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(David Hockney Collection, Tate Gallery London) David Hockney's „A Bigger Splash“ deutet den Modus der Ausstellung an

Ausstellung „Pacific Standard Time“ - Eine Hymne auf Los Angeles

Den ganz großen Künstlern der 60er und 70er gewidmet, zeigt die Ausstellung „Pacific Standard Time“ im Martin Gropius Bau Kalifornien zwischen Hollywood und Abziehbildkultur.

Die, Sonne, die Kalifornien so sehr verwöhnt, scheut das bleierne Berlin. Aber ihre Kraft schickte sie mit der Getty-Ausstellung „Kunst in Los Angeles 1950 – 1980“ in den Martin-Gropius-Bau. In diesem Licht entfaltet sich eine bunte Kunstlandschaft, fest verwurzelt in ihrer Heimatstadt.

Zuerst fällt die Monumentalität auf: In Sam Francis (1923-1994) Gemälde „Berlin Red“ -  acht auf zwölf Meter - hat ein ganzes Appartement Platz, mit Wohnraum, Küche und Bad. Die weisse Leinwand, mit  bunten Klecksen wie explodierende kleine Sonnen, hängt nicht an der Wand, sondern an der Decke.

Los Angeles war einst nur die „second city“. Das Zentrum der modernen Kunst hiess New York. Gab es in L.A. überhaupt eine Kunstwelt? Zehn Jahre Forschungsarbeit förderte einen ganzen Kunstkosmos zutage. Unter dem Titel „Pacific Standard Time“ bildet er in der Berliner Ausstellung den harten Kern.

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Zuerst die Stadt: Los Angeles - Wüstenstadt, Gartenstadt, Megacity, Autostadt – ist monumentale Fläche mit wenigen Wolkenkratzern. Einerseits ewige Sonne, Palmen, Pacific, Surfen, Fitness, Jugend, Hollywoodglamour; andererseits verheerende Waldbrände, Smog, Wassermangel, Erdbeben, Rassenunruhen, Rüstungsindustrie. Ein Paradies mit Schatten. Die zwei Seiten von Los Angeles veranschaulichen David Hockney und Edward Kienholz.

David Hockney (70), Engländer und Wahlkalifornier: Türkisfarbene Pool-Bilder in gleissendem Licht - dafür ist er berühmt - so muss das Leben in Kalifornien sein. Sein Gemälde „A Bigger Splash“ (1967) - gerade ist jemand ins Wasser geplatscht -  gilt als Ikone der Genuss-Gesellschaft.

Edward Kienholz (1927-1994), US- Objekt und Konzeptkünstler: Menschen, die bei Hockney fehlen versammelt Kienholz. Sein Objekt „“The Future as Afterthout“  - Zukunft als Nachsatz – besteht aus einer Konsole, bekrönt mit nackten, zusammengebundenen, traurigen, ausrangierten Babypuppen. Kindersklaven, Kindermord, Abtreibung? Kienholz prangerte an, kritisierte, provozierte.

Von männlichen Radios und weiblichen Waschbrettern 

Es gibt auch ein Berliner Zimmer. Da hängt das Sam Francis Monumentalgemälde, und da stehen die Werke von Edward Kienholz. Beide waren Berlin sehr zu getan:

Sam Francis, weil Werner Haftmann, erster Direktor der Neuen Nationalgalerie, ihn 1969 beauftragte „Berlin Red“ für das soeben eröffnete Haus zu malen. Edward Kienholz, weil er so schönen Trödel fand. Ab 1973 verbrachte er die Winter in Berlin. Ein Produkt dieser Zeit ist  die subversive Werkreihe „Volksempfängers 1975 -1977“ mit „männlichen“ Radios, und „weiblichen Waschbrettern“, dekoriert mit dem „Ehrenkreuz der deutschen Mutter“. Und per Fussdruck ertönt noch Wagner.

Das erste Museum in Los Angeles wurde 1965 eröffnet. Kunstsammlungen und Kunstförderung waren bis dahin Privatsache. Künstler und Galeristen mussten sich selber bekannt machen; so schufen sie verzweigte Netzwerke und bauten Kommunikationssysteme auf. Dieses kunterbunte Sammelsurium aus Briefen, Karten, Videos, Fotos, Inseraten, selbstgemalt und selbstgebastelt, bildet die zweite Ausstellung mit dem Titel „Grüsse aus L.A.“.

Sam Francis, Edward Kienholz, Ed Ruscha, David Hockney, Dennis Hopper, Bruce Naumann, James Turrell, John Baldessari bestimmten die kalifornische Kunstszene nach dem Krieg. Auch Deutschland erkannte ihre Bedeutung; Sie galten als die Avantgardisten, ihr Ruf hallte bis in die Schweiz.

Ed Ruscha gestaltete 1972 den Katalog-Umschlag für die Documenta V, unter der Leitung des Schweizer Ausstellungsmacher Harald Szeemann. Auf dem roten Buchdeckel krabbeln winzige Ameisen und formen ein großes S. Doch harmlos ist die Sache nicht. Durch ihre langen Schatten sehen die Tierchen aus wie Jagdbomber. Ruschas bekanntes monumentales Gemälde der gespenstig einsamen Tankstelle „Standard Station, Amarillo, Texas“ (1963), eine Ikone der „car and customer cultur“, empfängt den Ausstellungsbesucher. In Bruce Naumanns harmlosen Video-Tunnel „Four corner pieces“ (1971) rennt man sich selber hinterher.

Die Solisten sind überschaubar, der Chor ist gross. Wer kennt Judy Chicago und ihre Arbeit „The Dinner Party“ (1971), wo sie berühmte Frauen, z.B. Virginia Wolf, auf Tellern serviert; oder Peter Alexander und seine bezaubernde lichtverspielte Stehle „Untiteld“ (1970); oder John Mason und seine Keramikwandskulptur „ Blue Wall (1959)?  Und „Black Tear“ (1969) – das bunte Polyesterharzgebilde? Allein des romantischen Titels wegen möchte man seinen Schöpfer Ronald Davis kennenlernen.

Unbestritten Avantgarde war Los Angeles in der Architektur.  Julius Shulman (1910-2009), der grosse Architekturfotograf arbeitete für berühmte Architekten wie Frank Lloyd Wright und Richard Neutra. Shulmans Fotos sollen manchmal besser gewesen sein als die Architektur – sagt man. Sie bilden den dritten Teil der Ausstellung.

Mit den allerbesten Fotos der allerbesten Architektur der Moderne endet die Ausstellung. Sie beeindruckt vor allem durch Originalität. Den Werken fehlt die anschmiegsame Kälte der aktuellen Marktware. Es gibt etwas zu entdecken. Und das hat mit Los Angeles zu tun.

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