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(picture alliance) „JPod“ ist ein Buch für die Digitalen

Nerds, Pornos, Datenmüll - Ein Roman für die iPod-Generation

Douglas Coupland füllt viele Seiten seines neuen Romans „JPod“ mit allerhand Zahlen, Pornos und Datenmüll, um zu zeigen, was im digitalen Leben so abgeht

Mitten in Douglas Couplands neuem Roman „JPod“ werden vierzig Seiten lang Nach-Komma-Stellen der Zahl Pi abgedruckt. Auch einspaltige Listen von tatsächlich existierenden und kalauerhaft erfundenen Fremdsprachen ziehen vorbei. Sieben rechtsbündig untereinander gedruckte Wörter („Objektiv Harnröhre Mutterleib Schwanz Trommelfell Senf Brötchen“) in Schriftgröße 48 füllen eine weitere Seite. Chinesische Schriftzeichen, Spam-Mails, Computerspiel-Ergebnisse, Formeln und absurd kombinierte Markennamen machen sich breit. Das Kopfrauschen irgendwelcher Büromenschen kommt als formelhafter Gedächtnisstrom in einzeiligem Abstand daher, durchsetzt mit säuberlich alphabetisch sortierten Porno-Schlagwörtern …

Die gute Nachricht dabei ist: Ausgedehnte Spielereien wie diese reduzieren den eigentlichen Gehalt des Romans beträchtlich. Mit seinen 519 Seiten wäre das Buch sonst für eine schräge Anekdotensammlung aus dem Leben von sechs jungen Computerspiel-Designern eindeutig zu umfangreich. Der Nachteil wiederum: Wer wenig mit Internet- und Popkultur in Berührung gekommen ist, wird manches nicht verstehen und daher höchstwahrscheinlich erst befremdet und dann gelangweilt sein. Dabei stecken hinter den grafischen Elementen nicht einmal Witze für Eingeweihte. Es handelt sich hier größtenteils um eine Auswahl des nie versiegenden Daten- und Informationsflusses, den der Erzähler Ethan und seine Kollegen Bree, Cowboy, John Doe und Evil Mark den ganzen Tag lang aufnehmen. Sie fassen diesen Müll keineswegs als Zumutung auf, sondern ignorieren ihn achselzuckend, amüsieren sich damit oder nutzen ihn als Inspirationsquelle für ihre Nerd-hafte, leicht autistische Kreativität.

„Ihr seid eine deprimierende Anhäufung popkultureller Einflüsse und verkümmerter Emotionen, angetrieben vom stotternden Motor des Kapitalismus in seiner banalsten Form“, beschwert sich nicht ganz zu Unrecht die neue Kollegin Kaitlin, die bei aller furiosen Einstandskritik selbst allerdings auch nicht anders tickt. Zu Beginn ist sie lediglich wütend und zickig, weil sie trotz Brillanzverdachts im sogenannten „JPod“ gelandet ist – diesem Team werden seit einer Computerpanne bei „Neotronic Arts“ automatisch all diejenigen zugeteilt, deren Nachname mit „J“ beginnt.

Der Spitzname ihrer neuen Abteilung ist nicht nur eine Anspielung auf Apple’s „IPod“: Ähnelt im Deutschen ein Ei dem anderen zum Verwechseln, so sind es im Englischen zwei Erbsen in einer Schote, „two peas in a pod“. Dabei wünschen sich die JPodler nichts mehr als eine unverwechselbare Persönlichkeit. Auf der Suche danach bleiben jedoch gerade die medienversierten letzten Jahrgänge der Coupland’schen „Generation X“ (die sich in „JPod“ mit der folgenden, ab den frühen Achtzigern geborenen „Generation Y“ mischt) im globalen Gemischtwarenladen der Moden, Zitate und Retro-Entwürfe stecken: Bree, die japanophile Hobby-Nymphomanin mit Traumberuf Burlesque-Tänzerin, die „nur den Schlenker eines Nippelpropellers von vier Stripclubs entfernt wohnt“, ihr Kollege John Doe, der als zwangsbefreites Hippie-Kind sein Erwachsenenleben pedantisch an statistischer Durchschnittlichkeit ausrichtet oder eben Ethan, der sich nicht entblödet, zurückgelassene Klamotten illegaler chinesischer Einwanderer als pseudo-ironischen „Flüchtlingslook“ auszuführen.

Ethans Freunde und seine semi-dysfunktionale Familie geben ein ausgezeichnetes TV-Sitcom-Ensemble ab: die Cannabis für den Verkauf anbauende Mutter, die aus Versehen einen Rocker in den Tod befördert, der als Schauspieler in stummen Rollen dilettierende Vater mit dem Hobby Turniertanz, der Immobilienmakler-Bruder mit folgenschweren Kontakten zur chinesischen Mafia und schließlich Ethans Chef, der spießige, in dessen Mutter verliebte Jungmanager Steve. Couplands Timing in den absurden Familien-Szenen des Romans ist perfekt, alle punch lines sitzen. Aber leider geht das permanente Ausweichen in böse Komik und Überdrehtheit arg auf Kosten der Figurenzeichnung, die sich in Klischees erschöpft. Peinlich selbstverliebt und gar nicht komisch wirkt auch, dass sich der Autor selbst in seinen Roman hineingeschrieben hat, um Ethan in Gestalt eines fiesen Popkultur-Gurus zu maßregeln und schließlich als deus ex machina gleich noch den vor sich hindümpelnden Plot zu retten.

„Ihr lebt euer Leben im ständigen Bewusstsein, dass ihr schon im nächsten Moment abgemeldet sein könnt – entweder zu alt für den Arbeitsmarkt oder kulturell hoffnungslos hinter der Zeit zurück“, bemerkt Kaitlin. Falls das stimmt, haben ihre Kollegen jedenfalls keine Lust, da-rüber nachzudenken. Sie frickeln lieber ausgiebig an einer Geheimfigur herum, einem blutrünstigen Ronald McDonald, der das durch Steves absurde Ideen noch schlechter gewordene neueste Computerspiel sabotieren soll. Das Lexikon bietet als Übersetzung für „Pod“ übrigens auch „Schutzhülle“ oder „Kokon“ an.

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