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Max Raabe - „Eigentlich will ich kein Gentleman sein“

Niemand rollt das „R“ so schön wie er: Max Raabe. Der schwanenhalsige Bariton in Frack und Fliege sang sich mit seinen Couplets im Stile der 1920er Jahre bereits in den Olymp der New Yorker Carnegie Hall. Im Interview spricht er über sein verborgenes Talent als Exzentrik-Tänzer und erklärt, warum er Enten nicht arbeitslos machen will

Autoreninfo

Sarah Maria Deckert ist freie Journalistin und lebt in Berlin. Sie schreibt u.a. für Cicero, Tagesspiegel und Emma.

So erreichen Sie Sarah Maria Deckert:

Herr Raabe, Ihr neues Album ist eine einzige Ode an das schöne Geschlecht und die Liebe. Welche Eigenschaft schätzen Sie an Frauen besonders?
Mit ihnen ist es, wie mit Männern eigentlich auch: Ich muss Spaß mit ihnen haben können, Humor muss vorhanden sein und eine Warmherzigkeit. Die Eigenschaften, die ich an einem Menschen schätze, sind eher geschlechtsunabhängig. Wenn ich Frauen in meinem Freundeskreis sehe, die neben ihrer Berufstätigkeit alleine ihre Kinder erziehen, dann habe ich davor einen enormen Respekt. Aber ich weiß nicht, ob das nun sehr weiblich ist. Wahrscheinlich wäre das auch zu einfach.

Was schätzen Sie überhaupt nicht?
Indiskretion. Ich weiß genau, dass die Dinge, die man mir erzählt, auch bei mir bleiben. Auch innerhalb des Freundeskreises würde ich nie etwas weitererzählen – das soll der- oder diejenige dann selbst machen. Oder ich frage, ob ich es derjenigen Person abnehmen kann. Alles hat seine Zeit, auch Geschichten und wann und wie und von wem sie erzählt werden. Ich bin immer sehr misstrauisch bei Leuten, die mir von anderen erzählen, weil ich denke, der spricht dann auch über mich. Ich kenne solche Leute, aber dieses Problem habe ich bei meinen Freunden nicht. Das ist wahrscheinlich die Voraussetzung, um sich als Freund zu definieren: diesen Argwohn erst gar nicht haben zu müssen. [gallery:Martin Scorsese]

Diskretion, die Eigenschaft eines Kavaliers. Es nimmt nicht Wunder, dass Begriffe wie „Gentleman“ oder „Dandy“ bei Ihnen schnell zur Hand sind. Ihre Frisur scheint nie zu verrutschen, Ihre Anzüge sitzen immer perfekt und auch Ihre Umgangsformen sind tadellos. Empfinden Sie sich als Gentleman?
So wie ich rumlaufe, darf ich mich dagegen nicht sträuben. Ich meine, ich sitze hier, habe mich herausgeputzt wie einer, aber eigentlich will ich das gar nicht sein, ein Gentleman. Ich käme nicht auf solche Begriffe für mich und meine Freunde wohl auch nicht. Die würden vielmehr sagen, ich sei umsichtig oder zuvorkommend – das wäre schon toll, wenn man mich so beschriebe. Mein Vater und meine Onkels liefen immer mit Weste, Krawatte und Uhrkette herum. Sie hatten Frisuren wie ich und saßen sonntags am Tisch und redeten über Ackerbau und Viehzucht. Da scheint was hängen geblieben zu sein.

Auf jeden Fall scheinen Sie etwas aus der Zeit gefallen. Doch bei dem Wörtchen „retro“ stellen sich Ihnen die Nackenhaare auf. Jemand hat Sie einmal als „analog“ beschrieben. Kommen wir damit der Figur Max Raabe vielleicht etwas näher?
Jemand hat einmal gesagt: „Wenn einer digital ist, dann bist du analog.“ Das hat mir gefallen. Es passt einfach. Ich weiß auch gar nicht, ob sich das richtig erklären lässt. Vielleicht an dem Foto, das wir für das Album gemacht haben: Ich im Smoking mit einer Ente im Wasser. Ich bin tatsächlich im Wasser, im Smoking, ohne Neoprenanzug – im Gegensatz zum restlichen Orchester. Und die Ente, die da rumschwimmt, ist ebenfalls original besetzt. Andere würde da vielleicht mit Photoshop nachhelfen – das würde ich niemals zulassen. Einfach auch um Enten nicht arbeitslos zu machen.

Sehr umsichtig. Lassen Sie uns über die Liebe reden: Sie singen von ihr mit Hingabe, dabei schwingt aber immer etwas Melancholie mit. Das Konstrukt Liebe erscheint damit sehr fragil und diesem Umstand begegnen Sie dann meist mit Humor. Was ist komisch an der Liebe?
Bei der Melancholie haben Sie Recht. Das hängt wohl damit zusammen, dass ich bei vielen Dingen das Gefühl habe, es könnte bald vorbei sein, mit meiner Gesundheit, meiner Karriere, meinem schönen Leben. Bei der Freundschaft oder der Liebe ging es mir komischerweise nie so. Ich habe das gute Gefühl, dass es bei allen Menschen, die ich liebe oder je geliebt habe, für die Ewigkeit ist und ich bin mir sicher, dass ich keinen meiner Freunde, die ich jetzt habe, verlieren werde. Das wird mir nicht gelingen.

Ist es also leichter der Liebe mit Humor zu begegnen, wenn man keine Angst um sie haben muss? Oder besteht hier die Gefahr, zynisch zu werden?
... fatalistisch vielleicht. Zynismus ist für meine Begriffe zu verbittert, zu traurig. Ich bin nie zynisch, das finde ich zu destruktiv. Ein bisschen schwarzer Humor kann allerdings Spaß machen. Ironie sowieso.

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Ironisch begegnen Sie auch Ihren Talenten. Sie singen beispielsweise darüber, dass Sie nur gut sind, „wenn keiner guckt“. Stimmt das? Oder sind Sie vielleicht sogar noch besser?
(lacht) Also. Ich bin ziemlich gut, wenn einer guckt. Aber es gibt Qualitäten, die tatsächlich nur im Verborgenen funktionieren.

Klären Sie mich auf!
Ich kann ziemlich wild tanzen. Wenn jemand guckt, tanze ich ganz gut, ich kann gut führen. Aber als Exzentrik-Tänzer bin ich unschlagbar, würde aber nie wollen, dass das jemand sieht. Selbst wenn jemand mitbekäme, wie fantastisch das ist. Das ist etwas, dass ich nur mit mir alleine austragen kann.

Weil Sie die Welt an diesem fantastischen Gebaren nicht Teil haben lassen wollen oder weil Sie sich dann doch irgendwo schämen?
Ich möchte nicht, dass andere miterleben, wie meine Frisur verrutscht.

Also doch, die Eitelkeit... Mir ist auch zu Ohren gekommen, dass Sie beim Fahrradfahren keinen Helm tragen. Aus demselben Grund?
Da stimmt in der Tat. Beim Spazierengehen übrigens auch nicht. Mit dem Rückenwind hat man es da nicht leicht. Deshalb versuche ich immer schneller zu sein, als der Wind, der von hinten kommt.

Klappt das?
Manchmal.

Sie pflegen in Ihrer Nische eine Nostalgie für die Weimarer Zeit. Die Unterhaltungsmusik von damals war selten bis nie politisch, weil sie beim Publikum die Probleme des Alltags samt Wirtschaftskrise und Endzeitstimmung für einen Moment vergessen machen sollten. Bei Ihnen ist es ähnlich. Ein Eskapismus, den wir heute immer noch brauchen?
Wenn ich mir ein Programm ausdenke, will ich, dass die Leute für die Dauer des Konzertes ihren Spaß haben, egal ob sie sich mit der Musik auskennen oder nicht. Die Stücke der 1920er und 1930er Jahre sind ebenfalls nur geschrieben worden, um die Menschen zu unterhalten. Es gab kaum politische Lieder. Kurt Weill hat natürlich seine Aussagen getroffen, aber das war etwas anderes. Wenn ich gefragt werde, lasse ich keine Gelegenheit aus, zu erzählen, woher die Musik stammt und was es mit ihr auf sich hat. Aber am Abend möchte ich die Komponisten nicht zu Opfern machen, sondern ihre Lieder strahlen lassen.  Das ist meine Aufgabe.

Das gelingt Ihnen unter anderem mit Ihrer sehr markanten Stimme. Sind sie ein Imitator des Stils der 1920er Jahre oder ist das einfach so bei Ihnen?
Bei den ersten Platten habe ich versucht, diesen Stil zu imitieren. Ich habe auch das „R“ noch sehr stark gerollt. Beim Anhören ist mir dann erst klar geworden, dass ich etwas nachahme und ich wollte einfacher, schlichter singen, fast instrumental. Ich bemühe mich nicht darum, eine Färbung zu gestalten, die an die 1920er Jahre erinnert. Viel mehr möchte ich, dass die Stücke und ihre Qualität unabhängig davon funktionieren, welche Zeit sie darstellen. Wenn man Mozart singt – und natürlich singt man Mozart anders als Wagner – würde niemand auf die Idee kommen zu sagen, der Sänger imitiere den Barock oder das Rokoko. Mir geht es um die Lieder und ihre Haltung, vielleicht wirkt das manchmal skurril.

Vor allem wirkt es sehr unaufgeregt. Die Welt von Max Raabe erscheint um einiges langsamer als draußen in der gehetzten Wirklichkeit. Auf dem Album gibt es sogar so etwas wie eine „Ode an die Langsamkeit“. Sind Sie ein Meister der Entschleunigung?
Irgendwie schon. Das trifft es sogar sehr gut. Ich bin eigentlich immer ziemlich entspannt, werde aber schnell krötig, wenn man versucht, mich zu hetzen.

Brauchen wir vielleicht genau das: eine neue Langsamkeit?
Man muss sie sich zumindest immer wieder holen. Manchmal müssen Dinge schnell gehen, beispielsweise im Supermarkt. Da flaniere ich ja auch nicht durch die Käsetheke, sondern suche einfach schnell mein Zeug zusammen. Zack, zack. Wenn ich dann aber wieder zuhause bin, setze ich die Hektik nicht weiter fort. Ich schätze die Ruhe und bewahre sie auch. Sagen wir so: Alles hat seine Zeit und ich nehme mir sehr viel Zeit auch diese Zeit noch zu entschleunigen.

Herr Raabe, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Sarah Maria Deckert

 

Im Januar erscheint sein neues Album „Für Frauen ist das kein Problem“

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