle also ist die Person?“ Nur von Rollen werden wir künftig berichten, von Ausdenkungen und Eingebungen; die hier offensiv als Unmöglichkeit dargestellte Person bleibt draußen auch bei den allerrealistischsten, bittertraurigsten Spielfilmen. Zweitens ist Film zwar nicht immer, wie eine Onkelstimme aus dem Off raunt, „lindernder Balsam auf unseren Nöten.“ Immer aber geschieht da Verwandlung mit uns, den Zuschauern, und unseren Wunden, momenthaft. Womit wir wieder, wie am Ende der Geschichte um Autolochus Antoninus, auf einem künstlichen Golgatha gelandet wären.

Hollywood hat für alles eine Lösung, solange der Saal dunkel und die Leinwand hell ist. Selbst aus dem Stolpersatz für den Cowboy, wonach alles nicht so einfach sei, wird schließlich ein fehlerfrei gebrummtes „Das ist kompliziert“. Film ist die Kunst, Umwege als Auswege zu verkaufen.

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