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Entzaubertes Landleben - Ökologisch lebt nur der Stadtmensch

Wer auf seinen ökologischen Fußabdruck achten will, der sollte in ein Hochhaus in der Stadt ziehen. Und auch sonst ist das Leben auf dem Land reiner Eskapismus für Idioten

Autoreninfo

Marie Amrhein ist freie Journalistin und lebt mit Töchtern und Mann in der Lüneburger Heide.

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Da kämpfen wir mit den Schnecken, schleppen Holz für den Ofen, schippen Pferdemist auf den Acker. Wir schwitzen, haben Muskelkater, bekommen Schwielen an den Händen und kommen uns wahnsinnig gesund und nachhaltig vor.

Und jetzt das: Der wahre Öko wohnt nicht am Waldrand, sondern in der Warschauer Straße, lässt sich mit Autolärm und Benzingestank vollpesten und fährt täglich mit anderen Anzugträgern in der überfüllten S-Bahn zum Büro. Es sei der Städter, der unserer Umwelt mit seinem Lebensentwurf die meiste Erleichterung verschafft, verkünden nach dem Wirtschaftsprofessor Edward Glaeser aus Harvard nun auch Barbara Schaefer und Katja Trippel aus Berlin. Das Heizen mit nachwachsenden Rohstoffen, die Solarzellen auf dem Dach, ein Komposthaufen – am Ende sind das also alles nur Spielereien, die unserem Gewissen etwas vorgaukeln. Ebensogut könnte man auf dem Balkon seiner Wohnung in Berlin-Friedrichshain Tomaten züchten, während auf dem Wohnzimmertisch die neueste Ausgabe der Landlust ein wenig ruralen Charme versprüht.

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Denn, so Glaeser in „Triumph of the City“: „Städte machen uns reicher, klüger, grüner, gesünder und glücklicher.“ New Yorker etwa leben länger als alle anderen Amerikaner, Herzkrankheiten und Krebsraten seien in Gotham niedriger als beim Rest der Nation. In Sachen Klimaschutz sind wir Dörfler die wahren Asozialen: Auf dem Land ist der Zweitwagen einer Familie fast schon Pflicht, während das Auto in der Stadt vom Fahrrad als Statussymbol längst abgelöst wurde. Was die Tankstelle auf dem Land schluckt, kann in der Stadt für Theater und Kino ausgegeben werden. Der ökologische Fußabdruck des Städters im Hochhaus geht im Vergleich dazu gegen Null.

Urbaner Energieverbrauch um 40 Prozent geringer


Bis hierhin mache ich mit. Aber hat das Landleben denn gar nichts Gutes? Nein, keifen Schaefer und Trippel in ihrem Buch „Stadtlust. Vom Glück, in der Großstadt zu leben“. Nur Städte lehren Toleranz, die multinationale Zusammensetzung sei die Sache des Landlebens nicht, schreiben sie. Da erlaube ich mir, die Namen der einschlägigen Restaurants in unserem Nachbardorf zu zitieren: Hacienda, Da Giulio, Mykonos, Il Posto, Destino, Mojos, Piccola, Antalya Kebab Haus, Cafe Mokassin und die Chocolaterie. Das ist nicht Neukölln, aber das ist auch nicht nix, möchte ich sagen.

Die „echten Hotspots der Artenvielfalt“, heißt es weiter, fänden sich in der Stadt. Da schlecken Waschbären „in der Parkgarage am Alexanderplatz tote Fliegen von den Scheinwerfern.“ Das hab ich hier tatsächlich noch nicht gesehen. Wir haben nur einen autochthonen Feuersalamander, der im Moor vor der Haustür herumglitscht.

Edward Glaeser legt nach: Stadtbewohner würden 40 Prozent weniger Energie als Landbewohner verbrauchen – und dabei deutlich mehr Geld erarbeiten. Mehr als die Hälfte des amerikanischen Einkommens wird in den 22 Metropolregionen verdient, schreibt er. Dass aber sowieso nur ein höchst privilegiertes Prozent aller Amerikaner knapp ein Viertel des nationalen Gesamteinkommens der USA verdient, lässt diese Rechnung anders wirken.

„In den Städten wurde alles gedacht und geschaffen, was uns heute ausmacht. Demokratie, Bürgerrechte, Wahlfreiheit. Computer, Oper, Biosupermärkte“, zählen die Wahlberlinerinnen auf. Tom Hodgkinson, Guru des selbstversorgenden Landbaus, könnte darüber wohl nur lachen. In seinem Bestseller „Schöne alte Welt“ fragt er, welches von beiden – das iPad oder die Sense – es in tausend Jahren wohl noch geben werde. Dass sich in der Stadt Freiheit, Revolution und politischer Verstand ausbildete, mag für eine gewisse Zeit gestimmt haben. Seit der industriellen Revolution haben sich aber auch Lohnsklaverei und Ausbeutung bis heute ihren Weg gebahnt. Mehr denn je strampelt der befristete Angestellte im Hamsterrad des 60-Stunden-Jobs, bis der erste Burnout oder die Entlassung ihn befreien.

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Dass in dem Dorf, in dem Schaefer und Trippel ihre Datsche haben, nie ein Nachbar um ein Ei bittet, hat vielleicht auch mit den beiden zu tun. Wir haben nach den ersten drei  Monaten Landleben von verschiedenen Nachbarn folgende Güter geschenkt bekommen: Einen Kürbis, selbstgesammelte Pilze aus dem Wald,  Blumenzwiebeln, Eier für den Kuchen und ein riesiges Heuförderband, das der Besitzer mit seinem eigenen Trecker eines samstags auf unseren Hof fuhr.

Dass für jeden andere Prioritäten gelten und das Leben auf dem Land gegen das in der Stadt nicht aufzurechnen ist, für diese Erkenntnis muss man nicht Kurt Tucholsky heißen. Sein Gedicht „Ideal“ von 1927 nehmen Trippel und Schaefer aber zum Anlass, das Landleben abzukanzeln:

Ja, das möchste:
Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse,
vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße;
mit schöner Aussicht, ländlich-mondän,
vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn -
aber abends zum Kino hast dus nicht weit.
Das Ganze schlicht, voller Bescheidenheit

Aber Tucholsky schrieb auch (und das zitieren die beiden nicht):

Etwas ist immer.
Tröste dich.
Jedes Glück hat einen kleinen Stich.
Wir möchten so viel: Haben. Sein. Und gelten.
Dass einer alles hat:
das ist selten.

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